A PLACE TO BURY STRANGERS

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Noise for the sake of noise

Mitte April erscheint „Pinned“, das neue Album der New Yorker Band um Gitarrist und Sänger Oliver Ackerman und das erste seit „Transfixiation“ von 2015. Ein ungewöhnlich lange Pause zwischen zwei Alben der bis dahin extrem releasefreudigen Extrem-Band aus Brooklyn – ich kenne keine, die lautere Konzerte spielt –, die sich durch einen Besetzungswechsel, vor allem aber durch durch die fortschreitende Gentrifizierung in Brooklyn erklären lässt. Was genau da lief, erklärte mir Oliver im Interview.

Oliver, du lebst in New York, und wie so viele Weltstädte findet auch dort ein harter Verdrängungswettbewerb statt. So war zu lesen, dass Death By Audio, dein Band-Hauptquartier, 2014 umziehen musste – weil Vice Media das Gebäude in Brooklyn mietete.

Vice mieteten damals einen ganzen Gebäudekomplex und schmissen in der Folge die Mieter raus, darunter ein paar der letzten DIY-Veranstaltungsorte von New York – ich fand das etwas seltsam, denn Vice unterstützt ja eigentlich genau diese Szene. Die Gegend um das Gebäude wandelte sich damals stark, und ich schätze, die Leute, die diese Immobilienentscheidung trafen, waren wohl nicht jene Vice-Leute, die dort bislang auf Konzerte gingen. Tja, so läuft das eben. Vice ist eben ein riesiger Konzern, und die Leute, die bei Vice über coole Bands berichten, sind eben nicht jene, die solche Entscheidungen treffen.

In Berlin ist das nicht anders, da stören sich auch plötzlich die neuen hippen Internet-Startup-Mieter am Lärm des Clubs, der sich seit einer halben Ewigkeit im Gebäude befindet. Manche Menschen ziehen bereits aus Berlin weg wegen solcher Entwicklungen – warum hältst du New York die Treue?
Klar, bei solchen Erlebnissen stellt man sich schon die Frage, ob man noch in so einer Stadt leben will. Das Attraktive an einer großen Stadt ist ja, „gesetzlose“, nicht regulierte Örtlichkeiten zu finden, wo man machen kann, was man will. Ein bisschen was von diesem Vibe hat New York immer noch, aber je mehr Geld in die Stadt fließt, desto weniger Orte dieser Art gibt es. Am liebsten würde man wegziehen, aber dann gibt es auch Menschen, die sich noch an das alte New York erinnern, etwa Künstler, die irgendwie die Möglichkeit gefunden haben, ihr Ding zu machen. Und dann verändert sich eben deine Wahrnehmung, dein Fokus. Und es wird verlockend, darüber nachzudenken in eine andere Stadt zu ziehen.

Brauchst du ein bestimmtes urbanes Umfeld, um kreativ sein zu können in dem Kontext, in dem man dich kennt? Es gibt ja auch Musiker, die leben irgendwo isoliert auf dem Land und brauchen das für ihre Kreativität.
Ich glaube, ein Umfeld wie das in New York behindert bisweilen sogar dein Tun. Wir haben auch mal in einer leeren Lagerhalle irgendwo in Virginia geprobt, da war nichts in der Nähe, was uns hätte ablenken können. Es war da sehr leicht, sich völlig abzuschotten und von der Realität abzukoppeln. Und hier habe ich das genaue Gegenteil. Ich bleibe jeden Abend so lange auf wie möglich auf, um ungestört von all den Menschen an irgendwas arbeiten zu können – um mich so abzuschotten. Andererseits ist es aber auch cool, mit Leuten zusammenzuarbeiten, und ich schätze diese Möglichkeit schon sehr, die nur eine lebendige Metropole bietet: Tagsüber mit anderen zusammenarbeiten, nachts allein an meinen Projekten zu tüfteln.

Wie und und wo entstand das neue Album?
An verschiedenen Orten. Nachdem ich 2014 die Death By Audio-Räumlichkeiten aufgeben musste, lebte ich anderthalb Jahre in ganz normalen Wohnungen. Ein paar Sachen nahm ich also damals in meinem Wohnzimmer auf. Dann fand ich eine neue Bleibe, wo ich auch jetzt noch wohne und dort ein neues Studio aufgebaut habe, und wo ich dann einen anderen Teil der Songs aufnahm. Weitere Songs entstanden im Studio eines Freundes. Ich mag es, wenn ich für unterschiedliche Ideen verschiedene, jeweils individuell passende Möglichkeiten habe. So kommt man auch auf neue Ideen und es bleibt interessant. Und der eine Teil der Songs wurde quasi am Stück aufgenommen, an anderen arbeiteten wir lange, änderten immer wieder was. Die Erstauflage der Platte enthält übrigens ein Bonus-Album mit Songs, die ganz spontan entstanden sind. Ich finde diese Bonus-Platte übrigens genauso interessant wie das eigentliche Album, das ja mit einer neuen Schlagzeugerin entstand, Lia Braswell. Wir mussten nach ihrem Einstieg erst mal sehen, wie sich das auf die Band auswirkt, und ob es nun in eine neue Richtung geht. Ich mag diese Spannung und Aufregung, wenn etwas neu ist, wenn sich etwas entwickelt – das ist, als ob man gerade umgezogen wäre oder sich irgendwas Neues gekauft hätte. So was entfacht immer neue Ideen. Deshalb ist dieses Album anders als alle anderen von uns.

Wieso?
Wir sind vieles ganz anders angegangen. Für mich fühlt sich das Album deshalb extrem anders an, aber das kann auch mit der engen Verbindung zu meinem Leben zusammenhängen, weil sich da so viel änderte. Ich kann nur schwer beurteilen, wie man das Album mit dem Blick von außen wahrnimmt, wie anders es ist. Denn natürlich entstand alles unter meiner Kontrolle und ist Ausdruck meines ästhetischen Empfindens, auch wenn wir versucht haben, das aufzubrechen und in andere Richtungen zu gehen. Letztlich spielt sich aber natürlich doch alles in einer musikalischen Blase ab, und wir schaffen Musik, die viele andere Menschen nicht spontan mögen. Und wir versuchen, Klänge zu erforschen, zu denen andere wahrscheinlich gar keinen Bezug haben. Wir haben uns irgendwann musikalisch ins Unterholz geschlagen und sind da bis heute geblieben.

Im Vergleich zu der Zeit davor war es in den den letzten drei, vier Jahren ziemlich ruhig in um APTBS, es gab kaum neue Musik. Alles eine Folge des Umzugs?
Ja, das mehrfache Umziehen hat was damit zu tun. Das waren alles leere, unrenovierte Räume, in die normalerweise niemand einziehen würde. Also war da einiges an Ausbauarbeiten zu erledigen – ein Badezimmer und eine Küche zu bauen, das dauert seine Zeit, hahaha. Und wie schon erwähnt ist Lia neu in der Band, auch das sorgte für Verzögerungen, wir mussten uns erst mal einspielen. Wir haben in der ganzen Zeit allerdings relativ viele Shows gespielt. Allerdings muss ich auch sagen, dass wir alle auch andere Interessen jenseits der Band haben. So hat Dion ein Solo-Album aufgenommen. Und meine Firma Death By Audio, die Effekt-Pedale für Gitarren herstellt, wird auch immer größer, und um die muss ich mich natürlich auch kümmern, damit ich nicht die Kontrolle verliere. All das zusammen ist mein Leben, und die Band ist nur ein Teil davon. Wir versuchen uns nicht zu sehr unter Druck zu setzen wegen der Band und scheren uns nicht um „normale“ Band-Vorgehensweisen. So kam jetzt eben länger nichts von uns, zu anderen Zeiten haben wir auch mal drei Platten in einem Jahr veröffentlicht.

Wie groß ist Death By Audio mittlerweile, und was ist dein Part? Bist du der Chef, der verrückte Raketenwissenschaftler?
Ich mache irgendwie alles. Ich arbeite ständig an neuen Designs, zusammen mit meinen Geschäftspartnern, und natürlich müssen wir auch darüber nachdenken, wie wir den ganzen Laden führen wollen und wohin. Wir haben zehn Mitarbeiter, es ist viel los, und die Pedals werden immer beliebter, wir haben immer mehr Kunden. Da ist jeden Tag irgendwas anderes. Es macht Spaß, und ich versuche, mich möglichst viel um das Design neuer Produkte zu kümmern.

Die einen Gitarristen haben einen ganzen Koffer voller Pedale vor sich auf der Bühne stehen, die anderen nur ein oder zwei. Was sagt der Profi, wieviele davon braucht man wirklich?
Also ich habe sechs Pedale oder so, das ändert sich von Tour zu Tour. Ich versuche, nicht zu viele zu verwenden, das macht das Spielen unnötig kompliziert und lenkt vom konzentrierten Gitarrespielen ab. Ich mag es, dass man mit diesen Pedalen den Sound der Gitarre so stark verändern kann, dass sie nach was ganz anderem klingt. Deshalb sind sie ein wichtiges Werkzeug für unseren Sound. Aber wir hatten auch schon Situationen, wo wir irgendwo hingeflogen sind und dann kam unser Gepäck nicht rechtzeitig an, so dass wir auf den Instrumenten anderer Bands spielen mussten. Und bei der Gelegenheit lernt man, dass es mehr auf die gesamte Ästhetik deines Tuns ankommt und weniger auf ein bestimmtes Pedal. Ich nutze meine Pedale aber auch, weil ich damit Dinge anstelle, die Menschen bei anderen Bands nicht zu hören bekommen. Das ist eben der Luxus, den man bieten kann, wenn man diese Dinger selbst entwickelt. Was unsere Auftritte aber auch manchmal unvorhersehbar macht, denn bisweilen weiß ich auch nicht so sicher, was für ein Sound da jetzt rauskommt. Da wird das für mich dann auch mal ein Kampf mit dem Gerät, mit den Wechselwirkungen zwischen Effektpedal und Verstärker und dem Raum. Das finde ich spannend.

Eure Konzerte sind extrem laut, lauter als die von jeder anderen Band, die ich kenne. Für mich hat das was Kathartisches, es gehört unbedingt dazu. Warum ist die Lautstärke für euch wichtig?
Ich finde es spannend, wenn der ganze Körper von der Lautstärke erfasst wird, wenn man sich dadurch desorientiert fühlt. Wenn man abschaltet, an irgendwas ganz anderes denkt, während man da steht. Und viele Details und Aspekte des Sounds hört man erst, wenn es wirklich laut ist. Die Lautstärke ist also ein wichtiges Element von dem, was wir tun. Und wir mögen eben dieses Gefühl, uns ganz am Rand zu bewegen, wenn wir es schaffen, dass man sich nur wegen unserer Musik so fühlt, als wäre man auf irgendeiner Droge. So wird Musik zu einer schönen Flucht aus der Realität.

Wie schafft man es, dass die Musik auch wirklich laut beim Publikum ankommt? In manchen Ländern gibt es idiotische Gesetze, die Clubs vorschreiben, akribisch auf eine bestimmte Höchstlautstärke zu achten.
Das ist eine Frage der Technik, haha. Das ist schon richtige Wissenschaft ... Man kann kontrollieren, was limitiert wird und was nicht, und manche Frequenzen werden als lauter eingestuft, als sie eigentlich sind, und so weiter ... Es gibt also Workarounds, so dass die Software-Tools, die die Lautstärke begrenzen sollen, ausgetrickst werden können. Wir haben also unsere Tricks und Werkzeuge, um gegen die Regeln und Gesetze anzukämpfen, so dass wir dennoch so auftreten können, wie wir uns das vorstellen und trotz allem noch total verrückt laut sind.

In dem Moment wird ja das reine Spielen von Musik schon zum politischen Akt. Die Politik will den Menschen vorschreiben, wie und wie laut sie Musik erleben sollen? Was für eine absurde Vorstellung!
Die meisten Menschen interessieren sich nicht so sehr für Musik, dass sie begreifen würden, dass es eine Kunstform ist, die sie damit beschränken. Für die ist Musik nur Unterhaltung. Die halten Musik für eine Klanguntermalung zum Akt des Losziehens, um sich einen Partner oder eine Partnerin zu suchen. Und die Musik soll dich dann in die Stimmung bringen, mit deinen Freunden abzuhängen. In diesem Kontext geht es bei Musik nicht um eine künstlerische Performance. Und in diesem Zusammenhang ist dann die Rede davon, Musik auf einem bestimmten sicheren Lautstärkelevel zu halten, um das Gehör der Leute zu schonen. Und ich glaube, die Idee der Lautstärkebegrenzung hat auch was mit diesen ganzen großen Rockbands zu tun, wo dann eine halbe Million Leute beim Konzert ist und hinterher mancher nicht gemerkt hat, dass er die ganze Zeit neben der riesigen Box stand und jetzt nichts mehr hört.

Welche Bedeutung haben die Texte für dich? Live versteht man da außer einzelnen Worten eigentlich nichts.
Ach, in den Texten geht es um alles mögliche – was in der Welt so vor sich geht, in meinem Leben ... Andere sind einfach Geschichten, Erfahrungen, Fantasie. Aber es gibt kein sich dort durchziehendes Thema, es muss sich nichts reimen oder Sinn ergeben. Und so was wie ein Konzeptalbum habe ich auch noch nie gemacht. Letztlich steht jeder Song für sich allein. Und was auch immer hinter einem Song steckt, behalte ich in der Regel für mich, das bleibt mein Geheimnis. So beeinflusse ich nicht, was jemand anderes in einen Song interpretiert. Ich bevorzuge es auch, ins Museum zu gehen und mir Kunst anzuschauen, ohne die erklärenden Texte zu lesen.

Apropos Museum: Die Fotos von Man Ray hängen in Museen, etwa „Larmes“. Und eure Cover-Artwork erinnert mich stark daran. Ein Zufall ...?
Nein. Das Foto wurde extra für das Album-Cover gemacht, von einer befreundeten Fotografin namens Ebru Yildiz, und dann entsprechend bearbeitet, so dass man nun die Pupillen nicht mehr sieht. Augen, mit denen man nicht sehen kann. Ein fantastisches Foto!