30 Jahre später: NIRVANA

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In Utero (LP/CD, Geffen, 1993)

Befinden sich Alternative Rock und Grunge im Jahre 1993 noch im Höhenflug Richtung Mainstream, gehen NIRVANA nach dem überwältigenden Erfolg von „Nevermind“ mit „In Utero“ auf Abstand. Mit Steve Albini holt man sich gegen den Wunsch des Labels den passenden Querkopf als Produzenten hinzu. Der mächtige Drumsound des Albums geht dabei mutmaßlich auf sein Konto. Auch wenn „In Utero“ nicht mehr an die Eingängigkeit des Vorgängers heranreicht, ist es für Menschen, die sich an „Nevermind“ überhört haben, das vielleicht spannendere Album, weil es sich eben auch kritisch mit dem Erfolg der Band auseinandersetzt. Dabei wird der ursprüngliche Albumtitel „I Hate Myself And Want To Die“ verworfen, der gleichnamige Song landet auf dem Sampler „The Beavis And Butt-Head Experience“. Trotz dieser Zugeständnisse bleibt „In Utero“ unangepasst. Nicht umsonst startet das Album mit den Textzeilen „Teenage angst has paid off well / now I’m bored and old“. Und in „Rape me“ wiederum zitieren NIRVANA ziemlich deutlich mit Stinkefinger-Mentalität „Smells like Teen Spirit“. Zwischen Introvertiertheit und brachialen Ausbrüchen schwankt dann der Rest. Das noisige „Scentless apprentice“ vertont Süskinds „Das Parfum“, „Heart-shaped box“ wiederum wird – zu Recht – zur Single auserkoren. Das zurückgenommene „Dumb“ und „Pennyroyal tea“ werden posthum auf dem 1994 erschienenen „MTV Unplugged In New York“ in akustischen Versionen geadelt, ragen qualitativ aber bereits auf „In Utero“ heraus. Den Punk-Background der Band wiederum kann man im etwa anderthalbminütigem „Tourette’s“ aufspüren. Mit „Gallons of rubbing alcohol flow through the strip“ gibt es zum Schluss noch einen so überflüssigen wie damals obligatorischen Hidden Track. Wer das eigene Ersparte gern in Tonträger investiert, findet mit dem zum zwanzigjährigen Jubiläum erschienenen Boxset eine teure wie auch leicht unnötige Wertanlage. Darauf enthalten sind auch neue von Steve Albini angefertigte Mixe, sowie verzichtbare B-Seiten. Für den Einstieg reicht aber auch das Original-Album, auf dem sich zwischen den Zeilen das Wechselspiel zwischen Subkultur und Mainstream-Vereinnahmung erahnen lässt. Mit dem 5. April 1994 und dem Tod Kurt Cobains sind NIRVANA Geschichte. Neben dem häufig betonten Einfluss auf folgende Generationen von Musiker:innen gehört zum Erbe der Band auch die niemals zu beantwortende Frage, wie NIRVANA wohl in den Folgejahren geklungen hätten. Vielleicht wäre es für Cobain auch ohne Musik weitergegangen: Der Sänger war damals nicht nur am Albumcover und an Videoideen für „Heart-shaped box“ beteiligt – für die 3D-Collage auf der Albumrückseite fertigte er auch aus Gips eigene Teile an.