MUTTER

Das ganze Spektrum des Nichts 2CD

Vor ungefähr zwanzig Jahren wurde aus einer übersehenen Band namens CAMPINGSEX eine bis heute ebenfalls nur begrenzt wahrgenommene andere Band namens MUTTER, die bis heute sieben, von Extremen geprägte, Studioplatten auf die Welt losließ.

Produzierte man auf den ersten drei Platten "Ich schäme mich Gedanken zu haben, die andere Menschen in ihrer Würde verletzen", "Komm" und "Du bist nicht mein Bruder" überwiegend anstrengenden, kakophonischen Noiserock - quasi die Blaupause für den späteren SURROGAT-Sound -, der aber schon zu dieser Zeit eine für eine deutsche Band ungewohnte Verschmelzung von radikalem Lärm und inhaltlicher Tiefsinnigkeit aufwies, überraschten MUTTER im Jahr 1995 noch viel mehr, als sie mit "Hauptsache Musik" so eine Art Schlagerplatte aufnahmen - nach wie vor ihr kleines Meisterwerk - und damit BLUMFELD vorgriffen.

Mit "Nazionali" und "Europa gegen Amerika" wurde man zwar danach wieder etwas krachiger, aber fokussierter. Letztendlich blieben MUTTER immer unberechenbar, das zeigte auch 1999 Max Müllers erstaunlich ruhige Soloplatte "Endlich tot".

Bereits 1993 hatte Müller den hervorragenden Soundtrack zu Jörg Buttgereits Film "Schramm" komponiert, in dem auch sein Mitmusiker und TV-Produzent Florian Koerner von Gustorf mitspielt - Buttgereit wiederum drehte Videos für die Band.

Und jemand wie der inzwischen ausgestiegene Gitarrist Frank Behnke betätigte sich als Manager für den singenden Kerzendreher Klaus Beyer. MUTTER waren irgendwie immer mehr als eine Band - egal in welche Schublade man zu stopfen versucht -, vielleicht näherte sich man ihnen deshalb auch wesentlich respektvoller an.

Oder eben gar nicht, denn als MUTTERs subversive Schockästhetik dann zum Diskurspop hochgeschrieben wurde - auch wenn sie mit Hamburger Schule nun wirklich gar nichts zu tun haben -, hatten die meisten wohl noch weniger Lust auf die Band, es sei denn, man war Spex-Leser.

Nachdem es dann auch immer schwieriger wurde, überhaupt ihre Platten zu bekommen - das Label Die Eigene Gesellschaft, geleitet von Max Müller und der damaligen Managerin der Band, Gundula Schmitz, hatte sich schließlich selbst demontiert -, wurden MUTTER in den letzten Jahren nicht mehr wirklich wahrgenommen.

Der im Oktober anlaufende Dokumentarfilm von Antonia Ganz soll da wohl Abhilfe schaffen, ebenso wie diese Werkschau mit 26 Stücken, darunter auch drei ganz neue, die nicht unbedingt so klingen, als ob das jetzt der Schwanengesang der Band wäre.

"Das ganze Spektrum des Nichts" - ein durchaus MUTTER-würdiger Titel - ist nicht chronologisch aufgebaut, vielleicht gar keine so schlechte Idee, denn so erschließt sich die Vielschichtigkeit der Band leichter, denn gerade die Stücke der ersten drei Platten sind nach wie vor harter Tobak.

Und nach dem Hören der Platte hat man tatsächlich das Gefühl, es mit einer der unterbewertesten deutschen Bands der letzten 20 Jahre zu tun zu haben, deren Unangepasstheit man auch noch bei den neuen Stücken deutlich spüren kann, zwischen brutalem Krach, nachdenklichen Texten und chanson-artigen Melodien.

Underground-Rockmusik mit offenem Konzept und ohne jegliche Selbstzweckhaftigkeit vollkommen an Zeitgeistströmungen vorbeiproduziert - einer muss es ja schließlich machen -, was MUTTER in dieser Form wichtiger denn je macht.

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