CARAMBOLAGE

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Die erste richtige deutsche Frauen-Punkband

Kürzlich erschienen mit „Carambolage“, „Eilzustellung-Exprés“ und „Bon Voyage“ drei Alben erstmals auf CD (respektive LP), die in den frühen Achtziger Jahren bereits auf verschiedene Art für Furore gesorgt hatten.

Ende der Siebziger Jahre gründeten sich viele deutsche Punk- und/oder New-Wave-Bands, die Sängerinnen in ihren Reihen hatten. ÖSTRO 430 starteten 1979 gar als Damen-Quartett. Sie veröffentlichten 1981 ihre erste Platte, spielten ab 1983 jedoch mit einem Mann an der Gitarre. HANS-A-PLAST aus Hannover hatten im Line-up drei Frauen (Gesang, Bass, Schlagzeug) – aber eben auch zwei Männer. Folglich ist das 1979 von Angie Olbrich (Bass, Gesang), Britta Neander (Schlagzeug) und Elfie-Esther Steitz (Gitarre, Gesang, Keyboard) gegründete Trio CARAMBOLAGE scheinbar die erste richtige Frauen-Punkband Deutschlands. Dem selbstbetitelten Debüt „Carambolage“ aus dem Jahre 1980 folgte zwei Jahre später „Eilzustellung-Exprés“ – für die Aufnahmen stieß 1982 noch Janett Lemmen (Saxofon, Bass) dazu.

Damals ...
Alle drei „All-time-CARAMBOLAGE-Frauen“ lebten in einer WG mit der Band TON STEINE SCHERBEN im schleswig-holsteinischen Fresenhagen, nahe der dänischen Grenze. Olbrich war mit TSS-Basser Kai Sichtermann liiert, Steitz ist die Schwester vom Gitarristen R.P.S. Lanrue, und Neander – Schwester von Ali Neander von den RODGAU MONOTONES – war eine Zeitlang mit R.P.S. Lanrue zusammen und spielte Percussion bei den Scherben. Während die Musik mit erfinderischen Sounds und rumpeligen Drums eher den Punk-Idealen näher kam, ließen die Texte ein feministisches Bewusstsein erahnen, das später zu Klassifizierungen wie „Lipstickfeminismus“ führte. CARAMBOLAGE waren wer – das zeigte sich auch daran, dass der Track „Tu doch nicht so“ mit Werken von TSS, HANS-A-PLAST, FEHLFARBEN, MITTAGSPAUSE, DER PLAN, EXTRABREIT, DIE DORAUS, UNITED BALLS und Falco auf dem Rock-in-Deutschland-Sampler „Neue deutsche Unterhaltungsmusik“ landete. Im Inlay wird die Band wie folgt beschrieben: „Ihr ‚musikalisches Hexeneinmaleins‘ (Tagesanzeiger, Zürich) entstand im norddeutschen Fresenhagen ... Ihre Minimalpoesie unterstreicht die Band mit kantiger, ungeschliffener Rockmusik.“

CARAMBOLAGE unternahmen einige sehr erfolgreiche Tourneen quer durch die Bundesrepublik bis hin nach Italien – wo die Damen enthusiastisch gefeiert wurden. Die Musikzeitschrift Sounds rezensierte sie wie folgt: „Raffinierte Sprechblasenmusik machen drei semi-schräge Frauen. Sie handhaben Ska und Rock und Kirmeswalzersound und Heavy und piepsig. Das hört sich ungeheuer spannend an – wie frisch aus der Wundertüte.“

Die Aufnahmen zum dritten Album zeigten den Musikstil in einem neuen Gewand. Die spielerische Leichtigkeit der ersten beiden Platten war den Einflüssen von Ska und Chanson gewichen. Manne Praeker (SPLIFF, NINA HAGEN BAND) bot an, diese Platte zu produzieren und sie bei einem Majorlabel unterzubringen. Die Bravo huldigte ihnen mit einer Homestory. Die ästhetischen Vorstellungen drifteten auseinander. Im Frühjahr 1985 lehnte CBS die Veröffentlichung ab, die drei trennten sich. „Bon Voyage“ wurde nicht mehr veröffentlicht. Das Album erschien erstmals digital 2019 auf dem Label Fuego, und nun – nach fast 37 Jahren – via Tapete auch physisch auf CD und LP.

Heute ...
Britta Neander verstarb am 14.12.2004 nach einer Herzoperation in Berlin. Bis dahin war sie Schlagzeugerin der Band BRITTA gewesen, hatte bei den LASSIE SINGERS, MINZLAFF, RIO REISER und TON STEINE SCHERBEN gespielt. Ihre Tochter Ayana Neander hat als Ayla Crash und AnayanA ebenfalls Musik gemacht – allerdings in der Art, wie sie Haiyti später zum Durchbruch verholfen hat. AnayanA hatte das Angebot eines großen Musikverlags, zudem wollte ein Berliner Buchverlag ihre Lebensgeschichte veröffentlichen. Die Künstlerin ließ 2015 beides verfallen – trat jedoch noch unregelmäßig mit TON STEINE SCHERBEN-Musikern auf. 2014 gehörte sie der Tourband der reformierten Scherben an, die mit R.P.S. Lanrue, Kai Sichtermann, Klaus Götzner sowie mit Elfie-Esther-Steitz (Vocals) und ihrem Sohn Maxime Steitz-Praeker (Schlagzeug; mit Maurice hat das Paar Steitz-Praeker noch einen zweiten Sohn) durch Deutschland tourte. Manne Praeker starb am 17.09.2012 in Berlin. Elfie-Esther Steitz und Manne Praeker hatten sich jedoch bereits vorher getrennt, so dass Steitz heute selbst für ihr Einkommen sorgt – allerdings nicht als Musikerin. Angie Olbrich lebt mit ihrem Lebenspartner Ruud Englebert (Bassist von HERMANN BROOD & HIS WILD ROMANCE) und anderen in einer Art WG. Sie spielte jahrelang mit Kai Sichtermann (beide haben mit Lisa eine gemeinsame Tochter) als DUO ANGELS BLUE ausgewählte Neuninterpretationen bekannter Titel (oft auch Chansons), siehe das Album „Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt ...“ (inklusive Ruud Englebert). Olbrich war zudem ein Teil der TON STEINE SCHERBEN-Family und tritt ab und an mit Kai und Funky von TON STEINE SCHERBEN & GYMMICK akustisch auf.

Elfie-Esther Steitz-Praeker (Keyboard, Gitarre, Gesang) brachte im Frage-Antwort-Spiel etwas Licht in das Dunkel der Geschichte um die legendäre Frauen-Punkband.
Wie kam es zur Gründung von CARAMBOLAGE? War der Name stets mit TON STEINE SCHERBEN verbunden?

Britta und ich sind schon in der Jugendzeit befreundet gewesen, da wir aus dem gleichen Ort kamen wie auch Rio und Lanrue – aus Rodgau, ehemals Nieder-Roden. Britta ging dann nach Berlin zu TON STEINE SCHERBEN und ich blieb. Als sie mal wieder ihre Eltern besuchte, haben wir uns getroffen, und sie fragte mich, ob ich Lust hätte, mit ihr eine Band zu gründen. Sie meinte, wenn Lanrue schon so ein genialer Musiker ist, müsste seine kleine Schwester wohl auch was draufhaben. So begab ich mich 1979 nach Nordfriesland. Wir begannen, Musik zu machen. Angie wohnte in der Zeit in der Nähe von Fresenhagen. Sie kam dann später dazu. Wir gründeten CARAMBOLAGE und 1980 entstand die erste LP. Der Name CARAMBOLAGE kam durch das Billardspiel mit drei Kugeln, das Lanrue damals sehr gerne gespielt hat. Irgendwie passte der Name ziemlich gut zu uns.

Wie war der Kontakt zu regionalen Bands, mit denen man den Übungsraum teilte? Gab es dort auf dem Land so etwas wie eine Szene?
Mit regionalen Bands, wie zum Beispiel die STRICHER und TOLERANZGRENZE, hatten wir gerne Kontakt. Schon allein auch durch die Disco Trichter in Niebüll, in der wir unseren ersten und längsten Auftritt hatten. Ständig wurde etwas umgesteckt, Instrumente gewechselt, getrunken oder wir mussten uns vom Schweiß befreien. Rio nahm alles auf.

Zu Zeiten des Debüts gab es HANS-A-PLAST, ÖSTRO 430, später NICHTS, NUALA etc. Hatte die Band durch erfolgreiche Konzertreisen das Gefühl, in der seinerzeit neuen Musikszene positiv wahrgenommen zu werden? Auch als reine Frauenband? Die oben genannten hatten ja Männer dabei, ÖSTRO 430 zumindest kurzzeitig.
Wir kamen als Frauenband immer gut an, egal wo und wie. Vielleicht, weil wir mit unserer Musik und unseren Outfits nicht ganz einzuordnen waren.

Hast du mit deinen Texten versucht, die weibliche Seite – der Rockmusik – darzustellen? Was genau war dein Anspruch?
Meine Texte entstanden durch Erlebtes, oder nicht Erlebtes, was ich gern hätte erleben wollen. Mein Anspruch war, den Horizont zu erweitern und den Texten und der Fantasie freien Lauf zulassen.

Wie kam zu „Eilzustellung-Exprés“ Janett Lemmen dazu? Sie war aus Berlin, nicht – wie das Ursprungstrio – aus Fresenhagen ...
„Eilzustellung-Exprés“ musste, wie der Name schon sagt, relativ schnell produziert werden, da das Studio in Fresenhagen schon von den Scherben gebucht war. Janett Lemmen stammt aus Enge, einem Nachbardorf von Fresenhagen. Sie sprang für Angie ein, da diese schwanger war. Janett blieb und spielte auf der zweiten LP 1982 mit.

Zum dritten Album – das damals nicht mehr veröffentlicht wurde – hatte sich Manne Praeker angeboten. Warum funktionierte das Ergebnis nicht mehr?
Manne Praeker bot unsere dritte LP „Bon Voyage“ 1984 der CBS/Sony Music an, die aber ablehnte. Angeblich hätten sie genügend deutsche Interpreten. Vielleicht waren wir ihnen aber auch zu avantgardistisch oder zu abgedreht. Anderen Labels wurde sie damals nicht angeboten.

In alten Büchern von Zeitzeugen finden sich Zitate deiner Kolleginnen Britta Neander und Angie Olbrich, Manne hätte deine Texte abgeändert, Bassspuren selbst neu eingespielt, etc. pp. ...
Meine Texte sind nicht verändert worden – ich muss es ja wissen ... Teils haben wir auf der dritten LP selbst gespielt, teils wurden die Stücke von Gastmusikern eingespielt. Zum Beispiel von Rio Reiser, Lanrue, David Sanborn und auch Manne Praeker. Britta hat bis auf einen Song die Drums alle selbst gespielt. Wir waren beim Arrangieren und Produzieren stets dabei.

Wie stehst du heute zur Musik von CARAMBOLAGE?
Ich stehe heute nach wie vor zu unseren Texten und zur Musik. Hier und da an den Stücken etwas feilen könnte man natürlich immer.

Wie kam es dazu, dass die drei Scheiben nun allesamt auf LP und CD veröffentlicht wurden?
Die Anfrage kam von Tapete Records aus Hamburg, die durch Friedel Muders von Fuego, „unserem Mann mit dem wachsamen Auge“, realisiert wurde.

Wo hast du – außer bei TON STEINE SCHERBEN 2014 – nach CARAMBOLAGE noch Musik gemacht?
Ich habe anschließend bei einigen Projekten in Portugal und Germany mitgewirkt. Von 2013 bis 2015 war ich Tourmanagerin sowie Chorsängerin der Scherben.