AGENT SIDE GRINDER

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Ghost riders from Sweden

Die 2005 gegründeten AGENT SIDE GRINDER sind eine der profiliertesten Synth-, Dark-Electro- und Post-Punk-Bands und waren bereits früh in der glücklichen Position, mit einem ihrer größten Vorbilder in Gestalt von SUICIDE einmal die Bühne zu teilen. Die schwedische Band schafft es seit jeher, den Sound früher Achtziger-Jahre-Synth- und Electro-Bands mit aktuellen Strömungen zu verknüpfen. Im Mai ist ihr sechstes Album „Jack Vegas“ erschienen, das auch die Auseinandersetzung der Band mit der amerikanischen Underground-Kultur der Sechziger und Siebziger Jahre widerspiegelt, die sich damals stark an Autoren der Beatnik-Ära wie Jack Kerouac oder William S. Burroughs sowie der Proto-Punk- und Avantgarde-Bewegung orientierte. Grund genug für einige Fragen, die Sänger Emanuel Åström und Johan Lange, zuständig für Synthies, Percussion und Klavier, beantworteten.

Ich habe euch im November 2019 auf dem Wiesbadener Glowing In The Dark-Festival gesehen. Da sind auch die Elektro-Pioniere DAF aufgetreten, kurz bevor Gabi Delgado gestorben ist. Sind speziell frühe Elektro-Bands wie DAF und KRAFTWERK wichtige Einflüsse für euch oder auch Synth-Bands aus den Achtzigern wie THE NORMAL, DEPECHE MODE oder CABARET VOLTAIRE?

Johan: Das war ein ganz besonderer Abend und wahrscheinlich eine der besten Shows von DAF, die ich je gesehen habe. Und leider wohl auch einer der letzten Auftritte von Gabi Delgado vor seinem Tod. Alle die Bands, die du ansprichst, hatten einen großen Einfluss auf AGENT SIDE GRINDER. Wir versuchen, verschiedene Epochen der elektronischen Musik in unsere eigenen Sounds zu integrieren.
Emanuel: Gabi war an diesem Abend auf der Bühne so dynamisch. Dass er nur wenige Monate später gestorben ist, ist für mich immer noch unmöglich zu begreifen.

Ihr habt 2019 in einem Interview im Volt Magazine kritisch hervorgehoben, dass „der moderne Post-Punk im Moment etwas durch ist“. Was war ausschlaggebend für eure Einschätzung?
Johan: Nun, ich fand die ganze Post-Punk-Szene zu diesem Zeitpunkt etwas vorhersehbar. Für mich haben viele Bands einfach nur noch den gleichen Sound kopiert. Aber in letzter Zeit bemerke ich wieder mehr Originalität und Kreativität bei den Künstlern, was ich begrüße.

Ab und an verwendet ihr ein Saxophon, wie im Song „Stripdown“, was im Kontext von Bands, die Synth-dominierte Sounds spielen, eher selten ist.
Johan: Ja, und es hat eine größere Kontroverse ausgelöst, als wir uns jemals vorstellen konnten. Die Leute waren wirklich verärgert. Aber wir fanden, dass es perfekt zum Song passt und auch in einer langen Tradition von Saxofon-Synthesizer-Tracks steht, die von THE CURE bei „A night like this“ über „Dominion/Mother Russia“ von THE SISTERS OF MERCY bis hin zu Stücken auf dem CABARET VOLTAIRE-Album „Code“ reicht.
Emanuel: Ich würde sagen, ein Saxophon ist selten, aber nicht extrem. Es ist ziemlich lustig, dass es einige Leute tatsächlich aufgeregt hat.

Auf dem neuen Album „Jack Vegas“ taucht ihr thematisch in die amerikanische Subkultur ein und konzentriert euch dabei auch auf die Beatnik-Ära-Werke von Jack Kerouac sowie auf die Proto-Punk- und Avantgarde-Bewegungen dieser Zeit. Was führte zu diesem spezifischen Interesse? Den viel zitierten „amerikanischen Traum“ dieser Zeit haben Chronisten wie SUICIDE auf ihrem Debütalbum von 1977 in einem Song wie „Frankie Teardrop“ bereits komplett demontiert und in den Mülleimer geworfen.
Emanuel: SUICIDE waren eine dieser Bands, die eine Art roher und primitiver Energie in etwas mit einem „intellektuellen Twist“ kanalisieren konnten. Sie waren also ein wichtiger Einflussfaktor für dieses Album und waren es schon immer. In ihrem Anfangsstadium waren ihre Songs nur Reflexionen der Dinge, die um sie herum vorgingen. Als unser Song „Waiting room“ auf dem aktuellen Album seinen Platz fand, wurde sozusagen der Rest „freigeschaltet“, was zu einer Kettenreaktion von Ideen führte, die das Album zusammenhielten. Demontage ist hier eine schöne gewählte Formulierung. Wir haben unseren eigenen kulturellen Kontext demontiert, in einer Weise, die von denen inspiriert wurde, die es mit ihrem getan haben.
Johan: Als wir mit AGENT SIDE GRINDER angefangen haben, waren wir wirklich alle komplett auf SUICIDE fokussiert – und sind es eigentlich immer noch. Bei „Jack Vegas“ wollten wir das Nervöse und Vibrierende von SUICIDE mit starken Pop-Melodien und Hooklines kombinieren, zu fast so etwas wie einem „Bastard“ aus Alan Vega und ABBA. Der Albumtitel „Jack Vegas“ ist tatsächlich ein Hinweis auf die amerikanische und schwedische Kultur.

Für mich klingt „Waiting room“ wie eine abgeschwächte Version von „Ghost rider“ von SUICIDE, eben ganz typisch wie Alan Vega und seine radikale „In your face“-Attitüde. Zudem habt ihr kürzlich ein auf 100 Exemplare limitiertes Tape veröffentlicht von einem gemeinsamen Konzert mit SUICIDE, das im September 2010 in der Schweiz stattfand.
Johan: Wir hatten das Glück, SUICIDE schon früh in unserer Karriere kennen zu lernen und gemeinsam ein Konzert in Lausanne zu spielen. Das war ein großer Moment für uns. Und das Live-Tape ist ziemlich gut geworden. Viele Labels waren daran interessiert, es erneut auf Vinyl oder digital zu veröffentlichen, aber es scheint schwierig zu sein, mit dem Management von SUICIDE in Kontakt zu kommen.

Inhaltlich drehen sich die Songs von „Jack Vegas“ unter anderem um Langeweile, Widerstandsfähigkeit, die Eingriffe von Regierungen und Unternehmen in die Gesellschaft sowie die psychische Konditionierung der Menschen. Die konkrete und frühe Zerstörung des amerikanischen Traums durch SUICIDE ist also auch in Schweden angekommen?
Emanuel: Es ist weniger ein Verriss des zitierten American Dream als vielmehr eine Beobachtung. Dieses uramerikanische Weltbild ist in der schwedischen Kultur weiter verbreitet als man denkt, insbesondere in ländlichen und kleinstädtischen Gebieten. Wir wollten einfach darüber nachdenken. Die Perspektive der Beat-Generation, die beispielsweise SUIICIDE befeuerte, wurde dabei zu unserem Ausgangspunkt.

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SUICIDE - s/t (LP, Red Star, 1977)
Das Debütalbum des New Yorker No-Wave- und Electronic-Duos SUICIDE war 1977 die erste Veröffentlichung auf dem vom NEW YORK DOLLS-Manager Marty Thau gegründeten Label Red Star. Martin Rev und Alan Vega zeichneten hier eine apokalyptische und beklemmende Bestandsaufnahme der US-amerikanischen Gesellschaft. Sänger Vega, der sich zuvor noch Alan Suicide nannte, hatte sein entscheidendes Rock’n’Roll-Erweckungserlebnis, als er im August 1969 THE STOOGES im State Pavilion in New York erlebte. Jenes Konzert, bei dem sich Iggy Pop, nachdem Flaschen auf die Bühne flogen und zerbrachen, in den Scherben wälzte und sich damit selbst verletzte. SUICIDE gehörten zu den Ersten, die Synthesizer und Drumcomputer einsetzten, und Martin Rev traktierte seine teilweise selbstgebastelten Synthies und Billig-Keyboards, zum Beispiel ein Wurlitzer, das er für zehn Dollar gekauft hatte, mit der notwendigen Hingabe, Radikalität und dem richtigen Gespür für apokalyptische Klanggewitter. Als Alan Vega Mitte 2016 verstarb, schrieb Henry Rollins über die Debüt-LP von SUICIDE: „Ihr erstes Album ist die forderndste und bemerkenswerte Errungenschaft amerikanischer Musik. Ihre provozierenden Auftritte, Lichtjahre vor Punkrock, sind Legende.“ SUICIDE waren geprägt von Negation und Vernichtung und zerlegten in einem nihilistischen Inferno den amerikanischen Traum minutiös und desaströs in seine Bestandteile. Alan Vega war der „Elvis from hell“, der über die individuelle Aussichtslosigkeit sang, so wie in „Frankie Teardrop“ über einen Fabrikarbeiter ohne jedwede Perspektive: „Frankie is so desperate, he’s gonna kill his wife and kids.“ In den USA wurde ihr Debüt von den Kritikern verrissen, in Europa abgefeiert. Doch auch hier tat sich das Publikum mit Auftritten der Band schwer: 1978 traf Alan Vega bei einem Konzert im französischen Metz ein Schraubenschlüssel aus dem Publikum am Kopf. Die Narbe blieb, so wie die stete Provokation bei SUICIDE. Das Debütalbum von SUICIDE steht bis heute als Soundtrack für das Scheitern des amerikanischen Traums Ende der Siebziger Jahre und die Traumata der Generation von Alan Vega und Martin Rev.