CHARLES DE GOAL

Algorythmes

Wer sich in den grausamen Achtzigern darauf freute, als Provinzbewohner zumindest einen Abend in der Woche zusammen mit Gleichgesinnten irgendwo im Umkreis von 100 Kilometern die Musik hören zu können, die man liebte, musste dafür in Kauf nehmen, dass dieser Tag auch mal ein Mittwoch sein konnte und Schule und Arbeit sich eben danach zu richten hatten.

In meinem Fall hieß der Fluchtpunkt Violet, eine von Deutschen und US-Soldaten gleichermaßen frequentierte Diskothek in einem Industriegebiet von Neu-Ulm. Jeden Mittwoch war dort Wave- und Punk-Abend, aus hundert Kilometer Umkreis reisten die Schwarzgekleideten an, um für drei, vier Stunden unter sich sein zu können und durchgehend ihre Musik zu hören – nicht nur 15 Minuten lang, wie in den normalen Diskotheken, wo der DJ mal drei, vier Punk-Songs spielte, dann aber nicht zu wild getanzt werden durfte.

Einer der Standards im Violet war neben den üblichen Verdächtigen (SISTERS OF MERCY, TUXEDOMOON, THE CURE ...) „Exposition“ von CHARLES DE GOAL, von einer Platte aus dem Jahre 1980, erschienen auf New Rose, die damals nicht mehr zu bekommen war und die ich durch etwas Glück auf Kassette überspielt bekommen hatte.

Ich hatte nie eine ernsthafte „Wantlist“, aber diese LP wollte ich immer haben, und als die dann Ende der Neunziger für unter zehn Mark beim legendären Vohwinkler Nachtflohmarkt in einer Händlerkiste stand, konnte ich mein Glück kaum fassen – ebenso als ich 2006 die wiederbelebte Pariser Formation (die seinerzeit eigentlich das Soloprojekt eines gewissen Patrick Blain war) live sehen und interviewen konnte.

2006 war auch eine CD-Wiederveröffentlichung von „Algorythmes“ erschienen, und jetzt erst gibt es via Danger Records aus Paris eine Vinyl-Neuauflage mit exakter Reproduktion des Originalartworks und in wirklich exzellenter Klangqualität.

Wer immer sich für Post-Punk und New respektive Cold Wave interessiert, sollte sich spätestens jetzt mit diesem extrem eingängigen Klassiker des Genres beschäftigen, der sich durch seine Mischung aus elektronischen, tanzbaren Beats einerseits und der Schärfe des Punk andererseits auszeichnet.

„Exposition“, der Opener der A-Seite, ist der Standout-Track des Albums, aber das folgende „Dans le labyrinthe“ ist nicht weniger interessant, wohingegen „Synchro“ und „L’homme Pierre“ eher experimentelles Terrain erkunden.

„Radio on“ von der B-Seite ist ebenfalls ein Dancefloor-Killer, die Bowie-Nummer „Hang on to yourself“ klingt dann wie von einer anderen Band: klassischer Rock/Punk, allein ein seltsamer Synthie-Beep stellt die Verbindung her.

„Fréderic“ ist genauso scharf wie düster, die Gitarre grandios distorted, wohingegen „Ralentissement sur l’autoroute“ wieder in die Kategorie „experimentell“ gehört, bevor es zum Schluss mit dem scharfen „Modem“ wieder genretypisch wird und der Gesang zwischen Französisch und Englisch wechselt.

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