30 Jahre später: TALK TALK

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Laughing Stock (LP, Verve, 1991)

Nach dem finanziellen Erfolg von „The Colour Of Spring“ (1986) wurde den 1981 in London als New-Wave/Synthiepop-Band gegründeten TALK TALK von ihrer Plattenfirma EMI ein kreativer Blankoscheck und ein offenes Budget gegeben, um ihr nächstes Album zu produzieren. Das Ergebnis wurde der Klassiker „Spirit Of Eden“ (1988). Die Aufnahmen in den Londoner Wessex Sound Studios für das mit unzähligen Orchesterinstrumenten eingespielte Album, auf dem insgesamt 17 Musiker zu hören sind, zogen sich über Monate hin und verschlangen Unmengen an Geld. Doch das Album war mit seinem für damalige Verhältnisse experimentellen Art-Rock eine totale Abkehr vom vorherigen Sound, ließ Hits wie „Life’s what you make it“ oder „Living in another world“ vermissen, brüskierte die Erwartungen der EMI, polarisierte die Kritiker und floppte finanziell gnadenlos. Es folgten Rechtsstreitigkeiten mit EMI, die den enigmatischen Kopf Mark Hollis bereits während der „Spirit Of Eden“-Aufnahmen vergebens drängte, das Material zu überarbeiten. TALK TALK wechselten für ihr letztes Album zum Jazz-Label Verve, einem Ableger von Polydor, und„Laughing Stock“ wurde nach fast einjähriger Arbeit im September 1991 veröffentlicht. Der Aufnahmeprozess zeichnete ein legendäres Bild von Hollis als totalem Kontrollfreak, der jeden der insgesamt fünfzig geladenen Studiomusiker dazu bringen wollte, die Essenz seines kreativen Ichs in endlosen Improvisationen herauszudestillieren. Gearbeitet wurde im Dunkeln, Fenster verdeckt, Uhren von Wänden genommen, ein Stroboskop diente als einzige Lichtquelle – die Atmosphäre im Studio muss dem Sound der Platte exakt entsprochen haben. Lediglich 17 Musiker und 20% des aufgenommenen Materials erschienen dann auf dem Album, der größte Teil der Aufnahmen wurde verworfen. Die Platte ist unter anderem mit Bratsche, Variophon, Harmonium, Mundharmonika, Kontrabass und Hammondorgel instrumentiert, sogar das Geräusch eines Wasserkochers ist zu hören. Sie besteht aus sechs Songs, die ineinanderfließen und schwer zu beschreiben sind: „Silence is the most important thing you have, one note is better than two, spirit is everything, and technique, although it has a degree of importance, is always secondary“, kommentierte Hollis die Platte. Das unheimliche und wunderschöne Album, das so nicht ohne Produzent Tim Friese-Greene hätte entstehen können, wird heute als wichtige Pionierleistung in Sachen Post-Rock angesehen. Hollis veröffentlichte 1998 mit einem selbstbetitelten Soloalbum sein letztes musikalisches Lebenszeichen. Danach zog er sich aus dem Musikgeschäft sowie der Öffentlichkeit vollkommen zurück. Er verstarb Anfang 2019 mit 64 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit.