25 Jahre später: GLUECIFER

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Ridin’ The Tiger (CD/LP, White Jazz, 1997)

Man soll über die Neunziger Jahre nicht meckern, zumal das im Nachhinein keinen Sinn macht. Wer wie ich jung genug war, konnte mit großen Augen all den interessanten Scheiß entdecken und in sich aufsaugen. Für gesetztere Geschmäcker gab es auch noch genug zu finden. Trotzdem existierten Typen, die sich nicht nur aus Interesse, sondern vielmehr aufgrund einer Antihaltung zur angesagten Gegenwart ausgiebig mit der Vergangenheit beschäftigten. Damit waren sie ihrer Zeit sogar voraus, indem sie Retro waren, bevor das allgemein cool wurde. Klingt kompliziert, besonders weil es hier nur um „Schweinerock“ aus Norwegen gehen soll. Auch wenn es so schien, als wäre das Phänomen innerhalb kürzester Zeit aus dem Nichts aufgetaucht, gab es für diese Musik, nicht nur in Skandinavien, genügend Freaks, die eine Suppe am Kochen hielten, die Ende der Neunziger überschwappte. Verantwortlich waren drei große Namen: TURBONEGRO, THE HELLACOPTERS und GLUECIFER. 1997 hatten TURBONEGRO, wie GLUECIFER aus Oslo, schon einige Alben veröffentlicht, besonders „Ass Cobra“ sorgte 1996 für Aufmerksamkeit und asoziale Begeisterung, und es sollte im folgenden Jahr mit „Apocalypse Dudes“ explodieren. Auch die HELLACOPTERS aus Schweden hatten im Vorjahr mit „Supershitty To The Max!“, sowie im Februar mit „Payin’ The Dues“ vorgelegt. Das nur kurz, um einen groben zeitlichen Zusammenhang zur Veröffentlichung von „Ridin’ The Tiger“ im Mai zu geben. Das Debüt von GLUECIFER, die sich ursprünglich gründeten, um auf einer Silvesterparty MISFITS-Coverversionen zu spielen, war Teil eines Hypes, der circa zwei Jahre lang dafür sorgte, dass sich alle auf das „Rock“ in Punkrock und Hardrock einigen konnten. Wie schon bei der Single „God’s Chosen Dealer“ (1995) und dem Mini-Album „Dick Disguised As Pussy“ (1996) sind die Vorbilder leicht herauszuhören: THE SAINTS, MC5, MOTÖRHEAD, THE DICTATORS, FASTER PUSSYCAT ... you name it. Also Bands, die sowieso seit jeher genreübergreifend wahrgenommen und geschätzt wurden. Hinzu kommt ein ausgeprägtes Verständnis für Garage-Rock, zu gleichen Teilen in Glam und Sleaziness getaucht. Das Ganze wirkt angenehm ungestüm und hat im Vergleich zu den folgenden Alben noch genug Dreck unter den Fingernägeln, um Legionen von Fanzine lesenden Punks abzuholen, die vorher für so was im besten Fall nur Spott übrig hatten. Gekrönt wird die Musik (natürlich haben sich die Kings of Rock selbst gekrönt) von Biff Malibus Bravade, dessen Gesang problemlos mit den Qualitäten eines Nash Kato mithalten kann. Aber wem erzähl ich das, „Ridin’ The Tiger“ gehört, nicht erst seit gestern, in jedes Regal.