BE YOUR OWN PET

Foto© by Kirt Barnett

Zwischen Latexanzug und Elternabend

Die Band aus Nashville feierte schon kurz nach ihrer Gründung 2003 große Erfolge: Majordeal, große Festivals, Radio-Sessions – alles innerhalb kürzester Zeit. Doch schon wenige Jahre später löste sich die junge Band wieder auf. Sängerin Jemina Pearl und ihre Bandkollegen waren damals überforderte Teenager. Heute ist Jemina Mitte dreißig und Mutter. Im Interview spricht sie über das aktuelle Album „Mommy“, das Jack White auf seinem Third Man-Label veröffentlicht hat. Es geht um schlechte Erfahrungen in der Musikbranche, wie ihr das Muttersein zu neuer Kraft verholfen hat und warum Mamis in Latex sexy sind.

Kannst du mir erzählen, warum ihr die Band damals aufgelöst habt?

Wir waren sehr jung und alles ging so schnell. Es gab eine Menge Druck und Erwartungen an uns. Und wir waren zu viel auf Tour – sechs Wochen unterwegs, dann eine Woche zu Hause, und dann wieder fünf Wochen unterwegs. Ich glaube, das war einfach nicht tragbar für uns. Vor allem unserem Gitarristen Jonas ging es zu schnell. So kam es zur Trennung.

Das ist über 15 Jahre her. Arbeitest du jetzt hauptberuflich als Musikerin?
Ja. In den letzten zehn Jahren war ich Hausfrau und Mutter, die hier und da einen Gelegenheitsjob hatte, sich aber hauptsächlich um die Kinder gekümmert hat. Jetzt habe ich BE YOUR OWN PET als Job, was wirklich toll ist.

Das erste Mal habt ihr 2021 im Vorprogramm von Jack White wieder auf der Bühne gestanden. Wie war das nach so langer Zeit für euch?
Total surreal, denn das war ein Stadion-Konzert, und die einzige Erfahrung, die wir mit größeren Bühnen hatten, waren Festivals. Das ist etwas völlig anderes. Wir haben am Vorabend eine sehr kleine Probeshow gespielt, um unsere Nerven zu beruhigen, weil wir nicht wussten, wie es sein würde, wieder zusammen zu spielen. Aber ich habe jede Minute davon genossen. Ich hatte das Gefühl, dass ich meine Rock’n’Roll-Fantasie auslebe, als ich auf dieser großen Bühne stand.

Haben deine Kinder euch live spielen sehen?
Nur zwei Mal, das erste Mal in Nashville als Vorgruppe von Jack White. Ich glaube, es hat ihnen beiden sehr gut gefallen.

Als kleines Kind hätte ich es so cool gefunden, wenn meine Mutter auf einer Bühne gestanden hätte.
Meine zehnjährige Tochter Lula ist auf jeden Fall sehr interessiert. Sie möchte gerne Tierärztin und Sängerin in einer Rockband werden. Mein sechsjähriger Sohn Elvis sagt eher: „Warum musst du weggehen?“ Er will die ganze Zeit in meiner Nähe sein. Das letzte Mal, dass er uns spielen sah, war bei einem Festival in Atlanta. Ihm war langweilig und er wollte, dass ich mit ihm von der Bühne verschwinde.

Ich finde es toll, wenn Mütter auf der Bühne stehen. Ich weiß noch, wie Cecilia von BABOON SHOW mal bei einer Show sagte: „Die Jungs übernehmen mal kurz, ich muss backstage eben mein Kind stillen.“ Danach kam sie zurück, als sei nichts gewesen.
Das ist super. Ich habe das Gefühl, dass sich die Branche verändert, um mehr Raum für Mütter zu schaffen. Es ist wirklich cool zu sehen, wie jemand die beiden Lebensstile miteinander verbindet, weil man nicht immer das Gefühl hat, dass es passt.

Es ist bestimmt auch nicht immer leicht.
Ich bin mir sicher, dass ich jetzt eine bessere Mutter bin, weil ich meiner Leidenschaft nachgehe, zwei Wochen lang wegfahre und die Shows spiele. Daraus ziehe ich viel Energie und Inspiration. Und dann kann ich nach Hause kommen und habe das Gefühl, dass meine Seele genährt ist. Dann kann ich mich wieder ein oder zwei Monate lang mehr darauf konzentrieren, einfach nur Mutter zu sein. Wir planen unsere Touren aber auch sehr sorgfältig, so dass wir nicht länger als zwei, zweieinhalb Wochen unterwegs sind. Für mich wäre es zu schwer, länger von meinen Kindern getrennt zu sein. Das muss aber jeder selbst wissen, ich will überhaupt nicht über berufstätige Mütter urteilen, die das anders machen. Für mich funktioniert es so einfach am besten.

Das Muttersein ist ein großes Thema auf dem Album. Ich habe viel mit meiner Mutter darüber gesprochen, weil sie eine alleinerziehende Mutter mit vier Kindern war. Sie hat wenig Unterstützung bekommen, dafür aber eine Menge Kritik. Sie sagte immer: Als Mutter kann man nichts richtig machen.
Klar, entweder ist man zu sehr auf seine Karriere konzentriert und ist eine schlechte Mutter, oder wenn man zu Hause bleibt, ist man eine faule Hausfrau. Man kann es nicht richtig machen. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr die Gesellschaft Frauen im Allgemeinen verurteilt. Ich wollte mit den Songs darstellen, wo ich jetzt in meinem Leben stehe. Und ich wollte Akzeptanz für mich selbst und andere Mütter schaffen, die sich nicht auf die stereotype Art und Weise präsentieren. Ich bin immer noch ich selbst. Ich habe immer noch meine eigene Identität. Man ist keine völlig andere Person, weil man Mutter ist. Trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass ich einem ganz bestimmten Stereotyp von einer Mutter entsprechen muss oder sollte.

Das spiegelt sich auch im Albumtitel und im Artwork wider. Wir sehen den großen Schriftzug „Mommy“ und dich in einem schwarzen Latexanzug. Dabei wird der Begriff selten mit Sexyness verbunden, „Daddy“ hingegen schon.
Ja, genau. Wir haben total unterschiedlichen Erwartungen an Väter. Ich kenne so viele, die als Musiker auf Tour sind und sie werden nie gefragt, was es für sie bedeutet, Vater zu sein. Das ist schon komisch. Ich denke, man sollte ihnen diese Fragen stellen. Das wollte ich aufgreifen und sagen: Mami ist sexy und Mami ist genauso mächtig, wenn nicht sogar mächtiger als Daddy.

In den sozialen Medien gibt es ja auch diesen „Dad bod“-Hype. Da finden Leute dann den Körper von Vätern sexy, wenn er ein kleines Bäuchlein hat. Bei Frauen und Müttern ist das irgendwie nicht sexy.
Ganz genau, eine Doppelmoral ist das. Ich bin 36. Mein Körper hat sich durch die Geburt von zwei Kindern und das Älterwerden sehr verändert. Ich fühle einen inneren Druck, auf eine bestimmte Weise auszusehen. Ich kämpfe ständig damit, dass ich nicht mehr den Körper einer Zwanzigjährigen habe, obwohl das total normal ist.

Deshalb fand ich dieses Fetisch-Thema auf dem Album interessant. Erstens assoziiert man das Muttersein nicht mit Fetischen. Und außerdem waren Fetische schon immer ein Thema im Punk, wenn man an die frühen Designs von Vivienne Westwood denkt.
Als ich als Teenager die Entwürfe von Vivienne Westwood sah, hat mich das auf meinen eigenen Latexfetisch gebracht. Ich fand sie subversiv und sexy und wirklich cool. Es ist aber auch ziemlich teuer, deshalb habe ich mich damit erst richtig beschäftigt, als ich schon älter war. In Latex fühle ich mich sehr stark, mächtig und sexy. Und das wollte ich auf der Platte aufgreifen.

Cool, dass du so offen damit umgehst, viele Leute reden nicht gerne darüber.
Das stimmt. Als ich jünger war, fühlte ich mich oft von den Medien sexualisiert. Damals war ich noch minderjährig. Also ging ich den umgekehrten Weg und trug kein Make-up oder kleidete mich sehr androgyn und fühlte mich einfach sehr unwohl. Jetzt bin ich wieder da. Meine Freunde bezeichnen mich als „Domi Mommy“, haha. Heute habe ich die Kontrolle über meine eigene Sexualität und die Art und Weise, wie ich wahrgenommen werde.

Was haben die Medien damals über dich geschrieben?
Meine Auftritte waren eigentlich nicht besonders sexuell aufgeladen, trotzdem wurden sie so wahrgenommen. Es war bisschen wie bei Britney Spears, wenn auch in einem viel, viel kleineren Rahmen. Als ob ich jeden anmachen wollte oder sollte. Ich erinnere mich an einen Fotografen, der wollte, dass ich an einem Lolli lutsche. Ich sagte, dass ich mich damit nicht wohl fühle. Darauf sagte er zu mir: „Oh, du bist bestimmt noch Jungfrau.“ Ich habe das damals meinem Manager erzählt und wollte, dass wir mit den Auftraggebern des Fotografen reden. Er sagte aber: „Wir können jetzt keinen Rückzieher machen, sonst drucken sie die Geschichte vielleicht nicht mehr.“ Ich war erst 17. Es waren immer solche Kleinigkeiten. Ich hatte das Gefühl, dass man mir meine Macht genommen hat. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie mich nur demütigen wollten.

Kann ich mir vorstellen. Ich wollte mit dir noch über den Song „Erotomania“ sprechen. Da geht es ja um Stalking. Ich habe da selbst mal unschöne Erfahrungen gemacht, die am Ende dazu geführt haben, dass ich als Teenager aufgehört habe, E-Gitarre zu spielen.
Es tut mir leid, dass dir das passiert ist. Ich kenne viele Frauen, die ihre kreativen Aktivitäten oder die Musikindustrie im Allgemeinen wegen solcher Dinge aufgegeben haben. Das ist nicht unbedingt ein sicherer Raum für Frauen oder Menschen, die als Frauen gelesen werden. Ich hatte selbst eine Zeit lang einen Stalker.

Warum hast du den Song aus Perspektive des Stalkers geschrieben?
Das weiß ich gar nicht so genau. Ich fand es interessant, das auszuprobieren, weil ich gar nicht so bin. Aber als ich jünger war, als Jugendliche, war ich besessen von manchen berühmten Leuten oder Musikern. Fandom ist super interessant, besonders bei heranwachsenden Mädchen. Sie neigen mehr dazu, obsessiv zu sein. Kennst du den Film „Der Fan“? Ein deutscher Horror-Thriller aus den Achtzigern. Es geht um ein 13- oder14-jähriges Mädchen, das von einem New-Wave-Sänger besessen ist und ihn am Ende umbringt. Den hatte ich gerade gesehen, als ich den Text für den Song schrieb.

Ich glaube, mein Lieblingstext ist trotzdem der von „Big trouble“. Da verlangst du zum Beispiel Lohn für Hausarbeit und kostenlose Kinderbetreuung. Ein Freund von mir sagte, diese Ideen seien ziemlich radikal. Das fand ich überhaupt nicht.
Das ist interessant. Ich glaube, die feministische Bewegung hat oft die Mütter vergessen. Sie hat sich sehr auf den Arbeitsplatz konzentriert, was eine sehr kapitalistische Denkweise ist. In vielerlei Hinsicht ist es so: Was ist radikaler als Fürsorge? Es ist das Gegenteil von Kapitalismus. Eine Mutter zu sein bedeutet so viel unbezahlte Arbeit und die Gesellschaft würde ohne sie nicht funktionieren. Wir sollten Unterstützung von unserer Regierung bekommen. Wir sorgen dafür, dass die Länder, in denen wir leben, funktionieren.

Die Texte handeln auch von Abtreibung. Das fand ich deshalb spannend, weil ich noch nie so viele Geschichten über Abtreibung in der Punk-Szene gehört habe wie in den letzten zwei, drei Jahren. Ich finde es toll, dass Frauen immer mehr über ihre eigenen Erfahrungen sprechen.
Das stimmt. Ich habe abgetrieben, als ich 18 war. Das war die beste Entscheidung meines Lebens. In Amerika sind Abtreibungen vielerorts unmöglich, Frauen, die dafür in einen anderen Bundesstaat reisen müssen, werden kriminalisiert. Es ist jetzt wichtiger denn je, über unsere eigenen Erfahrungen zu sprechen. Abtreibungen gab es schon immer und es wird sie immer geben. Das ist einfach eine Tatsache.

Würdest du deine Erfahrungen in einen Song verpacken?
Das wollte ich immer schon tun. Es fällt mir aber schwer, die richtigen Worte zu finden. Ich will es aber auf jeden Fall noch thematisieren. Es steht repräsentativ dafür, dass Frauen nicht zugetraut wird, eigenen Entscheidungen zu treffen, und dass ständig unsere Körper durch Gesetze bestimmt werden. Gleichzeitig wissen wir über die Gesundheitsfürsorge für Frauen immer noch so vieles nicht, weil die Forschung zu wenig finanziert wird.

An der Abtreibungsdebatte stört mich auch oft, dass es nur um Extremfälle geht. Aber ein Abbruch ist ja auch dann okay, wenn man ganz einfach keine Lust hat, Mutter zu werden.
Das sehe ich auch so. Jeder Grund, keine Mutter sein zu wollen, ist ein guter Grund. Ich glaube, wenn ich wieder schwanger werden würde, würde ich abtreiben. Ich habe schon zwei Kinder und zu mehr bin ich nicht in der Lage. Statistiken zeigen, dass die meisten Frauen, die abtreiben, bereits Mütter sind. Es gibt all diese Gesetze gegen Abtreibung, aber wir unterstützen die Mütter nicht, zum Beispiel eben mit Löhnen für die Hausarbeit oder kostenloser Kinderbetreuung. Wenn man Frauen unbedingt zwingen will zu gebären, dann muss man dieser Realität auch Rechnung tragen.

Klingt, als hättest du genug Material für neue Songs.
Ja, vielleicht für „Mommy 2“, haha. 2024 werden wir bestimmt mehr schreiben, wenn wir eine Pause von den Shows haben. Ich muss noch mal betonen, wie dankbar ich meinen Bandkollegen bin. Sie unterstützen mich bei allem, worüber ich singen möchte, und in meinen politischen Ansichten. Das sollte zwar eine Selbstverständlichkeit sein, aber nicht alle Männer sind so.

Habt ihr vor, in Europa auf Tour zu gehen?
Wir wollen es demnächst versuchen. Die Konzertlandschaft hat sich seit unserer ersten Tour ziemlich verändert. Wir müssen sehen, wie wir das machen, ohne viel Geld dabei zu verlieren, weil wir uns das nicht leisten können. Wir sind keine große Band. Aber ja, wir wollen auf jeden Fall so bald wie möglich nach Europa kommen.