BONSAI KITTEN

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Überraschungsmomente

Zum fünften Mal bitte ich Sängerin Tiger Lilly Marleen nun zum Interview. Doch so viel zu klären wie beim neuen Album gab es wohl noch nie. Denn die rothaarige Berlinerin hat ein mächtig verändertes Line-up hinter ihrem Mikroständer versammelt. Einzig Bassist Spoxx ist noch von der alten Crew dabei. Neben Gitarrist André „Wally“ Wahlhäuser (PSYCHOPUNCH, ex-V8WANKERS) gibt es jetzt Marc „Speedy“ Reign an den Drums und beide haben doch einen völlig anderen musikalischen Background als ihre Vorgänger. Das neue Album „Love And Let Die“ lässt einen auch sonst nur noch staunen, kann aber sicherlich eine größere Fanschar für sich gewinnen. Marleen gewährt uns ein paar Einblicke.

Gehen wir gleich in die Vollen. Der Albumtitel, was verstehe ich da falsch? Lieben und die Liebe und/oder Verflossene – im Geiste – sterben lassen?

Ja, das hast du schon genau richtig verstanden. Es ist wie bei dem Spruch aus dem Poesiealbum: Wenn du etwas liebst, dann lass es los, lass es, ihn, sie gehen ... Ja, lass es im Geiste sterben, lass es frei, damit es leben kann. Dann ist man selber frei und die Liebe auch.

Im Opener „Dead man walking“ wirken die Message wie auch der Gesang eher etwas verzweifelt. Sehe ich das richtig?
Es liegt darüber hinaus auch bereits im Songtitel selbst. Jemand „Todgeweihtes“ wandelt noch auf der Erde, aber ich sehe sein Ende bereits vor mir und das tut mir weh, weil ich ihm nicht helfen kann ... Das ist traurig und ich bin darüber sehr verzweifelt gewesen.

Da gibt es die Zeile „And I have turned the wrong way“, hat das einen konkreten autobiografischen Hintergrund?
In diesem Stück beschreibe ich, wie ich in einen Strudel gerate, weil ich in einer bestimmten Person mehr sehe als diese in sich selbst, und versuche, die Person davon zu überzeugen, das auch zu erkennen. Ich kann mich nicht mehr „abwenden, nicht mehr weglaufen“, habe also den „falschen Weg eingeschlagen“, um zu versuchen, für die Person da zu sein, die lieber alleine ist und alleine stirbt. Die Frage ist, ob ich sie „hinaufziehe“ oder sie mich mit sich in den Abgrund reißt.

„The devil inside you“ vereint MOTÖRHEAD-Gitarrensound, Bluesrock und WahWah. Ich nehme an, dein Freund Wally hat dir geholfen, das Spektrum zu erweitern, denn das war so nicht zu erwarten ...
Wally hat sich bei der Platte als Produzent ausgetobt. Deshalb haben wir hier und da recht „untypische“ Songabläufe. Er geht sehr offen und unvoreingenommen an eine Produktion heran. Manchmal fragt man sich zwischendurch: Was wird das?! Aber man muss ihn einfach machen lassen und ich vertraue ihm da. Er produziert nicht nach Schema F, sondern guckt, was ein Song braucht und was die Musiker dazu beisteuern können. Generell haben wir als Band dieses Mal „einfach gemacht“ und ich denke, dass das die absolut richtige Entscheidung war. Ich finde, die Scheibe hat dadurch einige Überraschungsmomente bekommen und wirkt generell sehr frisch und spontan.

Angefangen hat du ja als Punk- und Hardcore-Kiddie. Was würde die junge, rebellische Tiger Lilly von einst der „Bluesrockerin“ Marleen von heute wohl erzählen?
Interessante Frage! Hmm, wahrscheinlich so etwas wie: „War doch irgendwie klar!“

Neu ist auch das „Einzählen“ mit dem Ride-Becken von Drummer Speedy, der ja zehn Jahre bei der Thrash-Metal-Band DESTRUCTION war. Seine Spielweise macht dir vor allem live mächtig Feuer unterm Hintern, oder?
Ja! Aber da wir die ganze Platte auch live eingespielt und die Songs quasi im Studio erst richtig erarbeitet haben, hört man das Feuer auch auf dem absolut ganzen Album. Aber es stimmt, das Live-Spielen macht mit der Truppe unglaublich großen Spaß. Da wird viel Feuer frei und es macht sich eine unglaubliche Energie breit. Es ist so toll!

Der Titelsong „Love and let die“ geht satte acht Minuten lang. Wollt ihr weg vom reinen Underground und Rockgeschichte schreiben?
Die Jungs jammen gerne und haben sich bei den Aufnahmen einfach mal gehen lassen. Live machen sie das auch sehr oft und das Publikum feiert sie dafür. Also warum nicht auch mal wieder auf der Platte durchdrehen, wie sie es früher gemacht haben? Und das Schöne ist, dass absolut nichts editiert oder „zurechtgerückt“ worden ist. Was ihr da hört, wurde auch Note für Note so gespielt!

Mit einem Augenzwinkern gefragt: Ein Musikjournalist beschrieb ausgerechnet diesen Track als „Hippie-haft“. Hat Wally als V8WANKERS-Motorrocker schon seinen Anwalt in Stellung gebracht?
Ha! Na Wally wurde ja bei den V8WANKERS schon als Band-Hippie betitelt, daher ist das, was er jetzt bei uns ausleben kann, ja gar nicht so weit weg von seinem wahren Selbst, haha.

Welche Künstler habt ihr für euch alle vier zusammen musikalisch neu entdeckt? Sogar Eric Clapton hat seine Spuren hinterlassen ...
Neu entdeckt haben wir jetzt ehrlich gesagt niemanden, wir haben eher unsere musikalischen Einflüsse zusammengeworfen. Jeder den, der ihn besonders inspiriert. Die Jungs sind durch die Bank weg von AC/DC begeistert, Wally sehr von Jimi Hendrix, alten Bluesern wie Muddy Waters, aber auch Tom Petty. Marc Reign steht ja bekanntlich auf Metal und Spoxx zählt auch LED ZEPPELIN zu seinen Vorbildern. Ich liebe Fiona Apple, Courtney Love und Amy Winehouse. Ich denke, das hört man auch alles auf dieser Platte.

Spielt ihr live noch Stücke von den ersten beiden Scheiben?
Ja, auf jeden Fall. Wir spielen gar nicht alle Songs der neuen Platte live, sondern verpassen auch den alten Songs gerne in ein neues, feurig-wildes Bluesrock-Metal-Gewand, in dem der alte Killbilly noch ein ganz kleines bisschen durchblitzt. Es ist toll und kommt richtig gut an. Einige Leute sagten schon, es sei eine Experience.

Sowohl das Cover als auch die tollen Bilder im Booklet hat Christopher Mangler beigesteuert. Wie habt ihr ihn aufgetan? Denn Live-Fotos sind ja eine echte Kunst.
Danke dir! Ach, mit Christoph Mangler arbeiten wir immer wieder gerne zusammen. Wir haben ihn zum Konzert im Astra in Berlin eingeladen, als wir TOY DOLLS supportet haben. Hier hat er diese tollen Live-Bilder von uns gemacht. Außerdem hat er auch das Video zur ersten Single „Limit to you love“ gedreht und geschnitten, und anschließend haben wir mit ihm das Shooting fürs neue Cover gemacht. Das hat alles gut zusammengepasst.

Du hast Wally ja vor dem Wild at Heart in Berlin kennen gelernt, und der konnte auch noch Marc Reign empfehlen. Was wäre ansonsten mit der Band passiert? Hattest du einen Plan B in Sachen Musikeranwerbung?
Ich habe tatsächlich überlegt, ob ich mit BONSAI KITTEN weitermache. Denn ein Gitarrist, der das ganze Ding mitzieht, und gewillt ist, alles mitzumachen, ist schwer zu finden. Einer, der was kann, aber auch menschlich super reinpasst sowie auf der Bühne Präsenz zeigt, daran habe ich nicht mehr wirklich geglaubt. Aber es kam, wie es kommen musste, und hier sind wir jetzt und brennen alle für die Musik.

Selbst weltbekannte Berliner Clubs wie das SO36 oder das erwähnte Wild at Heart stehen durch Corona vor dem Kollaps, macht euch als Künstler das nicht mächtig Angst – sozusagen unter Umständen in einem normalen Acht-Stunden-Job zu verschwinden?
Diese Situation gibt einem schon zu denken, wie es wohl weitergeht. Aber es wird immer weitergehen und wir werden auch immer Musik machen! Ich unterstütze die Clubs und Bars in meiner näheren Umgebung so gut ich kann. Und wir spenden einige der neuen Alben für die Crowdfunding-Kampagne #LeaveNoOneBehind der Seebrücke. Angst habe ich aber nicht.

Zum Abschluss noch ein Blick auf die Corona-Krise mit ihren menschenverlassenen Städten und Straßen. Wie habt ihr die letzten Wochen erlebt? Was könnte das Sozialverhalten mit den Menschen anschließend machen, wird danach wirklich etwas nachhaltig besser in der Welt?
Jeder von uns macht gerade so sein Ding. Aber ich plane auch schon die nächsten Schritte. Wally und ich schreiben schon an einem neuen Album und wollen noch ein paar Videoclips für die aktuelle Platte zu drehen. Außerdem haben wir ein paar Tourdates für den Herbst und können schon bald eine komplette neue Tour fürs Frühjahr 2021 ankündigen. Ich glaube schon, dass diese Krise das Verhalten der Menschen verändern wird. Ich hoffe zu einem solidarischeren Verhalten und einem besseren Umgang miteinander, eher mit dem Blick auf eine gute Zukunft für alle.