BEAUTIFUL NOISE FESTIVAL

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Qualiät hängt nicht vom Geschlecht ab

In Siegen geht was: Mit dem Beautiful Noise Festival gibt es seit 2019 in der Universitätsstadt ein Festival im Vortex Surfer Musikclub, auf dem nur Bands mit Frauenbeteiligung spielen. Die Idee dazu hatte der Veranstalter Michael Plügge, nachdem es vor allem 2017/18 eine öffentliche Debatte gab rund um stark männlich dominierte Line-ups. Als er schließlich vom Primavera Festival in Spanien hörte, das eine Frauenquote eingeführt hat, stand für ihn fest: So etwas braucht Siegen auch. Im Interview erklärt Michael Plügge, wie sich das Festival trotz Pandemie halten konnte, warum ich ausgerechnet mit einem Mann über dieses Thema spreche und was er sich für seine Heimat Siegen wünscht.

Seit einiger Zeit wird immer wieder Kritik laut am zu geringen Frauenanteil auf Festivalbühnen. Und in den letzten ein, zwei Jahren sorgte der Hashtag #PunkToo auf Instagram und Facebook vermehrt für Diskussionen über Sexismus in der Szene. Spielte das auch eine Rolle oder was hat für euch den Anstoß gegeben, dieses Festival doch weiter durchzuziehen, obwohl ihr durch Corona gelitten habt?

Von dem Hashtag habe ich tatsächlich nichts mitbekommen. Es war einfach nur so, dass der Erfolg uns recht gab und dass ich das Gefühl hatte, das macht Sinn und die Leute fühlen sich alle wohl. Es war so eine Wohlfühlveranstaltung. Und die Besucher:innen, die da waren, haben uns persönlich angesprochen und sich bedankt, dass so was in Siegen stattfindet. Gerade aus dem Umfeld des Intellektuellen Fotzen Clubs, also den Feminist:innen in Siegen, oder auch der Antifa kamen Stimmen, dass das gut ist, aus der Politik auch. Bei der Atmosphäre an dem Abend war uns schon klar: Super, das bleibt! Dazu kommen die Leute, die sagten: Das macht ihr doch noch mal?! Das war eigentlich das, was uns bestärkt hat, also den Phil, den Inhaber des Vortex, und mich, zu sagen, wir machen das auf jeden Fall weiter.

Es geht bei dem Festival ja darum, dass Frauen eine Bühne gegeben wird und sie im Mittelpunkt stehen. Aber ich spreche jetzt mit dir – und du bist ein Mann. Wie passt das zusammen?
Hm, darauf fällt mir jetzt keine Antwort ein. Die Frage ist, darf ich als Mann nicht so ein Festival veranstalten?

Doch, sicherlich. Die nächste Frage wäre dann, ob ihr zum Beispiel auch hinter der Bühne darauf achtet, dass ein gewisser Frauenanteil dabei ist?
Ja, wir haben eigentlich hinter der Bühne keinen Einfluss, weil die Bands die Sachen selber machen. Dann haben wir am Mischpult zwei Herren stehen – den Clubbesitzer, Phil, der auch kocht, rein vegan immer, und das Licht macht. Und dann haben wir noch den Hausmischer, den Falko. Das sind zwei Männer. Hinter der Theke und an der Kasse sind Frauen und bei der Aftershow haben wir eine Frau, die die organisiert. Das ist aber nicht hinter der Bühne, das ist auch auf der Bühne. Wenn es Frauen gäbe, die mischen würden, stünde vielleicht auch eine Frau hinter dem Mischpult. Bis jetzt hat sich noch keine gemeldet.

Nach der Premiere des Festivals 2019 musste die zweite Ausgabe wegen der Pandemie digital stattfinden. Jetzt seid ihr wieder live dabei. Wie habt ihr es geschafft, dass das Projekt über die Zeit der Pandemie nicht im Sande verlaufen ist?
Im Mai 2020 gab es eine digitale Ausgabe und im November 2020 und Mai 2021 musste es ganz ausfallen wegen des Lockdowns. Wir hatten aber die Festivals jeweils angekündigt und erst kurz vor Schluss definitiv abgesagt. Das heißt, es gab immer die Social-Media-Arbeit sowie Plakate, Flyer. Wir haben immer so getan, als gäbe es Corona nicht oder als würde es keinen Lockdown geben. Und so sind wir eigentlich nie weggewesen. Wir konnten nichts machen, aber wir waren immer da und haben einfach die Line-ups verschoben. Dann wieder konnten Acts nicht. Also sind sie aus dem Line-up rausgefallen. Andere wurden aber geschoben. Eine Künstlerin, die schon 2020 auftreten sollte, wird nächsten Mai dabei sein – Gloria de Oliveira, die gerade auf Sacred Bones ihr zweites Album rausgebracht hat. Also es wird eine spannende Sache. Die hätten wir eigentlich schon November 2020 hier gehabt. Das ist ja so die Kultur des Verschiebens, die wir jetzt überall erleben und die auch dafür sorgt, dass ... ja, ich weiß auch nicht, ob die mit ein Grund dafür ist, dass die Vorverkaufszahlen so beschissen sind momentan. Für alle Veranstaltungen. Außer vielleicht für Ed Sheeran und COLDPLAY. Alles andere ist ein Desaster und das ist auch im Vortex so. Der Vorverkauf für alles ist desaströs. Ich kenne auch Leute, die Konzerte veranstalten in Köln oder Hamburg – da ist es das gleiche. Ich glaube, wenn die Leute die Tickets, die sie alle noch an der Pinnwand haben, nicht irgendwann weghaben oder falls sie sich gar nicht erst wieder an Konzerte gewöhnen oder ans Ausgehen – Theater, Kino haben ja die gleichen Probleme –, dann wird es uns auch nicht mehr lange geben. Ich meine, solange wir Fördergelder haben, ist es okay, und jetzt im November 2022 bekommen wir auch etwas von „Neustart Kultur“ vom Bund, aus dem Topf werden wir schöpfen. Ansonsten könnten wir uns auch THE TCHIK als Headliner gar nicht leisten, muss man auch dazu sagen. Aber es ist die fünfte Ausgabe und wir kalkulieren damit, dass es ausverkauft sein wird.

Offenbar scheint das Konzept also aufzugehen. Dabei gab es in der Szene immer wieder Stimmen, die meinten, es würde einfach nicht genug Frauen in Bands geben, um auf Festivals eine Frauenquote zu erfüllen. Ihr beweist das Gegenteil – was würdest du solchen Leuten also entgegnen?
Dass Qualität nicht vom Geschlecht abhängt. Ganz einfach. Die von Rock am Ring sagen ja: Wir würden mehr Frauen-Bands buchen, aber es gibt sie nicht. Ja, es gibt sie aber doch. Natürlich gibt es sie. Es gibt sie in allen Bereichen, und wenn ich nach Holland oder Belgien schaue auf die Indie-Festivals, da sieht das Line-up auch anders aus. Es ist ein deutsches Phänomen, dass die Line-ups immer noch so sehr männlich geprägt sind. Die Einzige, die das jetzt mal anders versucht hat, war Carolin Kebekus letzten Sommer im Kölner Tanzbrunnen. Die natürlich groß damit warb, dass es das erste und einzige Frauen-Festival in Deutschland ist, was es ja nicht ist, aber trotzdem ist das eine super Sache, weil auch sie natürlich dieselben Beweggründe hat, darauf aufmerksam zu machen, dass bei uns im Land etwas in Schieflage ist. Wir haben jetzt auch einen Verein gegründet, Beautiful Noise e.V., mit mehr Frauen bisher als Männer als Mitglieder. Um ein bisschen breiter aufgestellt zu sein bei der Vorbereitung, und auch, um vielleicht während eines Jahres mehr als nur die zwei Festivals zu machen. Da dürfen dann auch gerne Männer auftreten, weil wie gesagt, ich unterscheide da zwischen den Geschlechtern nicht, aber das Beautiful Noise Festival hat natürlich diesen Schwerpunkt. Aber wenn wir noch andere Konzerte als Verein veranstalten werden, wird es durchaus auch Male-Fronted-Acts geben. Ich mache da keinen Unterschied. Ganz einfach.

Es wurde jetzt schon ein paar mal das Vortex angesprochen, wo das Beautiful Noise Festival stattfindet. Warum ausgerechnet dieser Standort, anstatt eine Stunde entfernt in einer Stadt wie Köln?
Das ist eine sehr gute Frage. Es würde vieles einfacher machen, in der Tat, weil die Siegener:innen fahren gerne mal eine Stunde nach Köln, Dortmund oder Frankfurt, aber die Kölner:innen, Dortmunder:innen und Frankfurter:innen machen es in der Regel umgekehrt nicht. Und da wäre es einfacher gewesen. Aber weißt du, ich möchte, dass in meiner Heimatstadt was passiert. In Köln, Dortmund, Frankfurt passiert ja schon genug. Ein Alleinstellungsmerkmal hat man da nie. Außerdem habe ich zwei kleine Kinder, und dann müsste ich mir ja die Nacht um die Ohren schlagen. Ich möchte, dass Siegen aufgewertet wird, weil die Stadt hat ja erst mal das Image: Oh scheiße, ich muss nach Siegen an die Uni! Das weiß ich noch aus meiner Zeit, als ich hier studiert habe. Und das stört mich ungemein, weil von der Landschaft, von der Stadt her ist Siegen gar nicht so verkehrt. Die Lage ist gut. Nur das kulturelle Angebot ist noch mangelhaft, vor allen Dingen für eine jüngere Zielgruppe, immer nur das Gleiche. Und da setze ich an, es geht auch darum, hier in Siegen, wo ich herkomme, etwas zu machen.