ILLEGALE FARBEN

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Aufstieg zum Gipfel der Katastrophe

Es ist von außen schwer zu beurteilen, wie viele Bandmitglieder wirklich aktiv an einem Album mitgewirkt haben und wie die einzelnen Personen wohl zu den ganzen Songs stehen. Da ist es erfreulich zu hören, dass die Post-Punks ILLEGALE FARBEN bezüglich ihrer neuen, vierten Platte stolz vermelden können, dass nichts zu hören ist, das nicht alle für gut befunden haben. Wenngleich es nicht schwer ist sich vorzustellen, wie viele Anstrengungen dem schönen Endprodukt „Monte Fiasko“ vorangegangen sind. Sänger Thomas, Gitarrist Thilo und Bassist Chris berichten vom komplizierten Erklimmen eines Berges, auf dessen Gipfel ihr neues und spannend diverses Album wartet.

Ihr habt in unserem letzten Interview erzählt, dass es ein schwieriger Prozess war bei eurer letzten Platte „Unbedeutend ungenau“. Wie sah diesmal der Weg hin zu „Monte Fiasko“ aus?

Thomas: Als wir das letzte Mal sprachen, hatten wir gerade unsere dritte Platte veröffentlicht. Die ist ein Produkt ihrer Zeit gewesen, weil wir gerade an neuen Songs gearbeitet haben, als die Pandemie losging. Viele Bands mussten sich fragen, ob sie mit der Veröffentlichung ihrer neuen Sachen weitermachen oder lieber warten, bis es wieder normal wird. Es wusste ja niemand, was noch passiert. An einem gewissen Punkt konnte man sich gar nicht mehr vorstellen, dass es wieder so wird wie jetzt. Wir haben uns entschieden, etwas zu veröffentlichen, haben aber das ursprünglich geplante Album verworfen und uns für das Konzeptalbum entschieden. Es war die verhinderte Platte, weil wir alles umschmeißen mussten. Dieses Mal haben wir uns hingesetzt und gesagt: Wollen wir ein Album machen und wenn, wie? Wir drei schreiben die Songs normalerweise zusammen und holen die anderen zwei dann mit dazu. Und so ist es dann auch passiert.

Es hieß ja, dass die eigentlich geplante Platte quasi fertig war. „Monte Fiasko“ ist aber nicht dieses aufgrund der Pandemie verworfene Album?
Thomas: Auf Spotify gab es eine Playlist mit allen Songs von der Session, deren Kondensat am Ende „Unbedeutend ungenau“ war.
Thilo: Aus der Session gab es zwei Songs, die zwar wieder im Topf waren, es am Ende aber nicht geschafft haben. Auf „Monte Fiasko“ sind jetzt nur neue Songs.

Das neue Album folgt formal wieder der Popstruktur mit elf Songs. Wie war die Erfahrung mit dem Konzeptalbum, dass ja quasi nur aus einem langen Song bestand? Würdet ihr so was noch mal machen?
Thomas: Ich will auf jeden Fall keine neue Pandemie haben, die mich zwingt, nichts mehr richtig machen zu können. Als Kind seiner Zeit finde ich das Album gut.
Thilo: Wir haben die Platte ja wirklich nur ein Mal aufgeführt. Das war mega, aber es wird bei einem Mal bleiben. Ich könnte mir schon vorstellen, so was noch mal zu machen. Die anderen beiden wissen noch gar nicht, dass ich da schon was in der Hinterhand habe. Das ist aber noch nicht spruchreif. Eigentlich glaube ich aber, dass wir eine Band sind, für die so ein Konzept schwer ist, weil wir eigentlich nie der gleichen Meinung sind. Das macht es nicht leichter.
Thomas: Wir hatten das Album gar nicht in den normalen Vertrieb gegeben. Es gab nur eine Limited Edition. Einen Tag vor der Veröffentlichung war das Album ausverkauft. Als wir endlich wieder auf Tour waren, hatten wir also gar keine Platten mehr. Das war rückblickend doof, aber es war ja nicht absehbar, wann es wieder Konzerte geben kann. Das hat das Konzept beeinflusst. Wenn bei einer Show alle in ihren Autos sitzen oder aus Strandkörben zusehen, funktionieren wir nicht so, wie wir normalerweise ein Konzert spielen. Stattdessen kam uns die Idee, die Songs mit einem Film zu kombinieren. Beim neuen Album hatten wir einen sehr offenen Anfang. Alle Ideen wurden erst mal gesammelt und so langsam hat sich das Puzzle zusammengesetzt.
Thilo: Die Platte ist am Ende sehr viel diverser geworden.

Kommen wir zu „Monte Fiasko“: Ihr habt euch mit Stefanie Schrank von LOCAS IN LOVE und Cecilia Boström von THE BABOON SHOW zwei illustre Gastsängerinnen eingeladen. Wie kam da der Kontakt zustande?
Chris: Der Kontakt zu Cecilia kam über mich. Ich arbeite seit etwa zehn Jahren als fester Soundmensch und Tourmanager mit BABOON SHOW zusammen. Wenn du auf Tour bist, fühlt sich das mehr als Familie an und nicht als Geschäftsbeziehung. Da hat sich eine Freundschaft entwickelt. Als wir überlegt haben, dass wir gern Leute für die Platte einladen würden, war Cecilia auf der Liste und sie hat direkt zugesagt. Der Kontakt mit Stefanie kommt über Björn, der auch bei LOCAS IN LOVE spielt und bei dem wir die letzte Platte im Bear Cave Studio aufgenommen haben. Sie hat auch direkt zugesagt.
Thomas: Mit Björn und Stefanie hat sich auch eine Freundschaft entwickelt. Björn ist auch immer noch interessiert an ILLEGALE FARBEN und möchte sich gern einbringen. Ich hatte wiederum vorher schon mal einen Gastauftritt beim GORILLA CLUB, der Kinderband von den Leuten von LOCAS IN LOVE. Im Endeffekt waren das also kurze Wege.

Besonders Cecilia bringt ja in euren Song „Gefühle“ was sehr Eigenes plus eine ordentliche Portion Rock ein.
Chris: Das ist sicher mit das energetischste Stück, das wir auf unseren Platten haben.
Thomas: Was soll das denn heißen, hä? Spaß beiseite. Es gibt bei Gastauftritten zwei Optionen. Entweder du nimmst das, wofür ein:e Künstler:in bekannt ist, oder du versuchst, eine ganz andere Seite zu zeigen. Aber gerade bei dem Song ist es geil, wie sie noch einen draufsetzt.
Chris: Bei Stefanie konnten wir uns „Möwen“ sehr gut vorstellen. Nicht nur wegen ihres Gesangs, sondern auch wegen ihrer diversen Instrumente, die sie da noch beigetragen hat. Es war cool, sie auf den Song loszulassen.

„Monte Fiasko“ lässt sich übersetzen als der Gipfel der Katastrophe. Was genau markiert den Gipfel?
Thomas: Es ist das sich Aufschichten von ganz vielen Dingen, die gleichzeitig passieren, hin zu einem Berg, der sich immer höher auftürmt. Auf dem Gipfelkreuz steht „Monte Fiasko“. Ich bin irgendwann mal auf eine Stadt in Italien gestoßen, die Montefiascone heißt, also ganz ähnlich. Ich fand das Bild interessant, und als sich die Lieder zusammenfügten, hat sich schon ein roter Faden herausgestellt. Es geht um den Umgang mit großen und kleinen Krisen, Unzulänglichkeiten, das Gefühl, nicht dazuzugehören. All das wurde zusammengepackt und in diesem Album auf die Spitze getrieben. Tatsächlich finde ich den Titel auch witzig.

Ist der Titel auch metaphorisch als Schaffenshöhepunkt zu verstehen?
Thomas: Das hast du jetzt gesagt. Aber wir haben sehr intensiv darüber diskutiert, ob wir überhaupt noch mal ein Album in der jetzigen Zeit machen wollen. Finanziell ist der Titel auf jeden Fall Programm. Das lohnt sich kaum für Bands. Wenn wir aber loslegen, müssen wir auch eine richtige Platte machen und nicht so ein paar Singles. Wir haben um jedes einzelne Lied auf „Monte Fiasko“ hart gerungen und ich kann für mich sagen, dass jeder Song zu den Besten zählt, die wir machen können.

Es ist also ein solcher Kampf, ein Album zusammenzustellen?
Chris: Ja, der Kampf zieht sich durch viele Aspekte. Es hat lange gedauert, an den Punkt zu kommen, dass wir zusammen eine Platte machen. Ich war lange noch nicht wieder soweit, weil der Weg zu „Unbedeutend ungenau“ sehr anstrengend war und wir uns viel gerieben haben. Wir brauchen die Reibung auch, damit etwas zustande kommt. Ich brauchte erst ein bisschen Erholung, bevor das Thema Album wieder aktuell wird. Bei Songs ist das ähnlich. Wir haben alle unsere Favoriten und starke, nicht deckungsgleiche Meinungen dazu.
Thilo: Wir machen ja auch wirklich alles selbst, außer den zwei Songs, die wir ans Bear Cave Studio geschickt haben. Sonst ist alles bei uns im Studio passiert. Thomas hat die Promo-CDs gepackt, wir basteln den Merch zusammen, wir machen die Videos selbst. Das ist schon viel und manchmal müssen wir auch Sachen machen, um Geld zu verdienen.

Wollt ihr das alles selber machen oder macht es sonst keiner?
Thilo: Zu großen Teilen wollen wir das schon.
Thomas: Wir müssen uns ja auch erst eine Meinung bilden. Wenn da nun noch jemand kommt und Ideen einbringt, wird es heftig. Bei Videos könnten wir wohl noch Leute reinlassen, da ist es dann auch eine Budgetfrage. Mittlerweile haben wir uns an die lückenlose Kontrolle gewöhnt. So ist alles aus einem Guss. Da machen wir aus der Not eine Tugend. Anders als beim Album davor wollten wir, dass wir wirklich nur das machen, was alle wollen und keine Kompromisse eingehen. Das ist sehr anstrengend und führt dazu, dass Thilo einen Tag vor Abgabe ins Presswerk ein Lied komplett über den Haufen wirft. Das Coole daran ist, dass alle all-in gegangen sind.
Thilo: Für uns ist die Platte schon alt und ich bin bereits an dem Punkt, dass ich sie mir nach all der Arbeit nicht mehr anhören kann. In zwei Jahren geht es wieder.

Es ist interessant, dass alle von euch alle Songs gut finden sollten, wenn ich mir anhöre, wie divers die Platte geworden ist. Da sind mit Liedern wie „Amerika“ Sachen dabei, die ich so noch nicht von euch gehört habe. Gab es mehr Raum, um mit Ideen zu experimentieren?
Chris: Wir haben dieses Studio ja gebaut, um hier selber unsere Platten aufnehmen und produzieren zu können. Bei „Monte Fiasko“ ist es jetzt auch wirklich so passiert. Wir haben Zeit und können uns hier austoben, und das hat damit zu tun.
Thomas: Es sei denn, man sagt dem Label, dass bis November alles fertig ist und noch eine Tour dazwischen spielt. An „Monte Fiasko“ finde ich cool, dass wir das Spektrum aufgemacht haben. Wir haben mit „Gefühle“ den bis dato härtesten Song auf dem Album und auf der anderen Seite ein Lied wie „Slow dance“, das wir so auch noch nicht hatten. Anfangs gab es die klare Gitarre-Bass-Schlagzeug-Gesang-Struktur. Jetzt kommen Erfahrungen mit rein, die wir in den letzten Jahren gesammelt haben. Ich mag vielfältige Alben.

Zu dem Song „Immer nicht dabei“ habt ihr einen Running Gag auf Instagram, dass ihr markiert, wo ihr überall immer nicht dabei seid. Ist das wirklich nur Spaß oder steckt da auch ein bisschen Frustration drin?
Thomas: Das ist kein Spaß. Wenn wir hier reden, ist Jahresende vorbei und ich bin narzisstisch genug, um nachzusehen, ob bei den Top 50 von 2023 unsere Platte dabei ist. Alles andere wäre gelogen. Wir sind glücklich in der Situation, in der wir sind, aber natürlich würden wir auch gern auf Festivals spielen.
Thilo: Jetzt haben wir alles dafür getan, damit das nicht passiert. Wenn wir vorher schon zwischen den Stühlen gesessen haben, sitzen wir jetzt noch zwischen fünf weiteren. Ich habe heute gesehen, in was für Playlisten wir gelandet sind. Da war eine mit harten Punk- und auch Metalbands. Da hätte ich uns sonst nicht gesehen.
Thomas: Würden wir alles umarmende Musik machen, lägen die Dinge vielleicht anders, aber so sind wir nicht. Bei bestimmten Sachen sind wir zu Recht nicht dabei, weil wir es auch gar nicht wollen. Schön ist, dass man nicht weiß, was ironisch ist und was nicht.