V.A.

Waahnsinn

Anfang der achtziger Jahre wollte der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß mit seinen CSU-Schergen im Taxölderner Forst beim oberpfälzerischen Wackersdorf (s)eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) für abgebrannte atomare Brennstäbe bauen lassen.

Der Supergau im April 1986 im russischen Tschernobyl gab diesem Vorhaben den ersten Dämpfer. Für das Anti-Waahnsinns-Festival in Burglengenfeld, das sich im Juli '86 zum fünften Mal jährte, sollte es mit 120.000 Besuchern den Höhepunkt in der Geschichte gegen die WAA bedeuten.

Und alle sind sie gekommen, die damals im deutschen Pop- und Rockzirkus Rang und Namen hatten: BAP, BIERMÖSL BLOSN, DIE TOTEN HOSEN, Herbert Grönemeyer, HAINDLING, Udo Lindenberg, PURPLE SCHULZ, Rio Reiser und Wolf Maahn, der mit Unterstützung das furchtbare "Tschernobyl - Das letzte Signal" zum Besten gab.

Dieses CD-Release ist identisch mit dem damals veröffentlichten Doppelvinyl. Neu sind die zusätzlich abgedruckten Retrospektiven einiger prominenter Zeitzeugen. Ein sentimentales Gefühl macht sich breit beim Gedanken an die Zeit, als der wortkarge Oberpfälzer Landwirt und der Punk aus Berlin gemeinsam das Hüttendorf errichteten und Nägel in die Waldbäume schlugen, um die Sägeblätter der Motorsägen beim Rohdungsversuch abspringen zu lassen.

Die Oma brachte den "Berufsdemonstranten", die im Hüttendorf die Stellung hielten, heiße Kartoffelsuppe. Wegen eines Buttons mit "Atomkraft - Nein Danke!" erhielt man einen Schulverweis und ich schwänzte die Schule, um in meiner Heimatstadt Neunburg vorm Wald die Erörterungstermine in der Stadthalle mitzuverfolgen.

Als das Doppelvinyl veröffentlicht wurde, ging ein Teil des Erlöses an die Anti-Atom-Bewegung "David gegen Goliath". Ob mit diesem Rerelease auch jemand unterstützt wird, wollte ich von der Promotion-Agentur wissen, aber mehr als "Müsste man mal beim Label anfragen" erhielt ich nicht als Antwort.

Im Info ist ein derartiges Kaufargument nicht aufgeführt ... - Als Strauß 1988 verstarb, wurden die Stimmen der Befürworter der WAA leiser. Der Weiterbau wurde gestoppt, aber nicht der ökologischen, sondern nur der ökonomischen Argumente wegen: In Frankreich wurden die Brennstäbe kostengünstiger aufbereitet.

Aus dem Hochsicherheitstrakt im Taxölderner Forst ist nun ein Industriepark geworden. Für das Atomkraftwerk im tschechischen Temelin, nahe der deutschen und österreichischen Grenze hat sich kein Schwein interessiert.

Dass Radioaktivität vor Landesgrenzen keinen Halt macht, hatte man 1990 bereits wieder vergessen. Aber das ist ein anderes Thema ...