ANGER MGMT.

Foto

Mental-Health-Aktivisten

Angstzustände, Panikattacken oder Suizidgedanken bestimmen das Leben von Nik Petronijevic schon seit Kindheitstagen. Jahrelang hat er sich nicht getraut, darüber zu sprechen, aber jetzt hat er mit seiner Band ANGER MGMT. ein Ventil für seine psychischen Probleme gefunden. Das Trio aus Winterthur in der Schweiz hat mit „Anger Is Energy“ ein wirklich beeindruckendes Düster-Noiserock-Album aufgenommen. Veröffentlicht über Noisolution in Berlin. Außerdem ist Nik in den Schweizer Medien als Mental-Health-Aktivist zu sehen und zu hören. Damit will er anderen Menschen Mut machen, offen über ihre Probleme zu reden und sich Hilfe zu holen. Denn ihm hat es auch geholfen, seinen Alltag zu meistern.

Auf dem Album verarbeitest du ja ganz persönliche Probleme. Womit hast du zu kämpfen?

Die Diagnose lautet: ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung. Das hat zur Folge, dass ich gewisse Dinge nicht machen kann oder sie mir zumindest sehr schwer fallen. Zum Beispiel machen mir geschlossene Räume oder längere Reisen Angst. Das Klassenzimmer war immer ein Riesenproblem für mich. Die Angst zeigt sich dadurch, dass ich mich übergeben muss. Damit habe ich schwer zu kämpfen, weil ich mich natürlich dafür schäme. Das ist mir total peinlich, weil ich nicht erklären kann, warum ich mich übergeben muss.

Wann hast du beschlossen, das künstlerisch zu verarbeiten?
Ein guter Freund von mir arbeitet beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF und der wollte eine Sendung über Mental Health machen. Deshalb war ich dort zu Gast und habe eine Stunde lang von meinen Problemen erzählt. Das war vor etwa acht Jahren, es war der Moment, in dem ich damit an die Öffentlichkeit gegangen bin. Bis dahin hatte ich das immer für mich behalten, nicht einmal meine Freunde und Teile meiner Familie wussten davon. Damals habe ich mit meiner alten Band angefangen, das auch künstlerisch zu verarbeiten. Aber mit ANGER MGMT. ist es das erste Mal, dass ich zu 100% selbst die Texte schreibe und meine Themen in die Musik einbringen kann.

Sind Konzerte in Kellerclubs oder Menschenmengen vor Festivalbühnen nicht eine zusätzliche Belastung für dich?
Früher war das wirklich so. Mit meiner alten Band USELESS gab es Momente, in denen ich Konzerte spontan absagen musste, weil es nicht mehr ging. Die Panik war einfach zu groß. Damals war ich aber noch gar nicht in Therapie. Dank Antidepressiva und fünf Jahren Behandlung habe ich das inzwischen sehr gut im Griff. Mir ist auch klar geworden, dass ich viel zu lange gewartet habe, bis ich mir professionelle Hilfe geholt habe. Damit ging es mir sehr schnell viel besser und jetzt ist es für mich eine Art Therapie, auf der Bühne zu stehen, meine Wut und mein Leiden ins Mikrofon zu schreien. Das hilft mir sehr und nach Konzerten kommen oft Leute auf mich zu und sagen: Ich kann dich sehr gut verstehen oder ich habe ein ganz ähnliches Problem. Das fühlt sich sehr gut an, dass man nicht allein ist.

Mir gefällt am Sound vor allem die Dunkelheit und die Schlichtheit. Bei dem krassen Thema hätte ich aber mehr Brutalität erwartet.
Das ist bei uns so ähnlich wie bei THE SMITHS. Die Texte sind sehr düster, aber die Musik hört sich oft sehr fröhlich an. Obwohl ich gerne Musik höre, die gar keine Struktur hat, mag ich auch kompakte, poppige Songs mit Intro, Strophe und Refrain. Bei diesem Album hatte ich einfach Lust darauf, etwas Poppigeres zu machen. Ich glaube, das gibt den Texten vielleicht ein bisschen mehr Gewicht. Weil es viel eingängiger ist und man viel schneller in den Song hineinkommt.

Wie ist das für die anderen beiden in der Band, dass ANGER MGMT. so persönliche Texte haben?
Für mich war es bei der Bandgründung ganz wichtig, Freunde anzusprechen, die auch dahinterstehen können. Ich habe mir also ganz explizit die Menschen ausgesucht, mit denen ich Musik mache, und sie von Anfang an damit konfrontiert, dass ich sehr persönliche Songs schreiben möchte. Das war für die beiden überhaupt kein Problem, auch wenn sie keine Texte dazu beisteuern. Außerdem haben wir alle mit Problemen zu kämpfen, in den Texten sind auch Sorgen oder Ängste von Simon und Daniele verarbeitet.

Ursprünglich war die Band eigentlich ein Soloprojekt, oder?
Genau, während der Pandemie lag meine alte Band USELESS auf Eis und ich habe in dieser Zeit viele Songs geschrieben, während die anderen studiert haben. Ich habe dann ein Demo aufgenommen und beim M For Music-Festival eingereicht. Das ist ein großes Festival für Newcomer in der Schweiz. Das kam sehr gut an, daraus ist die erste Single „Fake Manhood“ entstanden und ich habe natürlich eine Band gebraucht. Unser erstes Konzert hatten wir bei den Musikfestwochen in Winterthur im August 2021 vor knapp 3.000 Zuschauern. Das war wirklich krass, weil vorher noch niemand unsere Songs gehört hatte, bis auf das Demo, das ich eingereicht hatte. Aber zum Glück hatten wir alle drei schon jahrelange Erfahrung in Bands und mussten nicht bei null anfangen. Es war viel einfacher, als ich befürchtet hatte, und das Feedback war sehr positiv.

Über HATHORS, die Band eures Produzenten Marc Bouffé, wurde im Ox schon mehrfach berichtet. Wie seid ihr zusammengekommen?
Marc ist für ein großes Vorbild. Er kommt auch aus Winterthur und ich habe seine alte Band NOWHERE mal live im Fernsehen gesehen. Damals war ich 13 oder 14 Jahre alt. Dann habe ich ihn Jahre später bei einem Konzert getroffen und habe ihn angesprochen und er hat mir gleich angeboten, ein Demo von meiner Band aufzunehmen. Das ist dann mit USELESS wirklich zustande gekommen und daraus ist auch eine Freundschaft entstanden. Wir hatten lange auch unsere Proberäume nebeneinander. Deshalb haben wir uns oft am Wochenende getroffen, gemeinsam gegrillt oder Musik gemacht. Ich schätze ihn sehr.

Erklär doch mal den Hintergrund des Albumtitels und des Titeltracks „Anger is energy“. Wie ist das gemeint?
Neben meiner Angsterkrankung hatte ich auch eine mittelschwere depressive Phase und war deshalb fast vier Jahre lang arbeitsunfähig. In diesem Song beschreibe ich den Teufelskreis, in dem man sich da bewegt. Man wacht morgens auf und hat keine Energie aufzustehen und daraus entsteht dann eine Wut. Wenn man viele Dinge nicht mehr machen kann, die früher kein Problem waren, wie zum Beispiel sich mit Freunden zu treffen, eine Reise anzutreten oder schlicht einzukaufen. Diese Gefühlslage beschreibe ich in diesem Song. Aus dieser Wut konnte ich persönlich viel Energie gewinnen. Ich bin nächtelang in den Proberaum gegangen und habe ins Mikrofon geschrien, weil mich das so befreit hat.

Ein zentraler Song auf dem Album ist „Don’t blame it on me“. Da verarbeitest du deine Familiengeschichte, oder?
Genau, da beschreibe ich die Beziehung zu meinem Vater. Meine Eltern haben sich früh scheiden lassen, da war ich gerade acht Jahre alt. Die kommen beide aus dem ehemaligen Jugoslawien, also Bosnien und Serbien, deshalb war meine Erziehung sehr streng. Meine Mutter durfte viele Dinge nicht machen. Mein Vater hat uns oft schikaniert und runtergemacht. Für ihn war das normal, weil er das selbst so erlebt hat. Das hat mich sehr verletzt. Deshalb war ich sehr froh, als sich meine Eltern getrennt haben. Das war ein Moment, in dem ich endlich aufatmen konnte. Von meinem Vater kam also nie echte Liebe bei mir an. Das erklärt auch meine Angsterkrankung und meine Depressionen. Das verarbeite ich eben in diesem Song „Don’t blame it on me“. Ich war immer an allem schuld, dabei ist mein Vater einfach nicht mit uns drei Kindern klargekommen.

Du bist ja auch als Mental-Health-Aktivist in den Schweizer Medien unterwegs. Warum und für wen machst du das?
Weil ich meine Story so öffentlich gemacht habe, kamen immer mehr Anfragen von anderen Medien. Vom Fernsehen, vom Radio, von Podcasts und zum Teil auch von der Kirche, obwohl ich damit gar nichts am Hut habe. Da werde ich meistens als Redner gebucht oder besser gesagt als „offenes Buch“. Ich erzähle meistens von meiner Kindheit und meiner Geschichte und dann können die Menschen aus dem Publikum Fragen stellen. Und dann habe ich noch meinen Verein Madnesst, in dem alle zehn Mitglieder eine psychische Erkrankung haben oder hatten. Ein Kollektiv, das sich für das Thema „psychische Gesundheit“ einsetzt. Von Angsterkrankungen über Schizophrenie bis zu Borderline. Und wir versuchen mit unserer Arbeit, die Öffentlichkeit dazu zu bewegen, Stigmata zu beseitigen, offene Diskussionen anzustoßen und aufzuklären, dass es eben jeden treffen kann. Jeder Mensch hatte schon eine depressive Phase und trotzdem wird es immer totgeschwiegen, weil man Menschen ihre psychischen Probleme nicht ansieht. Es sei denn, sie rennen nackt über den Marktplatz.