ALISON BRAUN

Foto

In the pit

Noch als Teenager hat Alison Braun in den Achtzigern in ihrer Heimatstadt Los Angeles unzählige Vertreter der Punk-Szene fotografiert, die heute in vielerlei Hinsicht zu bekannten Namen geworden sind, sowohl auf als auch neben der Bühne. Neben kleineren lokalen Bands waren darunter auch solche Live-Acts wie BLACK FLAG, DESCENDENTS, THE DICKIES, DEAD KENNEDYS oder BAD BRAINS. Sie positionierte sich mit einem Weitwinkelobjektiv direkt vor der Bühne, was zu fantastischen Ergebnissen führte – nicht ohne dabei ein paar Beulen oder Schläge abzubekommen –, so dass viele ihrer Aufnahmen in Magazinen wie Flipside und Maximum Rocknroll erschienen. Nach dem College ging sie, inspiriert von der aufblühenden Grunge-Szene, in den Norden und setzte dort ihre Arbeit fort. 2021 veröffentlichte No Plan Records das Buch „In The Pit. Punk Rock Photos – 1981-1991“, mit ihren gesammelten Fotos und Flyern. Eine erweiterte Neuauflage des Buchs ist derzeit in Vorbereitung.

Was bedeutet Musikfotografie für dich?

Als großer Musikfan sah ich im Fotografieren von Bands eine Möglichkeit, der Szene auf kreative Weise etwas zurückzugeben. Ich war keine Musikerin im herkömmlichen Sinne. Mein Instrument war die Kamera, und ich hatte die Gelegenheit, eine wichtige Bewegung zu dokumentieren.

Was sollte deine Arbeit deinem Publikum vermitteln? Gibt es irgendwelche Klischees, die du vermeiden willst?
Ich wollte die Energie und das Charisma der Künstlerinnen und Künstler sowie die Intimität mit dem Publikum zeigen. In den frühen Tagen gab es kaum einen Unterschied zwischen der Band und dem Publikum. Das war eine ganz andere Energie als beim Stadionrock, der im Mainstream dieser Zeit vorherrschte. Als ich anfing, Punkbands zu fotografieren, herrschte das Klischee vor, dass wir alle gewalttätige Kriminelle seien. Das stimmte aber nicht. Wir engagierten uns in unseren Gemeinden und Schulen und für soziale Gerechtigkeit, indem wir die Ungleichheiten auf der ganzen Welt anprangerten.

Hast du das Gefühl, dass sich deine Motivation im Laufe der Zeit verändert hat?
Meine Motivation hat sich im Laufe der Jahre sehr verändert. Am Anfang, als junge Frau, wollte ich Teil von etwas Wichtigem sein. In der jetzigen Phase meiner Karriere geht es mir vor allem um mein Vermächtnis und darum, dass mein Archiv auch nach meinem Tod noch zugänglich bleibt und erforscht werden kann.

Wie bedeuten Schwarzweiß und Farbe für deine Arbeit? Sind das zwei verschiedene Dinge?
Die Schwarzweißfotografie war ein reines Do-It-Yourself-Projekt. Ich hatte zu Hause eine Dunkelkammer, in der ich meine Negative entwickelte und selbst Abzüge herstellte. Schwarzweißfilme waren viel unkomplizierter als die C-41-Bearbeitung von Farbnegativen. Schwarzweiß hat eine zeitlose Qualität. Wenn ich mir einige der Bilder anschaue, die ich vor vierzig Jahren gemacht habe, sehen sie oft so aus, als wären sie letzte Woche entstanden. Die Farbfotografie hat mir nicht so viel Spaß gemacht. Die Ergebnisse wirken meiner Meinung nach eher wie Schnappschüsse.

Was macht für dich ein großartiges Foto aus?
Das ist eine schwierige Frage, denn „großartig“ ist eine Sache des persönlichen Geschmacks. Meine Lieblingsbilder ziehen den Betrachter in ihren Bann. Sie bieten einen visuellen Schwerpunkt, der die Zeit, den Ort und die Persönlichkeit des Künstlers oder der Künstlerin auf der Bühne widerspiegelt.

Wie hat deine Fotografie dich verändert?
Ich glaube nicht, dass die Fotografie mich verändert hat. Das Fotografieren war eine Erweiterung von mir. Eine Möglichkeit für mich, die Welt zu betrachten und meine Perspektive zu teilen.

Gibt es darüber hinaus etwas, das dich inspiriert? Machst du selbst auch Musik? Hast du jemals versucht, deine Gefühle in einer anderen Form auszudrücken?
Ich schreibe. Während meiner Zeit in der Punkrock-Szene habe ich Interviews, Geschichten und Szeneberichte für verschiedene Publikationen verfasst, darunter das Maximum Rocknroll und das Flipside Magazine. Ich mache keine Musik, obwohl ich als Teenager mehrere Jahre lang Gitarrenunterricht genommen habe. Ich hasste das Üben und war nur halbherzig bei der Sache. Stattdessen habe ich eine Kamera in die Hand genommen.

Warum ist die Fotografie die beste Methode für dich, um das zu erreichen, was du willst?
Die Fotografie ist das, was ich kenne und womit ich mich über die Jahre hinweg wohl gefühlt habe. Die Vertrautheit mit diesem Medium hat mir geholfen, die Szene zu einem wichtigen Zeitpunkt einzufangen und zu dokumentieren.

Experimentierst du mit der Kamera und der Technik, die du verwendest? Hast du ein bevorzugtes Format oder sozusagen eine Formel, die für dich funktioniert?
Gute Frage. Als der Großteil der Fotos meines Archivs entstand, verwendete ich eine analoge 35mm-Kamera mit Blitz. Außer der Lichtempfindlichkeit des Films gab es nicht viel Technik. Einen Autofokus gab es nicht. Einige Kameras hatten eine automatische Verschlusspriorität oder bevorzugte Blendeneinstellungen, aber man musste sich auskennen. Es gab damals auch nicht die Möglichkeit, die Bilder vor dem Entwickeln in der Vorschau zu betrachten, um zu sehen, ob deine Bemühungen auch effektiv sind. Durch Ausprobieren habe ich meine Formel gefunden. Ich war immer nah an der Band und fotografierte mit einem Weitwinkelobjektiv und einem Blitz. Jahre später, also 2018, wurde ich eingeladen, meine alten Freunde CHANNEL 3 in einem Club in Seattle zu fotografieren. Ich hatte meine analogen Filmkameras nicht mehr, also kam ich bewaffnet mit meiner digitalen Spiegelreflexkamera von Nikon und meinem iPhone. Es war schockierend, wie gut das iPhone funktionierte. Außerdem konnte ich mir die Bilder nach der Aufnahme in der Vorschau ansehen, um zu sehen, was ich ändern musste, um eine gute Aufnahme zu machen. Jedenfalls hatte ich zum ersten Mal in meiner Karriere Autofokus und automatische Belichtung zur Verfügung. Die Ergebnisse waren durchwachsen. Der Autofokus-Mechanismus war immer noch zu langsam, um die gewünschte Sekunde einzufangen, die ich dokumentieren wollte. Der größte Fortschritt betraf die Nachbearbeitung: Als ich noch in der Dunkelkammer Abzüge erstellte, hatte ich nur wenige Möglichkeiten, um schlechte Belichtung oder fehlende Details im Negativ auszugleichen. Manchmal waren die Bilder ein Totalverlust. Eine digitale Datei mit Adobe Photoshop oder Lightroom zu bearbeiten, kann korrigieren, was vorher eine Katastrophe gewesen wäre. Ich konnte Aufnahmen retten, die sich als großartige digitale Bilder herausstellten.

Gibt es etwas, an das du glaubst, das sich aber noch nicht bewahrheitet hat?
Ständig. Ein Glaubenssystem hat wenig mit der Wahrheit gemein. Die Wahrheit ist binär. Sie wird definiert als das, „was wahr ist oder mit den Tatsachen oder der Wirklichkeit übereinstimmt“. Meistens stellen die Menschen fest, dass die Realität mit ihrem persönlichen oder kulturellen Glaubenssystem kollidiert. Ich habe zum Beispiel einmal geglaubt, dass die menschliche Spezies mehr ist als ein Haufen zweibeiniger Affen und dass wir uns zusammentun können, um die Welt zu retten, wenn wir mit der düsteren Tatsache konfrontiert werden, dass unsere Existenz den Planeten zu zerstören droht. Die Wahrheit hat sich als etwas anders erwiesen. Stattdessen haben wir uns überall auf der Welt in populistische Lager zurückgezogen, die darauf bedacht sind, die Interessen derjenigen zu wahren, die derzeit an der Macht sind und für die katastrophalen Folgen ihrer Gier nicht geradestehen wollen.

Welcher Künstler, welche Band, welches Konzert oder welche Show hatte den größten Einfluss auf dein Leben?
Mein Vater nahm mich 1977 mit zu einem Konzert von KISS im Forum in Los Angeles. Das war das Ereignis, bei dem mir klar wurde, dass ich bei Live-Musik-Shows fotografieren wollte.

Gibt es Punk-Frauen aus der frühen Szene, die deiner Meinung nach nicht angemessen gewürdigt werden?
Ich glaube, dass Wendy O. Williams von den PLASMATICS nicht genug Anerkennung für ihre Pionierarbeit bekommen hat. Am Anfang habe ich diese Band gehasst. Tatsächlich hassten sie die meisten Punks, die ich in den frühen Achtziger Jahren kannte. Die Zeit hat jedoch gezeigt, dass ihr Stil, ihre Frechheit und ihre „body positivity“ die Hater überdauert haben. Wendy war eine Innovatorin und wurde zu einer Ikone für künftige Generationen von Punkerinnen. Ich bin traurig, dass sie nicht mehr lebt und nicht mehr sehen konnte, wie viel Einfluss sie hatte.

Hast du dich jemals eingeschüchtert gefühlt, wenn du jemanden fotografiert hast?
Bei GWAR! Sie zu fotografieren war schon ein Kontaktsport. Einschüchterung ist nicht das richtige Wort. Ich denke, Angst ist ein besserer Begriff.

Ich habe irgendwo gehört dass mal etwas mit Rollins und/oder BLACK FLAG vorgefallen ist ... ist da etwas dran?
Mitglieder der Roadie-Crew von BLACK FLAG schikanierten mich, ein 15-jähriges Mädchen. Es wurde so schlimm, dass ich einfach damit aufhörte, die Band zu fotografieren. Bands zu fotografieren war etwas, das mir Spaß gemacht hat. Wenn es gefährlich oder bedrohlich wurde, habe ich meine Aufmerksamkeit einfach woanders hingelenkt.

Hast du ein persönliches Lieblingsfoto aus einer bestimmten Zeit?
Das Foto auf dem Cover meines Buchs von Chris Smith von BATTALION OF SAINTS ist mein Lieblingsbild.

Ich bin neugierig auf dein Leben vor der Fotografie und der Musik. Glaubst du, dass es für einen Künstler wichtig ist, Dinge persönlich zu erleben, bevor er oder sie anfängt, darüber zu schreiben, zu fotografieren oder Musik zu machen?
Nein, ganz und gar nicht. Ich war 14 Jahre alt, als ich begann, Punkrock zu hören. Meine Lebenserfahrung war zeitlich auf mein Alter und meine Lebensumstände begrenzt. Meine Fähigkeiten zum Schreiben und Fotografieren entwickelten sich entsprechend, als ich als junge Erwachsene Erfahrungen sammelte. In der Tat waren Jugend und Unerfahrenheit der Motor der Punk-Szene. Außerdem geht das Schaffen von Kunst über praktische Erfahrungen hinaus. Der Punkrock hat meine Kunst nachhaltig geprägt. Die Erkenntnisse, die ich im Laufe der Jahre gesammelt habe, haben sowohl mich als Person als auch die Kunst, die ich mache, beeinflusst.

Was unterscheidet deine Fotografie deiner Meinung nach von anderen, die ebenfalls in diesem Bereich arbeiten? Gibt es etwas, das dich von anderen unterscheidet?
Meine Bilder sind größtenteils innerhalb eines kurzen Zeitraums entstanden, nämlich vor rund vierzig Jahren. Sie sind ein begrenztes Portfolio, das so nie wieder entstehen kann und Teil eines historischen Musikarchivs ist. Die Arbeiten dokumentieren die Szene, in der ich aufgewachsen bin. Wenn man sich meine Fotos jetzt ansieht, merkt man ihnen kaum an, dass sie Jahrzehnte alt sind. Wenn ich aktuell Bands fotografiere, dann immer noch mit der gleichen Technik und dem gleichen Stil.

Denkst du, dass Instagram die Praxis der Fotografie verändert hat?
Instagram ist nur eine Plattform in einer langen Reihe von digitalen Medien, die die Fotografie verändert haben. Instagram ist sowohl ein Geschenk als auch ein Ärgernis. Während es mehr Menschen ermöglicht, meine Arbeit zu sehen und zu teilen, und mich hoffentlich für Abzüge zu kontaktieren, ist das Ausmaß der Piraterie, dem ich ausgesetzt bin, unglaublich. Jeden Monat erhalte ich ein Protokoll darüber, wo meine Bilder im Internet gepostet werden, und es gibt hunderte Fälle von nicht genehmigter Nutzung meiner Arbeit. Instagram, Pinterest und Facebook sind die Plattformen, auf denen am häufigsten gegen den Schutz geistigen Eigentums verstoßen wird. Bis in die Neunziger Jahre hinein mussten sich die Leute, die meine Arbeit verwenden wollten, direkt an mich oder meine Bildagentur wenden. Jetzt ist meine Arbeit nur einen Copy-and-Paste-Vorgang davon entfernt, auf der ganzen Welt geteilt zu werden. Das ist toll für die Öffentlichkeit, aber nicht so toll, wenn ich damit meinen Lebensunterhalt verdienen will. Ja, Instagram und alle anderen Foto-Sharing-Anwendungen haben die Fotografie verändert.

Soweit ich weiß, gibt es bald eine neue Auflage von „In The Pit“, mit weiteren Abbildungen, ausführlicherem Text etc. Kannst du etwas dazu sagen?
Ich arbeite gerade an einem weiteren Band – mit mehr Fotos von Bands der Ostküste der USA. Er ist noch in Planung.

Welche Art von Fotografie betreibst du sonst noch?
Ich mache hauptsächlich Porträtfotos und fotografiere auf Anfrage auch bei Live-Shows. Meine Karriere entwickelte sich in eine ganz andere Richtung. Ich habe viele Jahre als Programm-Managerin in der Software-Entwicklung gearbeitet und das Fotografieren als Nebenerwerb betrieben. Das Fotobusiness wird aber immer wichtiger, da immer mehr Menschen meine Arbeit entdecken und daran interessiert sind.