20 Jahre später: INTERPOL

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Turn On The Bright Lights (CD/LP, Matador, 2002)

Eine gewisse Skepsis gegenüber der bereits im Vorfeld ihres Debütalbums angeworfenen PR-Maschinerie ist verständlich, aber im Rückblick ist es erstaunlich, dass dieses Qualitätsalbum und diese Band jemals mit Argwohn betrachtet worden sind. Denn INTERPOL haben nicht nur auf „Turn On The Bright Lights“, sondern in den letzten zwanzig Jahren generell vielgestaltige, nachdenkliche und über ihre gesamte Diskografie hinweg fesselnde Musik aufgenommen, die die vier New Yorker zu einer der spannendsten Rock-Bands des neuen Jahrtausends macht. Abgesehen von einer arroganten Attitüde, von einem modisch raffinierten Auftreten oder von ihrem beachtlichen finanziellen Erfolg bleibt im Dunkeln, warum INTERPOL bis heute eine merkwürdig umstrittene Band sind. Denn das alles mag zwar stimmen, ist aber unerheblich, wenn gleichzeitig feststeht, dass an ihrer Musik sowohl Indierock gewachsen ist, als auch Post-Punk zu neuer Bedeutung gelangt ist. Darüber hinaus hat ihr immenser Erfolg dafür gesorgt, dass mehr Menschen die unfassbare Magie und desaströse Energie von JOY DIVISION zuteil wurde. Der Vergleich mit der kurzlebigen Band aus Manchester ist weitgehend substanzlos, aber kompositorische Strenge, Unnahbarkeit und gleichförmige Rhythmik haben für INTERPOL um die Jahrtausendwende ausgereicht, um zu einem JOY DIVISION-Klon stilisiert zu werden. Paul Banks’ Lyrics sind metaphorisch, sehnend, launisch, schutzlos und angreifbar, drücken der Musik dennoch einen selbstbewussten Stempel auf, dem die anderen drei Musiker instrumental gerne entsprechen und die maßgeblich sind für eine klaustrophobische Hörerfahrung mit zu gleichen Teilen melancholisch anmutenden Stücken und zackig-melodiösen Tanzflächen-Songs. Die eckigen und dennoch leichtfüßigen Gitarreneinfälle von Daniel Kessler lassen „Turn On The Bright Lights“ in ähnlichem Maße erhaben wirken wie das dunkle Timbre von Paul Banks oder die prägnanten Bassläufe von Carlos Dengler, dessen Abschied INTERPOL im Jahre 2010 zu einer Neuausrichtung zwang. Eindringlich sind vor allem die wenigen längeren Instrumental-Passagen in den Stücken „Hands away“, „Roland“ und vor allem in „The new“, dessen schneidende Gitarre in das neben der ungewöhnlichen Liebeserklärung an „NYC“ vollkommenste Lied der Platte mündet. „Leif Eriksen“ ist eine textliche Offenbarung von Frustration, Hoffnung auf Liebe und Gleichgültigkeit in einer komplexen Beziehung: „But if your life is such a big joke / Why should I care?“ Dafür, dass INTERPOL ihren New Wave/Post-Punk vor jeglichen Anflügen von Gothic bewahrt haben, kann man dem Quartett nicht genug danken.