BERTHOLD CITY

Foto© by Todd Pollock

In Würde gealtert

Andrew Kline ist seit Jahrzehnten in der US-Hardcore-Szene aktiv. Er ist Gitarrist bei der L.A.-Hardcore-Band STRIFE, spielt mit Mitgliedern von TERROR, CHAIN OF STRENGTH und GORILLA BISCUITS in WORLD BE FREE, produziert Musikvideos und betreibt sein Label War Records. Als Sänger von BERTHOLD CITY war er jüngst mit IGNITE auf Europatour und präsentiert nach drei Singles nun das neue Album „When Words Are Not Enough“. Ich traf Andrew vor dem Konzert in Schweinfurt zum Interview.

Andrew, das ist mein erstes Interview seit Juni 2019, das ich live von Angesicht zu Angesicht führe – alles andere passierte online. Was bedeutet es für dich, jetzt wieder unterwegs zu sein?

Die letzten zwei Jahre waren für alle schwer. Und wir alle brauchen den persönlichen Austausch. Die Fans brauchen das, wir Bands brauchen das. Es ist super, endlich mal wieder Leute zu treffen, die außerhalb unserer medialen Bubble sind, mit der wir die ganze Zeit in Kontakt geblieben sind. Wir können endlich wieder Freunde treffen. Es ist auch toll, endlich wieder die Welt bereisen zu können und die Songs unserer neuen LP live vor Publikum zu spielen zu können. Das letzte Mal war ich 2019 in Europa auf Tour.

In Deutschland haben wir gerade die Situation, dass alle natürlich erst mal froh sind, dass wieder Konzerte stattfinden. Die der großen Bands sind ziemlich voll, die mittelgroßen haben aber teilweise bis zu zwei Drittel weniger Zuschauer als früher, weshalb ganze Touren abgesagt werden. Wie läuft es in den USA?
Es ist mehr los als jemals zuvor. Hardcore erlebt aktuell eine Renaissance in den USA. TERROR spielen große Shows, SUNAMI und DRAIN ebenso und TURNSTILE treten vor zwei- bis dreitausend Leuten auf. Während der Pandemie gründeten sich viele Bands, die mittlerweile teilweise Headliner sind.

Wie war es für dich in den letzten Wochen in Deutschland im Vergleich?
Es war großartig! Wir sind eine neue Band und spielen vor hunderten von Leuten.

Ihr seid ja auch mit IGNITE unterwegs.
Natürlich. Und die Leute kommen trotzdem, obwohl so viele negative Dinge zusammen kommen wie der Krieg in der Ukraine mit seinen ökonomische Folgen. Durch die hohen Energiepreise haben die Leute auch weniger Geld. Ich glaube auch, dass sich hier noch nicht alle auf den Shows richtig wohl fühlen. Bestimmt gehen einige auch nicht mehr auf jedes Konzert, sondern wählen die Bands gezielter aus als früher. Nach dem, was du sagst und was mir Freunde und Promoter berichten, denke ich, dass es hier einfach noch eine Weile dauern wird, bis es wieder richtig läuft. Die Situation hier ist nicht mit der in den USA vergleichbar. Ich meine, wir haben jetzt Ende 2022. Hier in Europa haben die Shows im Herbst erst wieder begonnen – in den USA gehe ich seit zwei Jahren auf Konzerte. Ich kann dir gar nicht sagen, wie viele es bei mir „post-pandemic“ waren – ich nehme an, es waren hundert. Mit IGNITE unterwegs zu sein, ist für uns als neue Band natürlich super, so lernen uns auf einen Schlag viele kennen, wenn du jeden Abend vor hunderten von Leuten spielst. Das wird sich auch auf der nächsten Tour auszahlen, egal, ob als Headliner oder wieder als Support. Wobei man natürlich nur das machen sollte, was Sinn ergibt, und nicht zu jedem Angebot ja sagen darf. Aber dafür sind wir alle schon zu lange im Geschäft.

Ist die Hardcore-Szene von L.A. wie eine Familie für dich? Dein Name fällt sehr oft, wenn ich mit Musikern von dort spreche, letztens erst bei TERROR und bei DOWNSET. zum Beispiel.
Wir kennen uns teilweise einfach schon ewig. Scott von TERROR habe ich Anfang der Neunziger kennengelernt, als er noch seine Band DESPAIR hatte. Er ist dann nach L.A. gezogen und wir haben uns ständig getroffen. Ray von DOWNSET. war der erste Sänger, dem ich jemals begegnet bin, wir kennen uns quasi schon seit der Schulzeit. Was ich bei Hardcore aber nicht haben will, wäre eine Clique von immer denselben Leuten, ich will hier nicht diesen Cool-Guy-Highschool-Faktor, bei dem der eine bestimmt, was der andere hören soll.

Letzte Woche war ich auf einem Konzert von BOYSETSFIRE, HOT WATER MUSIC, SAMIAM und BE WELL – und habe ehrlich gesagt fast nur alte Leute wie uns im Publikum gesehen. Die einzige größere Band, bei denen ich junge Leute auf den Konzerten entdecke, sind TERROR.
Das hängt immer von den Bands ab. TERROR sind ziemlich smart und gehen mit jungen Bands auf Tour. So bekommen sie auch junges Publikum und neue Fans. Ich meine, sie waren mit MINDFORCE oder PAIN OF TRUTH unterwegs, eine junge Band, die sich während der Pandemie gegründet hat und die gerade einen Hype erlebt. Das ist strategisch super, weil du die ganze Energie, die du auf einem Konzert haben willst, nicht von nur über Vierzigjährigen bekommst. Wenn wir allein mit STRIFE ein Konzert geben, haben wir natürlich erst mal ein älteres Publikum. Wenn wir aber junge Bands dazu buchen, werden auch viele aus deren Generation da sein.

Ich habe letztens einen Kommentar gelesen, in dem YOUTH OF TODAY als „Old Of Today“ bezeichnet wurden.
Jeder wird älter. Und das kann man in Würde tun. YOUTH OF TODAY sind eine tolle Band, die gute Auftritte hinlegt, und deshalb gehen die Leute hin. Natürlich ist es bei ihnen ein bisschen komisch, weil sie eben „Youth“ in ihrem Namen haben, aber was soll’s. Viele Rock- und Blues-Bands werden bis ins hohe Alter gehört und respektiert. Im Punk und Hardcore ist es nur noch etwas ungewohnt, weil es das eben einfach noch nicht so lange gibt.

Ist es bei BERTHOLD CITY Teil einer Message, dieses „Holding on“, wie ein Song auf der neuen Platte heißt?
Die Message ist, dass du nicht vergessen solltest, wo du herkommst. Und woher Hardcore kommt. Kids, die zur Hardcore-Szene gehören, sind die, die nicht nach drei Monaten wieder verschwinden, sondern die, die dabei bleiben. Die zum Beispiel mit TERROR einsteigen und sich damit auseinandersetzen. Wo kommen sie her? Was hat sie geprägt? Und wenn man sich ein bisschen mit deren Werdegang beschäftigt, lassen sich so viele Einflüsse entdecken. In dem Fall zum Beispiel KILLING TIME, MADBALL, AGNOSTIC FRONT, STRIFE, es geht sogar bis zu den BAD BRAINS zurück. „Holding on“ bedeutet, dass es wichtig ist zu wissen, wo deine Wurzeln sind, woher der Sound und der Stil von Hardcore kommen, und mit den alten Bands respektvoll umzugehen.

Warum hast du 2015 dein Label War Records gegründet?
Die Idee entstand bereits 2012, als wir mit STRIFE das Album „Witness A Rebirth“ aufnahmen. Wir sind nach Brasilien gegangen und haben es mit Nick Jett aufgenommen, Igor Cavalera saß an den Drums. Mein Kumpel von den QUESTIONS hat darüber eine dreiteilige Dokumentation gedreht. Wenn du an allem beteiligt bist, bis hin zum Marketing, fragst du dich irgendwann, warum du dein komplett fertiges Ding an ein Label gibst, obwohl du das Ganze ja eigentlich selbst abschließen und veröffentlichen könntest. Aus dieser Session waren noch ein paar Songs übrig, die ich als ersten Release auf War Records rausgebracht habe, das war unsere EP „Incision“. Und von da an ist es ziemlich schnell gewachsen und Platte um Platte erschienen. „Breathe The Fire“ von CINDERBLOCK ist jetzt Nummer 36.

Wie viel Arbeit bedeutet das Label für dich?
Natürlich viel. Aber ich will jungen Bands die Möglichkeit bieten, etwas zu veröffentlichen. Es ist schön zu sehen, wenn sie dann auch auf Tour gehen, wachsen, größer werden. Wenn du die Arbeit, die du machst, liebst, steckst du da auch viel Energie rein. Es ist mein Beitrag, um der Szene etwas zurückgeben zu können.

Welche zwei Bands auf War Records kannst du uns außer BERTHOLD CITY und STRIFE empfehlen und warum?
BENT BLUE, das ist sind eine sehr von Washington, D.C. beeinflusste melodische Band aus San Diego. Wenn du auf DAG NASTY und LIFETIME stehst, sind sie was für dich. CINDERBLOCK sind eine alte Band aus den Neunzigern, von denen ich wie gesagt „Breathe The Fire“ rausgebracht habe. Hier singt Scott Vogel von TERROR gemeinsam mit Tim Redmond, dem Drummer von SNAPCASE. Am Schlagzeug sitzt Dennis Merrick von EARTH CRISIS. Der Sound ist heavy und groovy und auch melodisch, beeinflusst von QUICKSAND, VERBAL ASSAULT und SHELTER. Die Songs sind noch von damals, wurden aber erst jetzt aufgenommen und haben daher eine moderne Produktion.

Gibt es bereits weitere Pläne für deine Bands STRIFE und BERTHOLD CITY?
Von BERTHOLD CITY wird es im Sommer 2023 eine Compilation geben, die aus den drei ausverkauften Singles, ein paar neuen Stücken und Coversongs bestehen wird. Mit STRIFE spielen wir demnächst einige Shows in den USA. Irgendwann Anfang 2023 soll auch eine remasterte „10th anniversery“-Version von „Witness A Rebirth“ erscheinen. Mit beiden Bands wollen wir so viel wie möglich spielen, um unsere Musik und unsere Message zu verbreiten.