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JOY DIVISION

Im selben Jahr wie Anton Corbijns mäßiges Biopic CONTROL entstand auch Grant Gees Dokumentarfilm über die titelgebende Band aus Manchester, die in den letzten Jahren in jedem zweiten Bandinfo als Einfluss genannt wurde, dieses Gefühl hatte man zumindest.

Für eine Band, die letztendlich nur zwei echte Studioplatten aufgenommen hatte, umgab Joy Division ein geradezu beängstigender Mythos, wie so oft bedingt durch den tragischen Selbstmord des Sängers, der sich im Mai 1980, zwei Tage vor der geplanten ersten Amerika-Tour, also vor dem möglichen kommerziellen Durchbruch, in seinem Haus in Macclesfield bei Manchester erhängte.

Zurück ließ Ian Curtis seine Frau, sein Kind, die Geliebte Annik Honoré, sowie Bernard Sumner, Stephen Morris und Peter Hook, die danach mit New Order dennoch beachtlichen Erfolg haben sollten, aber das weiß man ja eigentlich alles schon.

Menschen, die erst 30 Jahre später mit dieser der englischen Punkwelle Ende der 70er entstammenden Band konfrontiert werden, haben wahrscheinlich Schwierigkeiten, die kultische Verehrung nachzuvollziehen, die Joy Division immer noch erfahren.

Musik, die trotz ihrer Eigenständigkeit an die soziale Trostlosigkeit einer heruntergewirtschafteten englischen Industriestadt gekoppelt ist und damit an ein bestimmtes zeitlich definiertes Lebensgefühl.

Ein finsterer, halliger Sound kam da aus den Boxen, komprimierte Verzweiflung und Ausweglosigkeit, deprimierend und gleichzeitig unglaublich kraftvoll, und vollkommen losgelöst vom damaligen Punkkontext.

Großen Anteil an deren originärem Erscheinungsbild hatten maßgeblich drei Menschen: Tony Wilson, Martin Hannett und Peter Saville. Wilson, der die Fertigstellung des Films leider nicht mehr erlebte, gründete bekanntlich das stilbildende Label Factory, auf dem die Joy Division-Platten erschienen.

Produzent Hannett, der bereits 1991 Opfer seines Drogenkonsums wurde, verpasste ihnen ihren speziellen Klang und Grafikdesigner Saville schuf ihre eigenwilligen mysteriösen Cover. Ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk, zusammengehalten von den abgründigen künstlerischen Ambitionen eines Ian Curtis, dessen manische Bühnenauftritte nach wie vor eine verstörende Intensität besitzen.

Corbijn reduzierte die kurze Geschichte der Band leider auf eine banale Ménage à trois, wodurch die Musik viel zu kurz kam. Das ist bei Gees Dokumentation glücklicherweise nicht der Fall, sicherlich auch bedingt durch die Beteiligung von Punkchronist Jon Savage, der den Fokus auf die wirklich spannenden Aspekte der Bandbiographie richten kann.

Im Mittelpunkt stehen dabei natürlich die Interviews mit Sumner, Morris und Hook, die auf sehr lebendige Weise ihre Erlebnisse mit dem schwierigen Frontmann schildern. Curtis’ Witwe Deborah lehnte eine direkte Beteiligung ab, dafür ist Annik Honoré oft im Bild, eine sehr sympathische, nachdenkliche Person, ganz anders als die Frau, die uns Corbijn in seinem Film präsentierte.

Wilson und Saville sind ebenfalls prominent vertreten und überraschenderweise auch Throbbing Gristle-Gründer Genesis P-Orridge, der ja ebenfalls aus Manchester stammt und einige Male auf Curtis getroffen sein muss.

Dabei ergibt sich ein erfreulich komplettes Bild, wesentlich kompletter als in Corbijns Film, und vor allem emotional ergreifender, besonders als Sumner, Morris und Hook auf Curtis’ Ableben zu sprechen kommen – auch Honoré hat offensichtlich immer noch Schwierigkeiten, nach dieser langen Zeit die Fassung zu bewahren.

Sehr angenehm ist auch, dass JOY DIVISION nicht nur aus „talking heads“ besteht, sondern Gee ebenso in visueller Hinsicht ein anschauliches Zeitdokument geschaffen hat, ohne durch eine übermäßige Bilderflut die inhaltliche Ebene zu beschädigen beziehungsweise von ihr abzulenken.

Ein intelligenter, informativer und künstlerisch anspruchsvoller Film, der sich angenehm von dem Großteil eher öder Dokumentationen über Bands und Musiker abhebt und der dem Mythos Joy Division ein menschliches Antlitz verschafft, ohne diesen damit völlig zu entzaubern.

Als Bonus gibt es noch weitere 60 Minuten Interviews, die nicht mehr in den gut 90-minütigen Film hineingepasst haben, und eine interessante Ergänzung darstellen. Man kann JOY DIVISION je nach Geschmack entweder als sinnvolle Ergänzung zu Corbijns Film ansehen oder eben als die wirklich wahrhaftige und vollkommen ausreichende Auseinandersetzung mit dieser Band – ich würde mich jederzeit für Letzteres entscheiden.