RAW POWER

Tired And Furious

Neben D.OA. (die zwar ständig auf Abschiedstour sind, denen das aber keiner mehr glaubt) sind RAW POWER wohl mit die dienstälteste, noch regelmäßig tourende und Alben veröffentlichende Band aus der prägenden Gründungsphase des Hardcore-Genres Anfang der Achtziger.

Zuletzt war 2010 „Resuscitate“ erschienen, aber „wiederbeleben“ musste man die Band eigentlich nicht wirklich, genauso wenig wie die Band heute, den Titel aufgreifend, „müde“ wirkt, dafür umso wütender – und wenn man sich den Text des gleichnamigen Songs mal durchliest, wird die Bedeutung klarer: Da kommt mal wieder ein neuer Chef mit smarten Ideen, der die Angestellten und Arbeiter plagt, doch die sind nach all den Jahren und zig neuen Chefs nur noch genervt und wütend von all den tollen Ideen, die sowieso nichts bringen.

Auch die anderen Texte überzeugen durch ihre direkte Art – vielleicht liegt es an der Übersetzung aus der Muttersprache Italienisch, dass diese so wenig verklausuliert wirken. „Cancer“ etwa drückt die Wut darüber aus, jemanden an diese beschissene Krankheit zu verlieren, und in „Reunion“ rechnet Sänger Mauro „MP“ Codeluppi mit der ganzen Bandreunion-Schwemme ab: „We never broke up [...] / We never gave up / And we’re proud of that“. „Wir“ ist dabei freilich tragischerweise nur bedingt korrekt, ist doch MP das letzte verbliebene Urmitglied der 1981 gegründeten Band aus dem norditalienischen Reggio Emilia: Kurz nach der Fertigstellung des Albums „Still Screaming After 20 Years“ von 2002 erlitt Giuseppe Codeluppi, der Gitarrist und Bruder von Sänger Mauro, einen Herzinfarkt und verstarb, und auch andere Mitglieder kamen im Laufe der Jahre abhanden.

Aber auch wenn MP „nur“ der Sänger der Band ist, hielt er diese doch musikalisch auf Kurs, nicht nur textlich und politisch. Klar, so brachial und brutal wie zu Zeiten des ersten Albums „You Are The Victim“ oder den Neuaufnahmen eines Großteils jener Songs für die 1985 auf dem US-Label Toxic Shock erschienene, legendäre „Screams From The Gutter“-LP klingen RAW POWER heute nicht mehr, aber ihr aggressiver Trademark-Sound ist immer noch vorhanden. So wichtig die Band für die europäische Hardcore-Szene war – gerade in der zweiten Hälfte der Achtziger war die von besetzten Häusern geprägte Szene Norditaliens sehr stark und brachte eine Reihe von auch in deutschen AZs und Juzes allgegenwärtigen Bands hervor –, so präsent waren RAW POWER immer auch in den USA, wo sie bis heute viele Fans haben.

Da wundert es nicht, dass auch ihr neues Album wieder auf Beer City aus Milwaukee erschienen ist. Mike Beer hatte als großer Fan 2011 bereits die umfassende Werkschau „The Reagan Years“ veröffentlicht, eine ideale Zusammenstellung für alle Spätgeborenen.

Das Coverartwork des vorliegenden Albums stammt übrigens von Joe Petagno, der auch schon für PINK FLOYD, MOTÖRHEAD, LED ZEPPELIN und ein paar andere nicht ganz unbedeutende Bands gearbeitet hat.