BRUTAL VERSCHIMMELT

s/t

Das Allgäu ist gemeinhin nicht die Gegend in Deutschland, die man mit Punkrock in Verbindung bringt, aber wer in den Achtzigern in Süddeutschland lebte, der weiß, dass sich in Kempten, Leutkirch, Wangen, Lindau und anderen (Klein-)Städten durchaus Menschen für Punk und Hardcore interessierten – gerade in der zweiten Hälfte der Achtziger hatte sich dort eine aktive Szene mit diversen Jugendzentren und recht vielen Konzerten etabliert.

1980 allerdings dürfte man in Kempten noch extrem aufgefallen sein als Jugendlicher mit Hang zu Springerstiefeln, Lederjacke und seltsamer Frisur – no fun. BRUTAL VERSCHIMMELT gründeten sich im Sommer 1980, die Mitglieder waren 14-jährige Gymnasiasten.

Ein Jahr später folgte das erste Konzert, ganz klassisch auf dem Schulfest, doch erst mit dem Einstieg von Sänger Roland „Rotze“ Wagner war die Besetzung so brauchbar, dass man im Dezember 1981 einen Auftritt bei einem Kemptener Punk-Festival wagte.

Die Proberaumnachbarschaft zu den schon etwas etablierteren B.TRUG, die 1982 auf dem damals in Sachen Punkrock in Deutschland führenden (und noch unverdächtigen) Label Rock-O-Rama ihre LP veröffentlichten, führte dazu, dass auch BRUTAL VERSCHIMMELT von Herbert Egoldt einen Vertrag angeboten bekamen.

Im Mai 1983 schließlich nahmen die Allgäu-Punks in Köln ihre Platte auf, die bald darauf mit von Egoldt entgegen dem Bandentwurf gebastelten Cover erscheint. Drummer F. ist da schon ausgestiegen, bis Sommer 1984 spielt man noch ein paar Konzerte, dann ist der Spaß auch schon wieder vorbei.

Bassist Carl Kallen und Rolo treffen sich später in Berlin bei den EWINGS (Bonzen Records) wieder, Ersterer spielt auch bei CHILLI CONFETTI und PARANOISE. 1986 gab es noch mal ein Konzert, erst durch dieses Release-Projekt kam es zu einer Reunion, der im Juni 2013 eine kleine Tour folgt(e).

Die Neuauflage besteht aus zwei LPs: auf der ersten gibt’s das Originalalbum, auf der zweiten Demo- und Live-Songs. Dazu kommt ein sechsseitiges covergroßes Booklet mit Texten, Zeitungsausschnitten, Besetzungslisten und Fotos sowie einer Bandhistory aus der Feder von Carlo.

Bleibt die Frage, ob jemand diese Wiederveröffentlichung brauchte – und die Antwort ist klar: ja. Als Zeitdokument, als Beweis von Gegenkultur in einer extrem konservativen Gegend ist so eine Veröffentlichung notwendig, die Texte, auch wenn oder gerade weil sie von halbwüchsigen Gymnasiasten geschrieben wurden, dokumentieren die Wut, die damals jeder empfand, der in der frisch von Helmut Kohl und seiner stockkonservativen CDU übernommenen BRD leben musste.

Die Texte, so simpel sie sind, kann man auch heute noch unterschreiben, sind die Essenz dessen, was Punk damals ausmachte.