BANKRUPT

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Das Ende der Demokratie, wie wir sie kennen

Ungarn erlebt seit Jahren schon, was uns womöglich drohen könnte, sollte die CDU (was ich dieser unbedingt zutraue) aus machtpolitischen Gründen mit der AfD zusammenarbeiten: Den Umbau des Staates zu einer illiberalen Demokratie, in der Minderheitenrecht und Meinungsfreiheit konsequent eingeschränkt werden. Viktor Orban setzt das in Ungarn konsequent und nach Meinung mancher unumkehrbar um, und BANKRUPT aus Budapest thematisieren das konsequent. Daher der Albumtitel „Illiberal Holiday“, daher Songs wie „Hungarian Satan“ oder „Viktorland“ oder der Titelsong. BANKRUPT gibt es schon seit einer halben Ewigkeit, Mitte der Neunziger gründeten sie sich, 2000 kam ihre erste Platte, „Illiberal Holiday“ ist ihr sechstes Album, und trotz der klaren, ernsten Botschaft setzen BANKRUPT hier ihr traditionelles Pop-Punk-Konzept alter US-Schule wieder konsequent um. Bassist und Sänger Rocco beantwortete meine Fragen.

Das letzte Interview im Ox ist schon eine Weile her: Wie ging das einst los mit euch?

Ja, es gibt uns schon seit über zwei Jahrzehnten. Wir veröffentlichen alle unsere Songs sowohl auf Englisch als auch auf Ungarisch. Neben unserer festen lokalen Fangemeinde haben wir Zuhörer auf der ganzen Welt, vor allem aber in den Vereinigten Staaten und Deutschland. Ich würde sagen, wir haben viel mit der besten deutschen Band der Welt, DIE ÄRZTE, gemeinsam, denn auch wir mischen Punkrock mit Elementen anderer Stile, mit einer starken Pop-Sensibilität, und wir können auch lustige Lieder über ernste Themen schreiben, einschließlich Politik. Wir sind nur noch nicht so populär wie sie, aber wir kommen langsam voran, haha. Unser neues Album „Illiberal Holiday“ ist mit Abstand unser bisher erfolgreichstes. Drei Singles aus dem Album „Hungarian Satan“, „Viktorland“ und „Idiot tax“, sind auf YouTube viral gegangen und haben unsere lokale Hörerschaft ziemlich angekurbelt. Wir hatten gerade unsere Album-Release-Party hier in Budapest, und es war der beste Gig unseres Lebens. Vor der Pandemie haben wir viel in Deutschland und Österreich gespielt und sind dieses Jahr in beide Länder zurückgekehrt, was wir hoffentlich öfter wiederholen werden. Das aktuelle Line-up der Band besteht aus mir, Rocco am Bass, William an der Leadgitarre, Salvatore an der Rhythmusgitarre und Dani am Schlagzeug. William und ich sind die Gründungsmitglieder, aber Sal und Dani sind schon seit einigen Jahren dabei.

Musikalisch habt ihr euch ziemlich verändert. Am Anfang gab es mehr RAMONES, wenn ich das mal so sagen darf. Heute ist euer Punk poppiger und moderner.
Unsere Einflüsse kommen aus verschiedenen Arten von melodischem Punkrock, von Klassikern wie den RAMONES und THE CLASH bis zu NOFX und anderen kalifornischen Bands. DIE ÄRZTE habe ich schon erwähnt, und um auch eine neuere Band zu nennen, fühlen wir uns von der Einstellung her den DEECRACKS aus Österreich nahe. Die Grundzutaten sind von den oben genannten Bands, aber wir versuchen, auch andere Stile in unsere Musik einzubauen. Wir verwenden Elemente des Ska-Punk der INTERRUPTERS, des Synthie-Punk der EPOXIES, Vibes der BLOODHOUND GANG, Surf-Gitarren und sogar Reimtechniken aus dem HipHop. Wir versuchen, innovativ zu sein und zu experimentieren, um die Dinge interessant zu halten, so wie THE CLASH oder die DWARVES, um eine weitere Band zu nennen, die wir mögen.

Was braucht es, um eine Band so lange am Laufen zu halten?
Wir wussten immer, dass wir mit ein bisschen Glück noch viel erfolgreicher werden können. Wir haben großartige Dinge erreicht, wie zum Beispiel als einzige Band aus Kontinentaleuropa auf vier Cleopatra Records-Compilations vertreten zu sein, THE DAMNED, TOY DOLLS und Marky Ramone in Budapest zu supporten, auf coolen Festivals in Deutschland, Österreich und der Tschechischen Republik zu spielen und mit einem Song im Soundtrack der US-Horrorkomödie „Black Friday“ vertreten zu sein. Aber den wirklichen Durchbruch in Ungarn hatten wir mit dem „Illiberal Holiday“-Album. Ich habe noch nie von einer Band gehört, die ihre erfolgreichsten Songs zu so einem späten Zeitpunkt in ihrer Karriere herausgebracht hat, aber wir haben es geschafft.

Ihr habt euch sehr viel Mühe mit euren Videos gegeben. Und ich schätze, ohne Budget ... Was ist der Trick? Und das Konzept?
Die Idee, Supercuts aus hunderten von Filmen zu erstellen, die zu den Texten der Songs passen, entstand zum einen aus Budgetgründen, zum anderen, weil es so perfekt zu den Songs passt. Wir verwenden sehr kurze Szenen, die wie Memes funktionieren, und geben ihnen im Kontext des Songs eine neue Bedeutung, ähnlich wie bei der Collagekunst des frühen Punkrock. Es hat mich viel Mühe gekostet, diese Videos zu erstellen, aber das war es auf jeden Fall wert, denn sie haben viel zum Erfolg der Songs beigetragen.

Ich habe gerade einen Artikel über ein Projekt deutscher Politikwissenschaftler gelesen, in dem simuliert wurde, wie Deutschland „legal“ in einen rechtsradikalen Staat wie Ungarn oder Polen verwandelt werden könnte, wenn eine Partei wie die AfD hier an die Macht käme. Ziemlich beängstigend. Und in dem Artikel schreiben sie, dass Orbán es inzwischen geschafft hat, seine Machtstrukturen so zu etablieren, dass es so gut wie unmöglich ist, ihn und seine Leute in naher Zukunft von der Macht zu verdrängen. Wie erlebst du dieses System im täglichen Leben?
In dem Song „Viktorland“ verwenden wir das Motiv des Mannes, der vom Wolkenkratzer fällt, die wir aus dem französischen Kultfilm „La Haine/Hass“ übernommen haben. Auf seinem Weg nach unten sagt er immer wieder „So weit, so gut“, um sich selbst zu beruhigen. Aber es kommt nicht auf den Sturz an, sondern darauf, wie du landest. Das beschreibt die ungarische Gesellschaft. Viele Menschen hier haben geglaubt, dass Orbán, auch wenn er ein Autokrat ist, für einen guten Lebensstandard sorgen kann, dass es also vielleicht doch nicht so schlimm ist. Aber dann hat die Realität zugeschlagen: Die EU hatte genug von seinen Spielchen, sie hat die Gelder gestrichen und jetzt haben wir eine Rekordinflation, die uns zu unserem Song „Idiot tax“ inspiriert hat, und einen sinkenden Lebensstandard, ein zusammenbrechendes Bildungs- und Gesundheitswesen. Doch wie du schon sagtest, wird er wahrscheinlich noch lange Zeit an der Macht bleiben. Seine Lebensversicherung ist unser idiotischer Ex-Premierminister Ferenc Gyurcsány alias Feri, dessen politische Karriere 2006 hätte enden sollen, als eine Rede durchsickerte, in der er zugab, das Volk belogen zu haben, um gewählt zu werden. Aber er weigert sich zurückzutreten und lässt sich von Orbán als Buhmann benutzen. Unser Lied „Hungarian Satan“ handelt von ihm. Wenn die Regierungspartei einen Politiker in Misskredit bringen will, stellt sie ihn einfach auf ein Plakat mit Feri. Mit dieser aufwandsarmen Technik haben sie vier Wahlen gewonnen. Feri macht Viktors Leben so einfach.

In Deutschland ist die AfD in den östlichen Bundesländern sehr stark geworden. Menschen aus unseren Kontexten befürchten, dass die AfD, wenn einer von ihnen zum Beispiel Bürgermeister einer Stadt wird oder sie die Mehrheit im Stadtrat bekommen, als Erstes gegen die lokalen Kulturzentren vorgehen wird, die typischerweise links sind. Die Kürzung ihres Budgets, das Behindern von LGBTQ+-Aktivitäten, das Verbot von Konzerten und Festivals mit Punkbands und anderen linken Künstlern könnten die Folge sein. Was sind deine Erfahrungen in Ungarn in dieser Hinsicht?
Es gibt viele Veranstaltungsorte und Festivals, die mit der Regierung verbunden sind und sie mögen kritische Stimmen nicht wirklich. Hier in Ungarn geht es darum, gegen oder für die Regierung zu sein, nicht darum, links oder rechts zu sein. Wir wollen nicht als links oder rechts kategorisiert werden, ich würde sagen, wir sind in der Mitte und versuchen, jegliche Assoziationen mit Ideologien zu vermeiden, die in der Vergangenheit Katastrophen verursacht haben. Aber die ungarische Punk-Szene hat ein größeres Problem als die Regierung: Sie stirbt langsam aus und wird von alten Bands dominiert, die ihre größten Hits schon vor dreißig oder vierzig Jahren geschrieben haben. Es gibt nur sehr wenige Bands, die in diesem Jahrtausend aufgetaucht und erfolgreich geworden sind. Wahrscheinlich ist die Band KOZMOSZ hier das beste positive Beispiel, abgesehen von uns.

Ihr habt das Album „Illiberal Holiday“ betitelt ... Wenn Menschen aus anderen europäischen Ländern wie Deutschland aus touristischen Gründen nach Ungarn fahren, wenn sie den Plattensee oder das Sziget Festival besuchen, fällt es ihnen wohl schwer zu erkennen, was in Ungarn „falsch“ läuft. Könntest du uns von einigen Aspekten des Orbán-Systems erzählen, bei denen Menschen aus dem Ausland tatsächlich spüren, sehen und erkennen können, was vor sich geht?
Die Begegnung mit der Regierungspropaganda kann für einen Ausländer schockierend sein. Es macht uns immer noch Angst, obwohl wir es mittlerweile gewohnt sein sollten. Sie pushen ständig diese gruseligen Videos im Stil von 1984 auf YouTube. Das nationale Fernsehen und Radio sind schlimmer als zu Zeiten des Kommunismus und überall sieht man ihre schrecklichen Propagandaposter. Es ist wichtig zu erwähnen, dass unsere Regierung bei jungen Menschen wenig Rückhalt hat und dass sie in Budapest viel unbeliebter ist als im Rest des Landes. Wenn du also Budapest oder eine andere größere Stadt besuchst und dich unter junge Leute mischst, sind sie genauso wie in jedem anderen europäischen Land.

Wie sieht es mit den Medien aus? Wie politisch oder unpolitisch sind sie in Ungarn? Und wie reagieren sie – und die Öffentlichkeit – auf eure Musik, Lieder und Videos?
Die meisten Medien sind mit der Regierung verbunden. Sie berichten hier fast gar nicht über uns. Es ist wirklich die Öffentlichkeit, die den Erfolg unserer Videos auf YouTube antreibt. Wir haben unglaublich viele positive Reaktionen bekommen und der Algorithmus hat daraufhin angefangen, die Videos zu empfehlen. Das Gleiche ist bei Spotify passiert: Wir sind in die offiziellen Playlists gekommen, weil viele Leute die Songs in ihren privaten Playlists weitergespielt haben. Unsere Texte machen sich über die Absurdität dieses Systems lustig und treffen genau die Gefühle der Menschen. Wir sprechen aktuelle Themen an und unsere Musik ist eingängig genug, um auch Leute außerhalb der Punk-Szene anzusprechen. Als wir kürzlich den Titelsong von „Illiberal Holiday“ veröffentlichten, der sich mit den von der Regierung verursachten Umweltschäden beschäftigt, bekamen wir viel positives Feedback von Leuten, die in den betroffenen Gebieten leben. Was die Musikpresse angeht, so habe ich in den frühen Zweitausender Jahren das Magyar Taraj Zine herausgegeben, das dem Ox in Ungarn am nächsten kam. Leider hat seither niemand mehr etwas Ähnliches gemacht, wir haben nur noch Hipster- und Metal-Webzines.

Wie geeint oder gespalten ist die ungarische Rockmusikszene in ihrer Haltung gegenüber der Regierung? Gibt es Orbán-Unterstützer?
Im Allgemeinen meiden die meisten Rockbands die Politik. Es gibt aber auch Punkrock-Bands, die dafür bekannt sind, dass sie gegen die Regierung sind, und es gibt auch einige Mainstream-HipHop-Bands, die so sind. Es gibt auch Bands, die die Regierung offen unterstützen, das sind in der Regel sehr alte Hardrock-Musiker.

Im Jahr 2021 habt ihr den Song „The plane to Toronto“ geschrieben, der auf dem neuen Album enthalten ist. Er handelt von eurem ehemaligen Sänger Michael Korvigs, der 2018 von dem repressiven Regime in China inhaftiert wurde.
Michael ist in Kanada geboren, sein Vater ist Ungar. Er kam in den späten Neunziger Jahren nach Budapest, um die Heimat seiner Vorfahren zu entdecken. Als wir die Band gründeten, wollten wir nur auf Englisch singen und suchten einen Sänger, der Englisch als Muttersprache hat. Er war die ersten drei Jahre in der Band, dann ging er zurück. Eine Aufnahme des Songs „Listen“ mit ihm am Mikro erschien auf der „We’re Not Generation X“-Compilation von GC Records, die du immer noch auf Bandcamp finden kannst. Später war er als politischer Analyst in China tätig. Als die Finanzchefin von Huawei in Kanada inhaftiert wurde, antworteten die Chinesen mit der Festnahme von zwei kanadischen Staatsbürgern. Michael war einer von ihnen. Er verbrachte mehr als 1.000 Tage unschuldig in einem chinesischen Gefängnis und wurde als Geisel gehalten. Wir schrieben „The plane to Toronto“, um auf seine Situation aufmerksam zu machen. Der Song wurde in den kanadischen Medien viel beachtet und wurde, wie Michael später sagte, zum Soundtrack seiner Befreiung, die glücklicherweise ein paar Monate nach der Veröffentlichung des Songs stattfand. Jetzt geht es ihm gut und er arbeitet an einem Buch, das die ganze Geschichte erzählt.

Ungarn hat eine Grenze mit der Ukraine. Und Orbán liebt Putin. Wie erlebst du die Kriegssituation?
Wir verurteilen die russische Aggression und wir schämen uns für die zynische Politik der ungarischen Regierung. Viele Ungarn, darunter auch wir und unsere Freunde, haben ukrainischen Flüchtlingen mit Spenden geholfen oder Unterkünfte zur Verfügung gestellt. Denke nicht, dass Orbán das Gesicht Ungarns ist. Er ist eher der Arsch des Landes, denn er ist für die ganze Scheiße verantwortlich.