ATHEIST

Piece Of Time CD

Ja! Endlich! Endlich gibt's alle drei Alben der göttlichen ATHEIST wieder regulär zu kaufen. Dummes Wortspiel, ich weiß, aber ein anderes Attribut, das dieser Band gerecht wird, will mir nicht einfallen.

ATHEIST gehörten einfach mit zum Besten und leider auch Unterbewertesten, was das Genre Death Metal je hervorgewürgt hat. Man kann Relapse also gar nicht genug dafür danken, dass sie diese Geniestreiche wieder verfügbar gemacht haben.

1984 in Florida unter dem Namen OBLIVION als Thrash Metal-Band gegründet, veränderte sich der Sound der Band im Laufe der Jahre immer mehr in Richtung progressiven Death Metals, was auch Namensänderungen in R.A.V.A.G.E.

(was für den hübschen Satz "Raging atheists vowing a gory end" steht) und schließlich ATHEIST sowie einige Line-up-Wechsel nach sich zog. 1988 nahmen ATHEIST im berühmten Morrisound-Studio in Tampa, Florida zusammen mit (natürlich) Scott Burns ihr Debütalbum "Piece Of Time" auf, das so richtig aber erst 1990 auf dem englischen Label Active Records (in den USA bei Metal Blade) erscheinen sollte, nachdem ihre erste Labelwahl Mean Machine Records Pleite machte.

"Piece Of Time" war ein Novum in der noch recht jungen Death Metal-Szene, denn im Gegensatz zu der zwar brutalen, aber doch eher simplen Musik ihrer Genrekollegen war das, was ATHEIST veranstalteten, extrem verspielt und dabei unglaublich versiert, aber nicht minder heftig.

Kelly Schaefers heiserer Gesang, der wie eine Mischung aus KREATORs Mille und DEATHs Chuck Schuldiner klingt, das größtenteils hohe Tempo und die Arrangements erinnerten noch am ehesten an typischen frühen Death Metal, aber das Gitarrenspiel von Schaefer und Rand Burke sowie die ziemliche komplexe Rhythmusarbeit von Bassist Roger Patterson und Drummer Steve Flynn zeigten, dass diese Band mehr zu bieten hat, als das bisher Übliche.

Wie immer in solchen Fällen tauchte auch bei ATHEIST ganz schnell der Begriff Jazz auf, wenn es um die Umschreibung ihrer Musik ging (ähnlich erging es ja auch, wenn auch in einem anderen Genre, NOMEANSNO), was aber ziemlich albern ist.

Auch wenn ATHEIST auf "Piece Of Time" unheimlich komplex waren, so waren sie damals dennoch eine lupenreine Death Metal-Band, wenn auch eine außergewöhnliche. "Piece Of Time" jedenfalls war ein ganz erstaunlich großartiges Debüt, das mich damals unheimlich begeistert hat und immer noch tut.

Der Release des zweiten Albums "Unquestionable Presence" wurde von dem tragischen Tod des erst 22-jährigen Roger Patterson überschattet, der im Februar 1991 auf der laufenden Tour bei einem Autounfall ums Leben kam.

ATHEIST entschieden sich dennoch weiterzumachen und nahmen die bereits fertig komponierte Platte mit dem von CYNIC "geliehenen" Bassisten Tony Choy wiederum mit Scott Burns im Morrisound Studio auf und veröffentlichten sie Ende 1991 wieder via Active Records (und Metal Blade in den USA).

Und, um es kurz zu machen: "Unquestionable Presence" ist eine der Platten, die ich auf die berühmte einsame Insel mitnehmen würde. Noch immer stark im Death Metal verwurzelt gingen ATHEIST hier in Sachen Komplexität einen großen Schritt weiter und hier kann ich auch mit etwaigen Jazz-Vergleichen leben.

Denn die gesamte Rhythmik und vor allem Choys Bassspiel - das hier extrem im Vordergrund steht - sind so unglaublich vertrackt, das kann sich schon mit manchen Jazzmusikern vergleichen lassen.

Von Gefrickel aber keine Spur, mitreißender und begeisternder kann eine Rhythmussektion kaum sein. Aber auch Schaefers Gesang, die spärlichen, aber effektiven Melodien, das Songwriting, ach verdammt: bei dieser Platte stimmt einfach alles.

Ein unwiderstehliches Meisterwerk progressiven Metals.

Kurz nach dem Release verließ Tony Choy ATHEIST und 1992 war die Band aus diversen Gründen Geschichte. Da Bandboss Kelly Schaefer aber vertraglich noch für ein Album an Active Records gebunden war, wurde 1993 - ohne Scott Burns und nicht im Morrisound - eine letzte Platte eingespielt, die dann aber in den USA wieder bei Metal Blade und in Europa bei Music For Nations erscheinen sollte.

Tony Choy war wieder zurückgekehrt, am Schlagzeug saß jetzt ein Herr namens Marcell Dissantos, und mit Frank Emmi hatten ATHEIST jetzt einen dritten Gitarristen. "Elements" zeigte die Band weiter von ihren Death Metal-Roots abgerückt.

Kelly Schaefers Gesang war jetzt cleaner und klang beinahe wie der von CORNONERs Ron Royce und auch musikalisch hatten sich ATHEIST weiterentwickelt. Mehr Raum für Melodien und verträumte Spielereien wie ein Ausflug in den Salsa sowie ein gedrosseltes Tempo machten "Elements" zu ATHEISTs experimentellster Platte, auch wenn sie trotz aller Vertracktheit gradliniger ausgefallen war als der Vorgänger.

Danach war dann aber endgültig Schluss mit ATHEIST und trotz immer mal wieder laut werdender Reunion-Gerüchte wird es dabei wohl auch bleiben. Relapse haben allen drei Rereleases massig Bonustracks spendiert: "Piece Of Time" kommt mit allen Songs der Demos "Beyond", "Hell Hath No Mercy" und "On They Slay", wobei letzteres noch als R.A.V.A.G.E eingespielt wurde.

"Unquestionable Presence" wurde um zwei Vorproduktionsdemos (eins davon noch mit Roger Patterson) sowie um die Drum- und Bass-Spuren zweier Albumtracks erweitert. Letzteres scheint zwar albern, ermöglicht aber einen guten und interessanten Einblick in das Können der Musiker.

"Elements" wurde ein sechs Songs langer Live-Radioauftritt aus dem Jahr 1992 beigefügt. Der Besitz aller drei Alben sollte für jeden Freund harter, aber komplexer Musik Pflicht sein, vor allem, wenn man auch etwas mit CYNIC oder den späten DEATH anfangen kann.