Dafür / dagegen

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Punk ist (bald) tot!?

Punk wurde schon zigmal für tot erklärt, erstmals ungefähr 1979. Und an anderer Stelle – gerne auf Nietenlederjacken – wurde und wird trotzig mit „Punk’s not dead!“ dagegen gehalten. Die großen Punk-Wellen der Siebziger, der Achtziger und des Revivals der Neunziger sind längst Geschichte, Teenage-Punks heute an ihrer Schule allein mit diesem Look, Rap ist der „Subkultur-Mainstream“, doch andererseits gibt es heute wohl mehr Punk-Festivals als je zuvor, es gründen sich ständig neue Bands. Wir lassen hier mal Argumente aufeinanderprallen.

Dafür

1979 haben CRASS Punk bereits für tot erklärt. Was natürlich Quatsch war. Hier soll es jetzt auch gar nicht um die Inhalte gehen, warum die ehemalige Jugendkultur Punk meines Erachtens aussterben wird. Vieles hat sich fort- und weiterentwickelt, wobei vieles toll und vieles schlecht ist. Punk wird sich über kurz oder lang aus biologischen Gründen auflösen, weil die Leute, wenn sie sich nicht ohnehin in den letzten Jahrzehnten abgewandt haben, sterben werden. Und nichts neues nachkommt. Wenn ich mir das Line-up des Ruhrpott Rodeo 2024 ansehe, finde ich eine einzige unter den Stand heute angekündigten 23 Bands, die man vielleicht als Nachwuchs bezeichnen könnte. Oben auf der Liste stehen so „Jungs“ wie BAD RELIGION, die TOY DOLLS, FEAR und SUICIDAL TENDENCIES, die allesamt über vierzig Jahre unterwegs sind. Also nicht zusammengerechnet. Henry Rollins hat 2013 auf die Frage, ob er noch Musik machen wird, geantwortet, dass das nur eine Verarsche der Leute wäre – die ohnehin schon viel zu viele betreiben würden. Das verstehe ich sehr gut. Aaron war mit 44 Jahren zu alt für Hardcore und BANE haben sich aufgelöst. Das verstehe ich sehr gut, aber auch, dass die Band sich gerade wieder zusammengetan hat. Es kann natürlich sein, dass mir ein großer Teil des Punk-Nachwuchses völlig entgeht, der im Wohnzimmer seine mp3s aufnimmt und sich nirgendwo listet. Ich glaube aber, dass ich sie überwiegend sehe – allerdings sind das meist Bands im Bereich „Metal-Hardcore“, der in der Art eigentlich wenig mit Punk zu tun hat. Meinem Empfinden nach boomt das sogar ziemlich – und das finde ich fantastisch. Das bedeutet mir viel mehr als das Rentnertreffen Rebellion – das natürlich jeder Mensch feiern soll, der es möchte! Biologisch gesehen wird das in zwanzig Jahren womöglich vor zwanzig Zuschauer:innen stattfinden. Ich finde es auch nicht schlimm, sondern ganz natürlich – jede Oma und jeder Opa beißt irgendwann ins Gras. Oder gibt es etwa noch eine Hippie-Szene?
Roman Eisner

Dagegen
Punk ist nicht tot, er riecht auch nicht komisch – höchstens im Hochsommer in kleinen, überfüllten Clubs. Wie bei vielen anderen Modewellen ist es auch bei Punk so, dass es über die Jahrzehnte ein Auf und Ab gab. Mitläufer:innen waren für einen Sommer dabei, dann war die Phase vorbei – der harte Kern blieb und ist bis heute geblieben. Meine These: Auf Punk-Konzerten ist das Durchschnittsalter heute deshalb so hoch, weil Menschen Ü20, Ü30, Ü40, Ü50, Ü60 ihrer Musik, ihrer Sozialisation treu geblieben sind. Vor dreißig Jahren gab es keine Ü60-Punks, aber auch keine FEINE SAHNE FISCHFILET-Konzerte vor 5.000 Leuten. Ach, das sind ja gar nicht alles Punks? Waren die Leute, die vor 45 Jahren bei THE CLASH im Publikum standen, alle Punks? Und überhaupt, was ist überhaupt Punk? Nach welcher Definition werten wir das empirisch aus? Und ist die Meinung zum (vermeintlichen) Tod und Aussterben von Punk, wenn sie von Menschen über fünfzig geäußert wird, nicht sowieso irrelevant? Ich behaupte: Es gibt bis heute genügend Menschen unter zwanzig, die sich von der Mainstreamkultur in ihrer Alterskohorte nicht abgeholt fühlen und im Punk eine Alternative finden. Der Nachwuchs ist da, und weil die Menschen, die in den Achtzigern schon Punks waren, und die aus den Neunzigern und Nullern und Zehnern auch, dabei geblieben sind, sind wir heute so viele wie nie zuvor – wenn auch im Schnitt älter als je zuvor. Und sowieso, wer behauptet, Klassik sei tot, oder Jazz (vor 100 Jahren eine rebellische Jugendbewegung!)? Musikbasierte Jugendkulturen altern, sie wandeln sich, sie erfinden sich neu, und es bedarf des genauen Hinschauens, um zu erkennen, wo da junge Pflänzchen durch den Asphalt brechen.
Joachim Hiller