CRIPPLE BASTARDS

Blackmails And Assholism

Eigentlich hätte dieses Review schon in der letzten Nummer erscheinen sollen, aber die Länge dieses Werkes hat den engen Zeitrahmen für den Ox-Herstellungsprozess gesprengt. Grundsätzlich halte ich Musik-DVDs für entbehrlich, aber nachdem ich knapp 6,5 Stunden mit "Blackmails And Assholism" verbracht habe, wage ich die Behauptung, dass diese DVD zu den existenziell wichtigen Dokumenten einer Bewegung gehört, die in einem Atemzug mit "American Hardcore" zu nennen ist.

Ist jener eher die Dokumentation einer Szene zu einer bestimmten Zeit, so ist "Blackmails And Assholism" eine gewaltige Langzeitstudie der italienischen Grinder CRIPPLE BASTARDS, die sich über 20 Jahre Bandgeschichte in allen Details erstreckt.

DVD 1 beleuchtet die Band in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens, von den Anfängen als Noisecore-Duo mit allen damit verbundenen Obskuritäten, wie Demos mit 350 Songs und Gitarren, die durch 12 Verzerrer liefen.

Den Hintergrund der Band, der auf extremer Gewalttätigkeit und Nihilismus beruht, erläutern lang, ausführlich und unterhaltsam die Bandgründer Giulio The Bastard und Alberto The Crippler, die sich mit diversen Drummern und Bassisten ohne Proberäume von Aufnahme zu Aufnahme kämpfen, sich durchaus international einen Ruf aufbauen können.

Auffallend ist der enge Bezug zur italienischen Hardcore-Szene der Achtziger, so dass CRIPPLE BASTARDS Noise- und Grindcore einfach als extreme Spielarten von Hardcore sehen und Metal eher als späteren Einfluss auf diese Szene geltend machen.

Beeindruckend sind die Aufnahmen der ersten Gigs im kriegszerrütteten Serbien, dem Heimatland von Giulio The Bastard, in irgendwelchen Lagern direkt nach Kriegsende. Auch auf den diversen Covern verarbeitet die Band die Thematik ausführlich.

Nach den ersten zehn Jahren verlässt schließlich Alberto The Crippler die Band, die über längere Zeit ein Doppelleben führt, einerseits als Vierer- oder Fünferbesetzung live und in anderer Besetzung als Band, die die nächste LP "Misantropo A Senso Unico" schreibt.

Die erste DVD schließen noch zwei Aufnahmen der US-Touren 2002 und 2003 ab, die sehr gut den engen Kontakt der Band zum Publikum und ihre brutale und extrem physische Live-Präsenz zeigen.

So gibt es kaum eine Aufnahme ohne die vom Mikro malträtierte Stirn von Giulio The Bastard. Zu dieser Zeit handelt sich die Band dann den ersten Ärger mit der p.c.-Polizei ein, da sie für ihre Compilation-CD "Almost Human" einen Screenshot aus einem Brutaloporno namens "Forced Entry" benutzt, in dem ein gestörter Vietnamveteran reihenweise Frauen vergewaltigt und abschlachtet.

Auf diesem Screenshot wird eine Frau mit vorgehaltener Pistole zum Oralverkehr gezwungen. Man mag ja zu solchen Covern stehen, wie man will, aber es ist verblüffend, dass übelste Kriegsbilder mit zerstückelten Leichen immer als Anklage gedeutet werden, dieses Cover mit sexueller Gewalt aber nun ausgerechnet sexistisch und nicht anklagend sein soll.

Nun denn, die Band erhält im ABC No Rio Hausverbot und einige Studenten gehen sicherheitshalber keine Diskussion ein, sondern berufen sich auf einen Beschluss des Kollektivs. Jeder, der diese obskuren Situation schon erlebt hat, fragt sich vielleicht zu Recht, warum Kollektive eigentlich immer fünf Minuten vor dem Gig merken, welche Band sie eigentlich eingeladen haben.

Die CRIPPLE BASTARDS spielen zwei Tage später zum ersten Mal einen neuen Song namens "Bomb ABC No Rio". DVD 2 beleuchtet dann die letzten 10 Jahre der Band, wobei die Perspektive zu Schwerpunkten wie der Freundschaft zu der Brasilianern RATOS DE PORAO, die neidlos als technisch überlegen anerkannt werden, zu den Machern des Obscene Extreme-Festivals oder zu der Turiner Hardcore-Szene und dem Dordoni-Squat wechselt.

Im Kapitel "Controversy And Assholism" gehen die CRIPPLE BASTARDS dann nochmals ans Eingemachte und geben ihre durchaus verständlichen Standpunkte zum Umgang von Veranstaltern mit Bands zum Besten, die der Band ja durchaus das Image von arroganten Rockstars gegeben hat.

Aber ist es wirklich angemessen, eine Band in einer Gartenlaube unterzubringen und statt eine Dusche zu stellen auf eine Gießkanne zu verweisen? So geschehen nicht im tiefsten Osten, sondern in der Kulturmetropole Köln.

Es erscheint mir persönlich nicht absolut unverständlich, dass eine Band, auf eigene Kosten wohlgemerkt, ein Hotelzimmer mietet und nicht den, wie die CRIPPLE BASTARDS es nennen: Crust-As-Fuck-Standard annehmen, nämlich auf vollgekotzten Matratzen in ungeheizten Zimmern voller Hundescheiße zu nächtigen.

Sicher ein Extrembeispiel, aber wer mal mit einer Band unterwegs war, kennt diese oder ähnliche Situationen, die sich zwar ganz witzig lesen, aber in der Realität nicht wirklich lustig sind.

Wie eingangs schon erwähnt, ist dieses Mammutwerk ein unersetzliches Zeitdokument, das in jede gut sortierte DVD-Sammlung gehört, auch wenn man kein Grind-Fan ist. Gerade für Punks, die eben nicht wie die grauen Eminenzen dieser Redaktion zwanzig Jahre dieser Szene überblicken können, ist diese DVD essentiell, um den Spirit der damaligen Zeit zu verstehen.

Stand ich bisher den CRIPPLE BASTARDS durchaus kritisch gegenüber, so haben sie mich "Blackmails And Assholism" komplett auf ihre Seite gezogen. Danke für die Mühe und unendliche Arbeit, die in dieser DVD steckt.

Italienisch mit englischen Untertiteln. (10)