ACTIONPOWER

Foto© by Markus Mittler

Hardcore ohne Stumpfsinn

Liegt es am malerischen Idyll oder an der Tristesse am oberen Mittelrhein? Das nördliche Rheinland-Pfalz brachte immer schon großartige Punk- und Hardcore-Bands hervor wie TOXOPLASMA, HAMMERHEAD, WWK oder MY LAI. Mit ihrem aktuellen Album „Holzweg To Hell“ haben nun auch ACTIONPOWER überregionales Interesse geweckt. In einem etwas wilden Videocall – wozu eigentlich Leitfragen formulieren? – spreche ich mit Nick, dem Sänger der Band, nicht nur über ACTIONPOWER.

Nick, stell uns ACTIONPOWER bitte vor.

ACTIONPOWER sind Manuel, Murray, der das Schlagzeug auf dem Album noch eingespielt hat, Sascha, Fritz, Gunnar, unser neuer Schlagzeuger, und ich. Wir sind alle Ü40, außer unser Gitarrist Fritz. Wir kommen aus Koblenz und Neuwied, dem stinkenden Moloch. Koblenz ist eine scheiß Beamtenstadt und Neuwied eine Asi-Stadt. Wir spielen seit 1992 in Punk- und Hardcore-Bands. ACTIONPOWER gibt es seit 2008. Die Mitglieder waren zuvor bei B.S. SYSTEM, COLINA, THE BLAST OFFS, PROBITY, SEVEN MINUTES OF NAUSEA, CREUTZFELDT, BLOODATTACK und ASCHERA. Nach etlichen gemeinsamen Konzerten und einer Split-7“ haben die überlebenden Mitglieder der beiden aufgelösten Bands B.S. SYSTEM und COLINA beschlossen, weiter zusammen Musik zu machen, daraus wurde dann ACTIONPOWER. Keine Musik mehr zu machen, war definitiv keine Option für mich. Ich brauche diese Katharsis, um nicht bekloppt zu werden. 2010 haben wir dann das erste Mal live gespielt. Damals hatten wir in Koblenz noch viele Bollo-Bands. Es gab eine ganze Szene hier. Auf einem dieser Konzerte wurde einem Punk der Iro abgefackelt, weil er nicht ins Bild passte ... Dieser Pseudo-Hardcore-Lifestyle war dann auch Anlass für unsere ersten Texte, um uns davon ganz klar zu distanzieren. Wir sind Hardcore, dieser Stumpfsinn eben nicht.

Was bedeuten Punk und Hardcore für dich?
Punk und Hardcore sind die Konstanten in meinem Leben. Das ist definitiv mehr als nur Musik. Das ist ein Lebenselixier, das mich bis ans Ende begleiten wird. Ich habe mir sogar schon überlegt, welche Schallplatten ich mit in den Sarg nehme, ehrlich. Also, die aktuelle Punk-Szene, neue Bands, verfolge ich gar nicht so. Ich bin auf den alten Sachen hängengeblieben. Das ist so ein Generationending, denke ich. Jede Generation hat ihre Bands, auch in unserer Subkultur. Für mich stehen die ursprünglichen Werte nach wie vor im Mittelpunkt. Sei einfach kein gleichgültiger und angepasster Idiot. Alles ist tiefgründig zu hinterfragen, man selbst inklusive. Auch die eigene Szene immer wieder kritisch zu hinterfragen, ist wichtig. Dass man sich vor keinen Karren spannen lässt, war für mich schon immer selbstverständlich. Antifaschismus und Geschlechtergerechtigkeit ebenso. Die Klassiker halt. Ich kaufe ja auch nichts von Nestlé oder bei Amazon. Da bin ich meinen Prinzipien treu. Korrekte Begegnung auf Augenhöhe und gute Kommunikation sind für mich von Priorität. Allerdings ist bei mir da Schluss, wo der Humor aufhört. Punk ist auch Provokation und Kontroversität, wobei ich den albernen Bierschiss-Humor mancher deutscher Bands, gerade auch aus dem Ruhrpott, nicht sonderlich mag. Heute ist mir die Szene jedoch auch oft zu reglementiert und zu kontrolliert. Das macht es für mich langweilig und unattraktiv. Die eigentliche Hauptsache ist, dass ich Leute anbrüllen kann.

Wie würdest du euren Sound beschreiben?
Es gibt eine Band, von der wir bei ACTIONPOWER alle mindestens ein T-Shirt haben und das sind HAMMERHEAD. Wir sind alle mit HAMMERHEAD groß geworden. HAMMERHEAD waren und sind eine sehr wichtige Band für uns alle hier, nicht bloß für uns, sondern auch für die Szene in der ganzen Region. Und natürlich sind wir hier in unserer Haltung auch immer schon von TOXOPLASMA und WWK beeinflusst. Ich bin in Bezug auf Punk und Hardcore voll mit Achtziger- und Neunziger-Zeugs sozialisiert: D.C.- und L.A.-Kram. New York Hardcore ist dann neben den genannten lokalen Bands unser wohl größter gemeinsamer musikalischer Nenner. Und etwas Crust natürlich. Da wir in der Band allesamt totale Musiknerds sind, haben wir aber einen recht breitgefächerten musikalischen Background, der durchaus auch den Groove von Achtziger-HipHop mit einbezieht. Natürlich ohne Crossover zu betreiben. Sound und Attitüde auf dem aktuellen Album bewegen sich also meist zwischen HAMMERHEAD und NYHC-Anklängen.

„Ein großes menschenverachtendes Anti-Manifest“, so habt ihr eure aktuelle LP „Holzweg To Hell“ untertitelt? Ist es die Verachtung der Menschen aus Liebe zu ihnen? Was hat euch beim Songwriting beschäftigt?
Ja, ich neige schon mal dazu, Menschen zu verachten für die Dinge, die sie tun. Dieses neoliberale „Alles hat seine Berechtigung“ ist nicht meins. Wir sprachen vorhin über Werte. Verachtung aus Liebe zum Menschen trifft es vielleicht ganz gut. Und genauso, wie ich leidenschaftlich liebe, kann ich auch manchmal leidenschaftlich hassen, wenn es seine Berechtigung hat. Die Lernfähigkeit der Menschen gibt halt wenig Grund zur Hoffnung. So wie TOXOPLASMA das damals beschrieben haben: „Wir sind die Asche von morgen und warten auf den großen Knall.“ Die Erwartung des Untergangs. Von dieser Grundstimmung sind unsere Texte getragen. Wir bewegen uns in einem schizophrenen Niemandsland aus Optimismus und Pessimismus. Aber Lebensfreude empfinde ich trotzdem.

Du hältst deine Prinzipien aufrecht, aber wofür?
Manchmal denke ich, es wäre besser, wenn die Menschen von der Erde verschwinden würden. Wir sind doch eine Zumutung für unseresgleichen und für alles andere Leben auf dem Planeten. Trotz allem gibt es Menschen, die ich aus tiefstem Herzen liebe und respektiere. Letztens hat mir jemand nach einem ACTIONPOWER-Auftritt das wohl treffendste Kompliment überhaupt gemacht. Er sagte: „Ich feiere ACTIONPOWER dafür, dass du es schaffst, nach nur einer Minute auf der Bühne das komplette Publikum anzugehen und zu beleidigen, aber so, dass sich alle dabei gut fühlen und applaudieren.“ Ich denke, damit hat er ziemlich auf den Punkt gebracht, was wir als Band da machen. Außerdem beschäftigt uns beim Songwriting natürlich Actionpower, wie man auf dem Album schnell heraushören kann, und die Aufladung des Begriffes mit Sinninhalten. Das hattest du in deinem Review zur „Holzweg To Hell“-LP in der letzten Ausgabe passend beschrieben, wie ich finde.

Wir haben über eure Einflüsse aus Achtziger- und Neunziger-Hardcore gesprochen. Welche aktuellen Bands würdest du als die drei wichtigsten bezeichnen?
Da muss ich einen Moment überlegen, weil ich zur Zeit gar nicht so viel Hardcore höre. Zuerst würde ich NAPALM DEATH nennen, dann natürlich HAMMERHEAD. Und YUPPICIDE hatten ein tolles Comeback vor einigen Jahren.

Was dürfen wir dieses Jahr von euch erwarten?
Wir werden wieder eine Reihe von Konzerten spielen und kommen gerne auch in eure Region. Außerdem ist eine Split-7“ mit CHAOSFRONT in Planung sowie Aufnahmen für ein neues 12“-Vinyl.