30 Jahre später: SONIC YOUTH

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Dirty (LP, DGC, 1992)

Zwei Kims habe ich den Neunzigern ewige Fanboy-Liebe geschworen: der im „Doolittle“-Booklet sympathisch lachenden Kim Deal (PIXIES) und der verdammt coolen Kim Gordon aus dem Video zu „100%“. Das erwähnte Musikvideo markiert gleichzeitig das Einsickern von Subkultur in den Mainstream – denn nach NIRVANA (die einst noch im SONIC YOUTH-Vorprogramm spielten) stürzten sich Labels wie Geffen auf den musikalischen Untergrund. Mit an Bord beziehungsweise am Mischpult bei den Recordings zu „Dirty“: Butch Vig und Andy Wallace, die knapp zwei Jahre zuvor schon „Nevermind“ aufnahmen. Und so muss das dazugehörige Album „Dirty“ (das siebte der Band, das zweite für Geffen) für alte Fans der noiserockenden New Yorker:innen wie eine Zäsur gewirkt haben. Auf den zweiten Blick ist das eigentlich Unsinn. Denn von Pop ist man auch hier noch weit entfernt. Zutreffender ist die Tatsache, dass SONIC YOUTH es hier schaffen, ihren Sound zwar etwas zugänglicher zu machen, aber eher im Sinne einer Straffung und Entschlackung, denn die Trademarks sind erhalten geblieben. Steve Shelleys trippelnde Motorik-Beat-Variante ist genauso vorhanden wie Thurston Moores Slacker-Gesang. Die Gitarren dengeln vor sich hin, um wieder in Krach auszubrechen. Und Kim Gordon säuselt, singt unterkühlt und brüllt so großartig wie auf keinem anderen SONIC YOUTH-Album. Der immer leicht melancholische Gesang von Lee Ranaldo? Vorhanden („Wish fulfillment“). Alles wie immer. Nur irgendwie ein bisschen besser. Herausgekommen sind dabei jede Menge Songs, die ideal für den Einstieg ins Band-Œuvre sind: „Sugar Kane“, das großartige, geradlinige „Purr“, „Theresa’s sound world“ und natürlich „100%“. Mit dem Cover des einminütigen „Nic fit“ (im Original von den UNTOUCHABLES, mit dem kleinen Bruder von Ian, Alec MacKaye, am Mikro) gibt es einen Verweis auf die Ursprünge der Band im Untergrund. „Youth against fascism“ wiederum bezieht eindeutig Stellung (und wurde zuletzt von TOCOTRONIC in „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“ zitiert). Gastgitarre steuert hier Ian MacKaye bei. Abgerundet wird das künstlerische Gesamtpaket von Mike Kelleys ikonischem Stoffpuppen-Cover. Mit den bis dato einzigen Chartplatzierungen außerhalb der USA ist „Dirty“ auch in kommerzieller Hinsicht ein Meilenstein für die Band. Und in diesem Fall völlig berechtigt. Übrigens: Wer Kim Gordons bissigen Gesang in „Shoot“ genauso liebt wie ich, findet die vermutlich beste B-Seite der Band auf der „100%“-Single: „Hendrix Necro“. Enthalten übrigens auch auf dem opulenten Reissue von „Dirty“ auf zwei CDs.