BIPOLAR FEMININ

Foto© by Katie-Aileen Dempsey

Süß lächelnd Zähne und Haltung zeigen

Ende 2021 sorgte in Österreich ein Wahl-Wiener Quartett für nachhaltige Aufmerksamkeit – BIPOLAR FEMININ heißt die Band, „Süß lächelnd“ das Lied. Sängerin, Gitarristin und Texterin Leni Ulrich ließ es darin nicht an expliziter textlicher Deutlichkeit fehlen. „Mit euren Bärten seid ihr die Experten für alles / Mit euren Schwänzen überschreitet ihr all meine Grenzen“ oder „Ihr könnt da was drehen, ich soll nur vertrauen, ich werd’ euch gern eins – in die Fresse hauen.“ Die Musik des Quartetts setzt solche Emotionen musikalisch adäquat um und trifft damit mitten ins Herz.

„Wir sind alle aus Ebensee. Max ist mein Bruder, mit Jakob bin ich in die Schule gegangen, Samu ist der kleine Bruder eines anderen Schulkollegen“, erklärt Leni die Bandzusammensetzung bei unserem ersten Treffen im Januar 2022. BIPOLAR FEMININ sind die Art von Band, die Interviews fast zwingend zu viert, in kompletter Besetzung wahrnehmen. So sitzen Bassist Max Ulrich, der Gitarrist und gelegentliche Tastenmann Jakob Brejcha und Drummer Samu(el) Reisenbichler selbstverständlich mit am Tisch, der sich bald mit Biergläsern füllt. Auch bei unserem zweiten Treffen im April, da hatte die Band die lang erwartete Präsentation ihrer Debüt-EP „Piccolo Family“ schon hinter sich gebracht. Im Kramladen, einer der lebendigeren, spannenderen und unmittelbareren Live-Hütten Wiens, gemeinsam mit SCHAPKA, ihrerseits wiederbelebte Sympathie- und Qualitätsträgerinnen aus queer-feministischen Zusammenhängen. Die 6-Song-CD ist auf Numavi erschienen, sowieso immer eine gute Adresse. Leni: „Wegen Vinyl haben wir uns gedacht – nein, sonst dauert das halt ewig und für die EP machen wir das mal so. Wir haben auch noch Kassetten, die sind aber erst heute gekommen.“

Treffen mit BIPOLAR FEMININ arten für diesen Schreiber gerne aus – nicht nur was die Alkoholkonsumation betrifft. Dabei kommen einem beim Trinken und dem – zu gleichen Teilen gescheiten und dann wieder nicht so ernsten – Reden mit Jakob, Leni, Max und Samu über eigentlich alles, rasch Sätze, die Will Oldham singend über die von ihm verehrten MEKONS geprägt hat, in den Sinn: „If we drink we still think and we wake up in the morning, or we stay out all night long.“ Es ist einfach so, dass rasch klar wird, hier hat mensch es mit einer echten Band zu tun. Gebildet von Menschen, Freund:innen, die wirklich etwas miteinander zu tun haben, und denen ihre gemeinsame Musik aus dieser Verbundenheit heraus etwas bedeutet. Die genau deswegen Menschen, die diese Musik hören, auf Tonträger oder live etwas bedeuten kann. Samu erklärt die Backstory zu „Kalaschnikow“, einem der sechs Songs. Angestoßen wurde dieser vom Bestellen des gleichnamigen Getränks durch Bernadette La Hengst vor einem Konzert im Kino Ebensee, nicht nur für die Band eine so wichtige (sub)kulturelle Enklave in ihrem Heimatort. „Da kriagst a Stamperl mit Wodka, da is des Zitronenspeigerl drauf und do tuast di Kaffebohnen eini, und daun wird da Zucka drauf glaat ... und do scheiden si scho die Geista ...“ Leni: „Oiso i find – zuerst des Essen und daun owispülen.“ Die Sängerin setzt nach: „Als das Lied entstanden ist, hab ich, haben wir eigentlich alle, voll vü gesoffen ... Das war schon zu viel und gerade des Getränk, so a Kalaschnikow schiasst da in Schädl ... dieses Niedersaufen, dieses Nachrennen nach Freude und einer Leichtigkeit, was aber eigentlich zur Selbstzerstörung wird ... Sich selber so kaputt machen, durch etwas, was eigentlich zunächst Spaß war (...). Wir spielen das auch gern zum Schluss, aber es lässt die Menschen schon recht verstört zurück.“ Max: „Das passt schon.“

Wobei die Mittzwanziger:innen von BIPOLAR FEMININ alles andere als moralinsaure monomoralische Straight Edger:innen sind. Im Gegenteil, eine der zentralen Qualitäten dieser Band ist, wie blickgenau sie komplexe Dinge verhandeln und thematisieren, die sehr nah an ihrem Leben sind und aus diesem kommen. So fängt die EP mit dem Lied „13A“ an, das seinen Titel von einer recht „prominenten“ Wiener Buslinie („Sie schleckt den Mittelfinger ab und blättert um, ich hol’ in raus und zeig ihn rum / (...) Leidenfrostgasse, mein Leib ist erstarrt“) nimmt. In Wien wurden die vier zur Band. Obwohl Jakob, Max und Samu schon vor Jahren zu Hause im oberösterreichischen Salzkammergut miteinander Musik machten, nahm das Quartett Ende 2018 hier so richtig Fahrt auf. Ein bei einer Freundin bei Kaffee und Kuchen nacherzählter Ausflug nach Budapest, inklusive Bombenalarm, ließ Leni, die als eine ihrer musikalischen Prägungen Deutschpunk nennt, den darin enthaltenen Songtitel hören: „Bombenalarm in Budapest“. „1 Minute 20 lang, zwei Akkorde und gscheit gradaus.“

„Gscheit gradaus“ ist eine nicht unpassende Beschreibung für die Musik von BIPOLAR FEMININ, die im Sommer 2019 ihr erstes Konzert spielten. Dies weniger auf das Tempo ihrer Stücke bezogen als auf die große Klarheit, mit der diese daherkommen. Punkig, voller Energie und voller Pop-Appeal zugleich. Ohne je seichter Pop-Punk zu werden, weil sich nach und nach das eine oder andere einnehmende musikalische Detail offenbart. Und Leni exponiert sich in den Lyrics, die hauptsächlich sie schreibt, ganz schön. Sie macht sich weit auf, nicht nur bei „Fett“: „Zwei Kilo mehr und der Selbsthass steigt / (...) Doch ich bin wunderschön, ich bin eine Gottheit / (...) Mein Körper sprengt dein System.“

Der Bandname leitet sich von einer nicht tatsächlich diagnostizierten Bipolarität der Sängerin ab, ihrem als ständig wechselnd empfundenen Gefühlshaushalt, den die im Kindergarten arbeitende Leni als von „super Hochgefühlen und super Tiefgefühlen“ geprägt erlebt. Was immer wieder Anstöße für Texte, für Musik liefert, da will was heraus, da kann was heraus. Wobei mittlerweile Musik mehr aus der Band entsteht, und Leni passende Texte zu Melodien und Ideen sucht oder schreibt. Leni: „Wenn sich ein Typ auf die Bühne stellt, und irgendwelche wütenden Sachen singt, ist das halt so – wow, des ist wild. Bei mir heißt’s – die ist aber grantig oder emotional. Und ich denk mir dann – geh, leckt’s mich doch am Arsch! (...) Mein Geschlecht ist ein Thema.“ Zum „Feminin“ sagt sie: „Feminin? Wie stehe ich dazu als Frau? Das ist oft sehr schwierig für mich, ich passe da in viel gar nicht hinein, von mir aus, von außen werde ich klar als Frau wahrgenommen und gleichzeitig bringt das Unsicherheit mit sich, was in meinem Kopf als ‚feminin‘ wahrgenommen wird. Manchmal feiere ich das voll, dass ich eine Frau bin und so tolle Frauen um mich hab, oder tolle FLINTA-Personen. Und dann hasse ich es wieder, in solche gesellschaftliche Maßstäbe teilweise auch reinpassen zu wollen.“

Dabei haben ihre drei Freunde und Kollegen in der Band definitiv Lenis back, stehen hinter ihr und ihren Texten, sind alles andere als austauschbare Erfüllungsgehilfen ihrer Vision. Das so greifbare, spürbare Gemeinsame ist definitiv das, was BIPOLAR FEMININ speziell macht. Dies speist sich (auch) aus einer anderen „Bipolarität“, die Österreich so grundlegend prägt – das (Er)Leben „am Land“ und das in der Stadt. Wien, wo knapp 2 der 9 Millionen Menschen dieses seltsamen Landes leben, längst eine so komplexe wie vielfältige urbane Metropole, scheint sich immer weiter, nicht erst seit Corona, von der Realität „in den Bundesländern“ zu entfernen – und umgekehrt.

Jakob, Leni, Max und Samu kennen beides aus erster Hand und unmittelbarer Erfahrung. Die familiäre Nähe und gleichzeitige Enge der Marktgemeinde Ebensee mit ihren knapp 7.600 Einwohner:innen ebenso, wie das mitunter ganz schön pulsierende Wien, wo Diversität und Pluralität immer sichtbarer und lebbarer werden. Dabei kann sich mensch die „Experten für alles“ im Dorfgasthaus bildlich vorstellen, die nicht nur für Leni grundsätzlich alles besser wissen würden. Dabei soll hier noch einmal ein Scheinwerfer auf das schon erwähnte Kino Ebensee, eine sprichwörtliche Antithese zum kleingeistigen Provinziellen, gerichtet werden. Bassist Max war nicht zufällig Obmann, also Vorsitzender des dieses betreibenden Kulturvereins. Das Kino ist seit wenigstens dreißig Jahren vor allem mit seinem Konzertprogramm überregional und österreichweit wichtig. Nicht zuletzt durch das lokale Holzstock Open Air, das als erstes doch großes „Alternativ-Festival“ mehr mit subkultureller Community-Bildung zu tun hatte, als die im Land mit dem A viel später folgenden Formate des industriellen Veranstaltens. Es passt ins Bild, dass KURORT, eine der nachhaltig wichtigsten österreichischen Bands, aus dem ebenfalls im Salzkammergut gelegenen Bad Ischl stammend, eine vergleichbare Emanzipationsgeschichte verkörperten. Dabei war Ebensee, von wegen background, Standort eines Außenlagers des Konzentrationslagers Mauthausen. Ohne die Befreiungsschläge, die Standortbestimmungen von BIPOLAR FEMININ zu überladen oder von den individuellen Geschichten der Beteiligten entkoppeln zu können, schwingt da schon ganz schön was mit!

„Wir sind uns selber bewusster geworden, was wir da machen. Am Anfang haben wir Musik gemacht, weil es uns vier Spaß gemacht hat. Aber seitdem das mehr nach außen geht, jetzt, wo das was Gemeinschaftliches ist, was nicht mehr nur uns vier etwas angeht, sondern auch die Menschen, die es wahrnehmen, die uns hören, nehmen wir schon mehr ... nicht Rücksicht, wir übernehmen Verantwortung“, führt Max aus, ein wenig in der Rolle des auch theoretisch Reflektierenden, was die Band praktisch tut und erlebt.

Dabei geht bei und mit BIPOLAR FEMININ, wie mensch sagt, einiges. Sie spielen, wie es sich für eine junge Band gehört, vor allem gerne live und haben dabei die Erfahrung, Konzerte ohne das vertraute Stammpublikum aus Freundinnen und Freunden zu spielen, das auch Sicherheit gibt, mittlerweile längst hinter sich gebracht. Mit ungewöhnlichen Booking-Kombinationen – vor unserem zweiten Treffen wurde im oberösterreichischen Enns mit einer sprichwörtlichen Föhn- oder Hair-Metal-Band konzertiert – geht das Quartett so um, dass es sich umso mehr auf die beträchtliche Substanz der eigenen Musik konzentriert. Was dann eigentlich immer funktioniert. Die Begegnung mit einem „neutralen Publikum“, die sich der Bassist noch Ende April vermehrt wünschte, also vor Menschen zu spielen, die nicht mit den handelnden Personen vertraut sind, wird immer mehr zur Bandwirklichkeit für BIPOLAR FEMININ. Und schon wurde auch in Deutschland live gespielt, ihre beträchtlichen Qualitäten blieben auf struktureller Ebene vom nicht unbekannten Player Buback als Booking-Agentur nicht unbemerkt. Dabei schöpfen sie weiter aus einem Umfeld, in dem sie entsprechend aufgestellte Freund:innen bei kreativen Vorhaben wie den Videos gerne unterstützen. Die große Schwester von Max und Leni arbeitet bei Numavi, und doch ist die erste Veröffentlichung definitiv keinerlei „Schwesternwirtschaft“ geschuldet. Bei einem telefonischen Update-Begehren zu all things BIPOLAR FEMIN, sagt die Sängerin, dass einiges noch nicht „spruchreif“ sei. Spruchreif bleibt, dass sie eine lässige, wichtige Band sind.