WILLIE NELSON

All Time Best (Reclam Musik Edition)

Jeder, der in Deutschland zur Schule ging und geht, kennt die dünnen, gelben Büchlein des Reclam-Verlags, der in der günstigen Edition „Universal-Bibliothek“ unzählige Klassiker der Literatur veröffentlicht hat.

Farbe (klassisch gelb, aber auch orange, rot, grün und blau) wie Typo sind seit 1970 Designklassiker, schnörkellos und unverkennbar, und an diese Tradition versucht nun Sony mit einer Best-Of-Serie unter dem Titel „All Time Best“ anzuknüpfen, deren zweite Staffel nun erschienen ist.

Zur ersten Staffel schrieb ich: „Natürlich gibt es von all denen bereits zig andere Best-Of-Kopplungen, so dass sich die Frage stellt, was Sony & Reclam anders gemacht haben – und ob“ und dazu kam dann auch der Hinweis, dass man bei dieser Reihe mitnichten in jedem Fall eine neue Compilation erstellt hat, sondern wohl auch einfach nur ein „Repackaging“ bereits unter anderem Namen erschienener Comps betreibt.

Der Reclam-Name dient also wohl mehr dem Marketing, als dass damit hier ein besonderer musikhistorischer Anspruch verbunden wäre. Immerhin: Im Booklet findet sich jeweils ein kurzer Artikel zu Band/Musiker/Sänger, dazu eine kommentierte Diskografie nebst historischer Zeitleiste – solides Beiwerk.

Was nun die Künstler betrifft: Die Lou Reed-Comp deckt den Zeitraum von 1972 bis 1984 ab, und damit sind hier maßgeblichen Klassiker nach der Zeit mit VELVET UNDERGROUND enthalten. Das wundervolle „Perfect day“ ist der Opener, der Überhit „Walk on the wild side“ folgt, dann „Vicious“, „I love you Suzanne“ springt von 1972 nach 1984, „Coney Island baby“ darf nicht fehlen, und auch „Satellite of love“ gehört zwingend dazu.

Ich hätte ja unbedingt noch „The power of positive drinking“ dazugepackt, aber das ist Geschmackssache. Solider Karriereüberblick, ein guter Ersteinstieg jenseits von V.U. Was nun Willie Nelson betrifft, so hat der seltsamerweise nie den Kultcharakter eines Johnny Cash erreicht, obwohl er eigentlich in politischer Hinsicht der coolere Typ ist und als Vertreter des „Outlaw Country“ gilt, in den USA als suspekt angesehene liberale Positionen vertritt und unter anderem für die Marihuana-Legalisierung kämpft.

Musikalisch allerdings hat Cash die Nase vor, schon beim zweiten Song „To all the girls I’ve loved before“, eine üble Schnulze im Duett mit Julio Iglesias, fällt einem das Essen aus dem Gesicht.

Diese 20-Song-Kopplung erschien bereits 2008 unter dem Titel „Legend: The Best Of Willie Nelson“ und enthält neben Klassikern wie „On the road again“ oder „City of New Orleans“ auch ein, zwei HIGHWAY MEN-Nummern.

Eine solide Einführung, die aber auch bei den beiden genannten Klassikern mit Live-Versionen mogelt. Auch die Rory Gallagher-Comp ist ein klassischer Fall von altem Wein in neuen Schläuchen: „Big Guns: The Best Of Rory Gallagher“ heißt die Zusammenstellung von 2005 eigentlich, aber der 1995 im Alter von 47 Jahren verstorbene Ire kann sich ja nicht mehr wehren.

Gallagher, dessen musikalische Karriere in den Sechzigern begann, hatte seine Hochphase in den Siebzigern und galt seinerzeit neben THIN LIZZY und Van Morrison als wichtigster irischer Beitrag zur Rockmusik.

Man verzeihe mir diese despektierliche Aussage, aber irgendwie ist es von heutiger Warte aus schwer, das musikalische Verdienst Gallaghers in vollem Umfang zu würdigen und zu erkennen. Anders ist das bei Leonard Cohen: Der 1934 geborene Kanadier ist bis heute musikalisch aktiv, dennoch entstand der wichtigste Teil seines musikalischen Schaffens Ende der Sechziger und in den Siebzigern.

Das spiegelt auch diese Zusammenstellung wider, bei der es sich um die 2009 erschienene Update-Version des im Original 1975 erschienenen „The Best Of Leonard Cohen“-Albums handelt, dem neben Hits wie „Suzanne“, „So long Marianne“, „Sisters of mercy“, „Famous blue raincoat“ oder „Chelsea hotel“ noch eine Reihe weiterer, neuerer Songs zur Seite gestellt wurden.

Die lakonischen, düsteren Nummern Cohens sind zu Recht Klassiker, deren unter die Haut gehender Intensität man sich nicht entziehen kann und will. Ein ganz anderer Fall ist da Falco. Der 1957 in Wien geborene Johann Hölzel begann seine musikalische Karriere schon in den späten Siebzigern, war unter anderem Teil der österreichischen Kultband DRAHDIWABERL, die zwischen Kunst, Kabarett und Punk eine eigenwillige Existenz entwickelte, doch sein Erfolg kam solo 1981/82 mit „Der Kommissar“, einem Lied, das Bezug nahm auf die geniale Krimi-Serie „Kottan ermittelt“, wobei solche Feinheiten weniger interessierten im Zuge des Neue Deutsche Welle-Hypes.

Mit Sicherheit ist das Phänomen Falco (der verstarb 1998 bei einem Unfall) interessanter als sein musikalisches Erbe, sind doch Hits wie „Rock me Amadeus“, „Vienna calling“, „Jeanny“ oder „Junge Roemer“ sehr zeittypische Pop-Rock-Nummern, die im Gegensatz zu manch anderem damaligen Klassiker heute völlig antiquiert und überproduziert wirken.

Wer dennoch jenseits billiger Flohmarktplatten noch Bedarf hat, wird hier rundum bedient.