35 Jahre später: CARDIACS

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Big Ship (12“, Alphabet Business Concern, 1987)

Für CARDIACS-Verhältnisse klingt das Eröffnungsstück „Big ship“ des gleichnamigen Mini-Albums (12“-Vinyl, 45 rpm) schon fast eingängig. Denn das unverwechselbare Kennzeichen der 1976 noch als CARDIAC ARREST gegründeten Band, die sich erst 1980 in CARDIACS umbenannte, sind die vielen Tempo-, Rhythmus- und Harmoniewechsel innerhalb der Musik. Zu dem recht ausgefallenen Mix aus Punk, Ska, Psychedelic und Progressive Rock, verbunden mit Pop, Chören, Fanfaren und Zirkusmusik, kam noch ein wüster und recht schräger Humor, der sich nicht nur in den Songtexten, sondern auch im Outfit und Artwork zeigte. Die Band trug mit Mehl und anderen Dingen verunstaltete Uniformen von Spielmannszügen, die Gesichter weiß geschminkt, dazu (aufgemalte?) blaue Augen und Beulen und breit verschmierter Lippenstift. Nach einigen Kassettenveröffentlichungen gab es erst 1988 mit „A Little Man And A House And The Whole World Window“ das erste Vinyl-Album. „Big Ship“ wurde in der „klassischen“ Besetzung eingespielt: Tim Smith, Gesang und Gitarre, sein Bruder Jim Smith, Bass und Gesang, Sarah Smith (Ehefrau von Tim), Saxophon, Klarinette und Gesang, Tim Quy, Marimba, Synthesizer und Percussion, William D. Drake, Keyboards und Gesang, sowie Dominic Luckman, Schlagzeug und Gesang. Im Anschluss an „Big ship“ folgt mit „Tarred and feathered“ ein wüster Song, der fast alle oben aufgeführten Stilelemente vereint, inklusive ein plötzliches Verharren in Mollklängen. Super hektisch wird es bei „Burn your house brown“, während sich „Stoneage dinosaurs“ eindeutig auf Psychedelic und Progressive Rock bezieht. Das Mini-Album endet mit „Plane plane against the grain“, einem Mix aus BEATLES und Zirkusmusik, angereichert mit Fanfaren und Chorgesang. Die CARDIACS veröffentlichten alle Tapes und Alben auf ihrem eigenen Label The Alphabet Business Concern. Die Aussage, ein CARDIACS-Song enthalte mehr Ideen als die gesamte Karriere der meisten anderen Musiker, wirkt auf den ersten Blick überheblich, trifft aber den Nagel auf den Kopf (wobei das Festhalten an einem Schema natürlich auch seinen Reiz hat, siehe RAMONES oder DISCHARGE). Obwohl die CARDIACS mit ihrer Musik nur einen kleinen Kreis „Eingeweihter“ erreichten, beeinflussten sie doch maßgeblich so unterschiedliche Bands wie BLUR, MARILLION, FAITH NO MORE oder NAPALM DEATH. Tim Smith, der Kopf der Band, verstarb am 21.07.2020. Ein 2008 erlittener Herzinfarkt und ein damit verbundener Sauerstoffmangel führten zu einer Dystonie/Bewegungsstörung. Der langsame und mühevolle Weg zurück fand durch einen weiteren Herzinfarkt ein abruptes Ende.