20 Jahre später: THE APPLESEED CAST

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Low Level Owl: Volume I (CD, Deep Elm, 2001)

Vom typischen Sound des Midwest-Emo, der weder in seiner Entstehung noch seiner Hochphase auf die namensgebende Region beschränkt war, aber eben dort doch immer eine Herzkammer hatte, entfernten sich THE APPLESEED CAST schon zuvor ein Stück. Das Vorgängeralbum „Mare Vitalis“ auf Deep Elm Records wies bereits unbeschwerte Momente und geradezu beschwingte Stimmungen im Vergleich zu anderen Emo-Bands auf. Überraschend war es dennoch, was APPLESEED CAST nur ein Jahr später auf „Low Level Owl“ präsentierten: Kein völliger Bruch, ganz im Gegenteil, aber nun fand eine massive Verpflanzung des Emo der zweiten Welle raus aus der College-Rock-Sphäre hinein in Gefilde von Prog- und Spacerock, Ambient und Drone statt, sowie eine deutlichere Betonung der Math-Rock-Wurzeln des Midwest-Emo. Rückblick sind schon viele dieser Tendenzen auf „Mare Vitalis“ zu vernehmen. Man kommt nicht umhin, das Schreckenswort „Konzeptalbum“ dafür hervorzuholen. Ein so ausladendes Album, das live mit all den Effekten und der Studiotüftelei kaum wiederzugeben wäre, dass das Label es mit seinen 26 Songs und fast zwei Stunden Spielzeit für zu gigantisch hielt und es in Volume I und II splittete, um es im Abstand einiger Monate zu veröffentlichen. Erst spätere Rereleases vereinten beide Teile und pressten sie dann auch auf Vinyl. „Low Level Owl“ lässt sich kaum in einzelne Songs aufteilen, sondern ist ein beständig fließendes, zwischen eher songorientierten Stücken und Ambienttracks mit dronigem Feedback wechselndes Erlebnis, das nur in seiner wechselseitigen Gesamtwirkung zu genießen ist, wenn die wabernden, repetitiven Gitarren sich aus den flächigen Keyboardsounds herausarbeiten, die Ambientparts vom Schlagzeugspiel Josh Baruths zu rhythmusorientierteren Passagen getragen werden. Während sich der Gesang zumeist im Hintergrund befindet, trägt die Produktion dem Stellenwert der Drums für das Album Rechnung und lässt sie satt im Vordergrund spielen. Denn Baruth und sein exzellentes Schlagzeugspiel sind es, die dem Album den immer wieder notwendigen Drive verpassen und verhindern, dass man sich als Hörer:in langsam ermattend in den Gitarrenloops und Keyboardlayern verliert. Trotz einiger ausschweifender Gesten, gerne verstärkt durch den Gebrauch von Hall, und seiner Spieldauer kommt „Low Level Owl“ aber nicht als bombastisches, überladenes Ungetüm daher, was sonst so manches progige Album charakterisiert. Ein Marathon ist es aber sicherlich, der aber immer mit einer eindrucksvollen Intensität und dichten Atmosphäre belohnt, wenn man sich „Low Level Owl“ mit seinen langen Spannungsbögen und verwobenen Arrangements erst einmal erschlossen hat.