40 Jahre später: PSYCHIC TV

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Force The Hand Of Chance (LP, Some Bizarre, 1982)

Nachdem sich THROBBING GRISTLE aufgelöst hatten, war PSYCHIC TV das Folgeprojekt der ursprünglichen Erfinder des Begriffs „Industrial Music“ und zu diesem Zeitpunkt „mehr Sekte als Musikgruppe“, wie sie Alexander Hacke (EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN) bezeichnete, der Konzerte für PSYCHIC TV abmischte. Er war mit Mastermind Genesis P-Orridge befreundet und wurde von ihm einige Zeit in okkulten Angelegenheiten unterrichtet. Bei zwei Songs, darunter „Stolen kisses“, fast eine Sixties-Pop-Nummer („Stolen kisses fa-fa-fa-fa-faaah ...“), wirkte Marc Almond als Sänger mit. Der Opener „Just drifting“ ist eine süßliche Pop-Melancholie mit Streichern und einem Genesis P-Orridge, der den Song vermutlich am liebsten mit Sandy Shaw gesungen hätte. Ebenfalls auf dem Album dabei ist David Tibet, der später CURRENT 93 gründete. Das absolute Highlight ist das 13 Minuten lange „Terminus“, eine endlose und staubtrockene Nummer mit einer „Spiel mir das Lied vom Tod“-Gitarre und Sounds im Geiste von Ennio Morricone und einem Genesis P-Orridge, der Texte über Tod und Teufel rezitiert und dabei von Pistolenschüssen begleitet wird. Diese Messe wurde gelesen und gelebt: „This time the victim is desired, like misery.“ „Ov power“ ist eine fast tanzbare und dynamische Nummer mit dem Trompeter Claude Deppa, die gewisse No-Wave-Anleihen aufweist. Die Erstauflage des Albums erschien mir einer Bonus-LP mit okkulten Soundscapes, deren Titel keine Interpretationen zuließen, wie „New Guinea headhunters pipe, large and small drum“ oder „Recording made at Jonestown, Guyana at the time of the suicides“. Im Wesentlichen waren das Ritualaufnahmen, die mit Menschenknochen, Kopfjägerflöten, Tempelglocken und anderen obskuren „Instrumenten“ eingespielt wurden. Die okkulten Einflüsse der Band waren mannigfaltig und man kokettierte mit Sektenführern wie Jim Jones oder Charles Manson und bezog sich auf William S. Burroughs, den Maler und Schriftsteller Brion Gysin und Austin Spare, der als Begründer der Sigillenmagie gilt und das magische System des Zos Kia Cultus erfunden hatte. Ihr erstes Konzert spielten PSYCHIC TV 1982 in London mit den Gästen William S. Burroughs und dem Performancekünstler Monte Cazazza, der 1984 mit Genesis auf der „Slow Death“-EP von LEATHER NUN mitwirkte und bekannt war für seine radikalen Inszenierungen im Spannungsfeld aus Gewalt, Mord, Tod und Sex.