30 Jahre später: LIFE OF AGONY

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River Runs Red (LP/CD/MC, Roadrunner, 1993)

Wenn man in den Neunzigern seine musikalische Sozialisation erfahren hat, wird man zwangsläufig auf „River Runs Red“ gestoßen sein, vielleicht eines der beeindruckendsten Debütalben in diesem Jahrzehnt. Dass diese Scheibe immer noch abgefeiert wird, zeigte die ausverkaufte Tour, die anlässlich ihres dreißigsten Geburtstags Anfang 2023 gespielt wurde. Ich traf die Gründungsmitglieder Alan Robert (bs) sowie Joey Z. (gt) kurz vor ihrem Konzert in Bochum, um ihnen einige Insiderinformationen zu „River Runs Red“ zu entlocken. „Viele Leute fragen mich immer nach den Zwischenspielen ‚Monday‘, ‚Thursday‘ und ‚Friday‘. Wir sind damals mit Konzeptalben groß geworden. ‚The Final Cut‘ von PINK FLOYD etwa war eines, was mich unfassbar inspirierte. Sie arbeiteten ja damals auch schon damit, verschiedene Geräusche oder kleinere Hörspieleinlagen zu integrieren. Wir wollten die Geschichte, die sich in unseren Songs entwickelt, auch direkt hörbar machen. Also haben wir Bekannte und Freunde gebeten, Textpassagen zu übernehmen. Die Schulleiterin wird beispielsweise von meiner Mutter gesprochen. Sie brauchte nicht viel Übung, da sie lange als Lehrerin gearbeitet hat. Das Mädchen, das über den Anrufbeantworter Schluss macht, war meine damalige Freundin.“ So erklärt Alan die Ausrichtung des Albums. Über die Entstehungsgeschichte weiß Joey noch etwas Interessantes zu berichten: „Die meisten Leute wissen gar nicht, dass TYPE O NEGATIVE bei dem Album einen richtig großen Einfluss auf uns hatten. Josh Silver, ihr Keyboarder, hat ‚River Runs Red‘ damals produziert. Wir kannten ihn schon länger und er brachte uns auf die Idee, die Gitarren tiefer zu stimmen und dadurch düsterer zu klingen. Teile der Songs sind im Original viel höher gewesen, aber als er uns im Tonstudio dann verschiedene Versionen vorgespielt hat, klang es tiefer einfach perfekt.“ Genau dieses Händchen dafür, Melancholie und Härte gekonnt zu fusionieren, verlor sich bei der Band aus Brooklyn leider im Laufe der Zeit. Sicherlich waren Nachfolgealben wie „Ugly“ oder „Soul Searching Sun“ kommerziell erfolgreich, ein Meilenstein wie „River Runs Red“ gelang dem Vierer später jedoch nicht mehr. Könnte man also sagen, dass sich die Band mit diesem herausragenden Album selbst ein Bein gestellt hat? War dies der sprichwörtliche Anfang vom Ende? Beim letzten regulären Studioalbum „Scars“ aus dem Jahr 2019 versuchte man, die Geschichte des suizidalen Protagonisten des Debütalbums weiterzuerzählen, und lieferte damit endlich mal wieder etwas Gelungenes ab. Es bleibt also spannend bei LIFE OF AGONY, die auf dieser Tour eindrucksvoll bewiesen haben, dass „River Runs Red“ nach wie vor derbe ballert.