V.A.

Dirty Water: The Birth Of Punk Attitude

Mancher hat es geahnt, aber so, wie das Universum nicht vor 5.000 Jahren entstand (was die hirnlosen Christenfundis in den USA glauben) und die Nazis 1945 nicht auf den Mars zurückgeflogen sind, sondern brave Bundesbürger wurden, so kroch Punk auch nicht an einem grauen Londoner Morgen des Jahres 1976 aus einem U-Bahn-Schacht.

Nein, es gab eine Vorgeschichte, und die versucht der britische Musikjournalist und frühere Fanzinemacher (ZigZag) Kris Needs mit dieser 33 Bands umfassenden Compilation zu erzählen, an der sicher auch Jon Savage seinen Spaß hätte – und sei es nur am Diskutieren darüber, was nun Punk war und ist und was nicht.

Aber zurück zu „Dirty Water“: Anders, als es der Labelname suggeriert, gab es in Sachen devianter Außenseitermusiker also keine Stunde, kein Jahr Null, sondern eine kontinuierliche Entwicklung hin zum Erreichen einer kritischen Masse, die 1976/77 zur „Punk Explosion“ führte und deren Nachhall und Fallout bis heute weltweit zu messen ist.

Davor gab es in grauer Vorzeit Blues, der den weißen Herrenmenschen nicht passte, Jazz war sowieso entartet, dann versauten Elvis und der Rock’n’Roll in den Fünfzigern die Jugend und der Untergang des christlichen Abendlandes drohte, und erst die Sechziger, die Hippies, die Drogen ...

Und ungefähr da setzt diese Compilation ein, um sich bis Mitte der Siebziger vorzukämpfen. Laute Musik wurde immer lauter und aggressiver, MC5, THE STOOGES, NEW YORK DOLLS, ROCKET FROM THE TOMBS und SUICIDE sind allgemein als „Protopunk“ anerkannt mit ihrem Wirken um das Jahr 1970 herum, der Einfluss der Dolls auf Malcolm McLaren und die SEX PISTOLS ist gut dokumentiert, aber drumherum gab es eine ganze Bandbreite von ähnlich radikalen Bands.

Und so hat Kris Needs diese für die Spätgeborenen zusammengefasst, auf dass sich Lücken schließen und das Raster feiner wird: THE STANDELLS legen mit dem Titelsong „Dirty water“ los, THE SEEDS, THE DEVIANTS und PINK FAIRIES folgen, Gene Vincent und FLAMIN’ GROOVIES ebenso, Glamrock findet in Form von T.

REX Berücksichtigung, THE MONKS durften auf keinen Fall fehlen, auch nicht Jello Biafras Lieblinge, die SciFi-Rocker ZOLAR X, ebenso die Jazz-Experimentier SUN RA, natürlich sind MC5 vertreten, die BAD BRAINS-Vorbilder DEATH, THE STOOGES, SUICIDE und NEW YORK DOLLS erwähnte ich bereits, THE SENSATIONAL ALEX HARVEY BAND und DR.

FEELGOOD sind eher Vertreter des Pub-Rocks, CAN und RED KRAYOLA sowie ROCKET FROM THE TOMBS Vertreter der progressiven Schiene, und THE DICTATORS, THE HOLLYWOOD BRATS und THE SAINTS durften auch nicht fehlen.

Ja, auch dieses Bild ist unvollständig, andere hätten andere und weitere Bands berücksichtigt, doch wer immer archäologisches Interesse hat, stößt mit den erwähnten Bands und ein paar Stunden Wikipedia-Recherche in immer interessantere Bereiche vor.

Und musikalische Puristen seien an den Titel erinnert: „Punk Attitude“ – es geht um eine Geisteshaltung, nicht um die oft falsch verstandene Story von den drei Akkorden oder Irokesen-Haarschnitte.