ROEDELIUS

The Diary Of The Unforgotten (Selbstportrait VI)

Hans-Joachim Roedelius ist bekanntlich eine Hälfte von CLUSTER und ähnlich wie sein Kollege Dieter Moebius nahm auch dieser seit Ende der Siebziger diverse Platten unter seinem eigenen Namen auf, neben anderen Kollaborationen.

„Lustwandel“ ist nach dem wundervollen „Jardin Au Fou“ von 1979 Roedelius’ drittes Album, entstand zwar im selben Jahr wie dieses, wieder mit Peter Baumann (TANGERINE DREAM) als Produzent, wurde aber erst 1981 auf Sky veröffentlicht.

Während Kollege Moebius sich auf seinen Platten oft eher nervösen, leicht unterkühlten Synthie-Sounds zuwandte, übernahm Roedelius von CLUSTER vor allem die weiche, melodische Seite, die auf „Lustwandel“ ebenso wie bereits auf „Jardin Au Fou“ weniger an typische Minimal-Elektronik erinnert als an avantgardistische Klassik-Kompositionen, was ihre Klangfarbe und die in sich ruhende, melancholische Stimmung angeht.

Generell ist auch hier Roedelius’ Arbeitsweise eher abstrakt und wenig songorientiert, aber es entstehen dennoch recht einprägsame, regelrecht euphorische Melodiebögen und eben ein sehr humanoider Touch, den man bei elektronischer Musik nur zu oft vermisst.

Wie so viele Soloarbeiten von Roedelius besticht auch „Lustwandel“ durch seine Zeitlosigkeit und unirdische klangliche Schönheit, die deutlich seinen Status als Pionier im Bereich Elektronischer Musik untermauert.

Ähnliches lässt sich auch über „The Diary Of The Unforgotten (Selbstportrait VI)“ sagen, eine Sammlung von Aufnahmen aus den Jahren 1972 bis 1978, erstmals 1990 veröffentlicht und ähnlich wie einige CLUSTER-Alben, ebenso wie die Arbeiten mit HARMONIA und die Aufnahmen mit Brian Eno, in der ländlichen Idylle des Weserberglands aufgenommen.

Das schlägt sich deutlich in den zehn Kompositionen nieder, die etwas ungemein friedfertiges und unhektisches ausstrahlen, so dass man tatsächlich das Gefühl hat, mitten im Wald zu stehen und sich im Einklang mit der Natur zu befinden.

Rurale, sanft dahinfließende Ambient-Stücke, die eigentlich bis in alle Ewigkeit andauern könnten, wie es beim 24-minütigen „Hommage à Forst“ fast auch der Fall ist. 1981 erschien mit „Wenn der Südwind weht“ Roedelius’ siebtes Album, das mit dem Titeltrack quasi nahtlos an seine Aufnahmen von „The Diary Of The Unforgotten“ anschließt, wobei die Kompositionen mit ihren pulsierenden Basslinien und den sphärischen Keyboardsounds gewisse Charakteristika aufweisen, die man auch bei TANGERINE DREAM finden kann.

Ein immer noch grundsätzlich sehr „leises“ Album, das aber für Roedelius-Verhältnisse beinahe Synthiepop ist, wenn auch in gewohnt abstrakter Form, ebenfalls voller wunderschöner, harmonischer Momente, die auch „Wenn der Südwind weht“ zu einem der Highlights in dessen Gesamtwerk machen.