35 Jahre später: Jeffrey Lee Pierce

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„Wildweed“ (LP, Statik, 1985)

„Wildweed“ ist das erste Soloalbum vom THE GUN CLUB-Mastermind Jeffrey Lee Pierce, nachdem er Anfang 1985 nach London gezogen war. Die Texte spiegeln seine aufgewühlte Gefühlswelt und Songs wie „Love and desperation“ – mit Murray Mitchell an der Gitarre, der mit Kid Congo Powers bereits bei THE FUR BIBLE zusammengearbeitete –, „Sex killer“ und „Cleopatra dreams on“ knüpfen nahtlos an das GUN CLUB-Epos „Fire Of Love“ von 1981 an. Seine innere Zerrissenheit wird in jedem Song deutlich. Pierce therapiert sich mit diesen Songs offenbar selbst, auch wenn er (vermutlich) nicht mehr ganz so obsessiv war. Im Song „Hey Juana“ gibt es eine schöne Referenz auf seinen Freund Nick Cave: „Now Nick the Cave / He spent all his pay / On a bottle of gin / And a shark without a fin“. Der Song enthält Gesangsparts in Englisch, Japanisch und Spanisch und hat Soundfragmente, die an den Country-Musiker Willie Dixon erinnern. Neben Nick Cave erwähnt er im Text Romi Mori, seine damalige Lebensgefährtin, und Kid Congo Powers. Der letzte Track des Albums, „The midnight promise“, wirkt fast wie ein versöhnlicher Epilog. Hier scheint Pierce für einen Augenblick seinen inneren Frieden gefunden zu haben, obgleich der Song von einer heroinabhängigen Prostituierten handelt.
THE GUN CLUB waren stets geprägt vom rauhen Blues, Punk und Country, hier aber lässt er teilweise leichte Pop-Reminiszenzen zu, was vielleicht am Produzenten Craig Leon lag, der 1999 auch das Comeback-Album „No Exit“ von BLONDIE produzierte. Oft klingt die Gitarre wie bei Tom Verlaine (TELEVISION). Am Schlagzeug war im Übrigen Andy Anderson aktiv, der von 1983 bis 1985 bei THE CURE trommelte und Anfang 2019 verstarb. Die UK-Pressung enthielt zudem eine 7“ mit vier Songs, unter anderem „The fertility goddess“, die B-Seite der „Love And Desperation“-12“ und den Song „Open the door Osiris“, eine Art Gedicht im Stil von William S. Burroughs mit einer „jazzy“ anmutenden Flöte, fast für den Soundtrack von Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ geeignet. Auch wenn die Songs nicht mehr so explosiv wie bei THE GUN CLUB waren, so bleibt sich der aufgewühlte Jeffrey Lee Pierce mit seinen Themenschwerpunkten Mord, Sex, Schmerz, Drogen, Ausschweifung und Exzess treu. Pierce verfasste in seinen letzten Jahren seine Autobiografie „Go Tell the Mountain“, die 1998 posthum herauskam, da er am 31. März 1996 mit nur 37 Jahren an einer Gehirnblutung verstarb, nachdem bereits im Alter von 29 Jahren bei ihm Leberzirrhose diagnostiziert worden war. Kurz vor seinem Tod war er noch Buddhist geworden. Bis heute zehren Musiker wie Jack White (THE WHITE STRIPES) oder Mark Lanegan von seiner Musik und seinem Geist.