CATALAN!

Foto© by Billy Woods

Der Wunsch nach Solidarität

Die Auszeit von der Punkband AXIS OF nutzte Ewen Friers für ein Soloprojekt. Aber anders als viele Punkrocker setzt Friers nicht auf Folk und Country, sondern packt seine Protestlieder in druckvolle Indierock-Songs.

CATALAN! kommen aus Nordirland. Die ersten Töne auf dem Debütalbum „Veritas“, erschienen auf Gunner Records, erinnern jedoch eher an die kalifornische Küste. Mit einem Cabrio den Highway 101 entlang bis zum schimmernden Pazifik, vielleicht ein Surfbrett, ein paar Wellen und ein einsamer Strand. Mehr braucht es manchmal nicht, um Frieden und Ruhe zu finden. Wenn da nicht diese verdammte Welt wäre, in der gerade so ziemlich alles schiefläuft, was schieflaufen kann. Getrieben wird dieser Zustand maßgeblich von Internetkonzernen. Facebook, Twitter und Amazon werden gleich im Eröffnungsstück „Roussillon serenade“ kritisch betrachtet und tauchen als Motive in ungefähr der Hälfte der Songs auf. „Diese Firmen haben sich in jeden Bereich unseres Lebens eingeschlichen und das sollte kritisiert werden. Und obwohl Facebook so was wie die neue Religion ist, findet das Medium in der Popmusik oder gerade im Punkrock kaum statt. Niemand erwähnt Amazon oder Google in bedeutenden Texten. Wenn das alles wirklich so wichtig ist, wie wir immer tun, müsste das in der Kunst vorkommen“, wundert sich Ewen. Er liegt damit goldrichtig, selbst wenn dieser Gedanke zuvor nie aufgetaucht ist.

Die Kritik richtet sich allerdings nicht nur an die Konzerne, sondern gleichermaßen an die User, also an uns alle. Ewen schließt sich da nicht aus, wie er versichert, wünscht sich aber eine größere Reflexion bei der Nutzung. Zweifellos bieten diese Dienste Vorteile und können das Leben erleichtern. Die Nachteile dürfen deswegen aber nicht verschwiegen werden. „Mittlerweile halte ich die schlechten Seiten sogar für deutlich stärker oder einflussreicher“, legt sich Ewen nach kurzem Nachdenken fest. Es ist wichtig, dass wir die neuen Medien benutzen und nicht andersrum, wir von den Unternehmen benutzt werden. Das sieht Ewen genauso und ist sich zugleich der Ironie bewusst, sein Album hauptsächlich durch und mit den sozialen Medien zu bewerben.

Und obwohl Google für die Entstehung dieses Textes ein unabdingbarerer Helfer war, um so manchen Hintergrund aus den wortgewaltigen Texten, die historischen Verweise und unzähligen Länder-, Städte- und Straßennamen zu recherchieren (die Ewen nicht alle bereist hat), sind es in der Tat, die „ungoogleable“ Momente und Geheimnisse, wie es in dem Song heißt, die es wert sind, gefunden zu werden, eben weil sie nicht von jedem anderen in Sekunden nachgeschlagen und vor allem nachempfunden werden können. „Das zeigt auch“, so Ewen, „dass CATALAN! eine humorvolle Seite haben und sarkastisch auf die Welt blicken können. Es gibt kaum etwas, das nicht im Internet gefunden werden kann. Und offensichtlich ist es die logische Konsequenz, Google zu nutzen, falls etwas nicht bekannt ist. Dieser Gegensatz kommt mit Absicht in dem Text zum Vorschein.“

Benannt ist die Band übrigens nach der katalanische Sprache, was im ersten Moment vielleicht seltsamer anmutet, als es nach Friers Erläuterung ist: „Für mich sind die Texte auf dem Album sehr wichtig, und darum wollte ich die Band nach einer Sprache benennen. Als ich mir den Namen ausgedacht hatte, war ich zufällig in Barcelona, genau an dem Tag, an dem in Katalonien die Unabhängigkeit ausgerufen werden sollte. Es war interessant, die Proteste zu beobachten.“

Beim ersten Hören lässt „Veritas“ einen noch ratlos zurück, nicht weil das Album schlecht wäre, sondern weil das limitierte Gehirn die Musik nicht eindeutig zuordnen kann. Das ist fantastisch und kommt viel zu selten vor. Musik sollte einen öfter fordern, nur dann winkt die Belohnung in Form einer neuen musikalischen Erfahrung. Es gibt praktisch nichts, was „Veritas“ auslässt. Das Album groovet und ist funky, hat HipHop-Elemente und Spoken-Word-Stücke. „Ich habe versucht, den Hörer etwas mehr zu fordern als sonst üblich und deswegen mit Lyrik und Aspekten des kreativen Schreibens gearbeitet. Immerhin steht Irland für Schriftsteller wie James Joyce oder Samuel Beckett.“

Das Ganze ist voller Melodien, aber transportiert gleichzeitig eine Menge Wut und ist druckvoll produziert. Sogar Kuhglocken haben es darauf geschafft. Trotzdem wirkt „Veritas“ nicht überladen, sondern klingt wie aus einem Guss. Dabei kommen einem die Melodien manchmal vertraut vor, ohne genau zugeordnet werden zu können, aber so wirkt es, als wäre „Vertias“ bereits ein alter Begleiter. Laut Mick Jones von The CLASH sollte „Sandinista!“ ein Album für Menschen sein, die nicht häufig dazu kommen, Platten zu kaufen. An dieser Idee orientiert sich „Veritas“. Sicherlich schmeichelte Ewen in diesem Zusammenhang die Einschätzung des Regisseurs für sein Video zu „Roussillon serenade“: „Er sagte, es klingt wie eine Mischung aus TALKING HEADS und JOE STRUMMER AND THE MESCALEROS.“

Grundsätzlich kann die Musik auf „Veritas“ als Indierock beschrieben werden. Das lässt Ewen aber nicht unkommentiert. „Mir gefällt der Gedanke, im Indie und Punk verwurzelt zu sein, auf dem Album gibt es aber auch einen großen Einfluss von World Music und irischer Folklore“, beschreibt er die Musik und windet sich bei der Frage, welches Stück auf dem Album das wichtigste sei. Denn auf fast jedem Album gibt es so was wie ein Kernstück, das die Inhalte und die Musik besonders auf den Punkt bringt. Schließlich ringt er sich zu einer Entscheidung durch und wählt zwei Songs aus. „Ich denke, ‚Roussillon serenade‘ fasst das Album gut zusammen. Das Stück hat die nötige Energie und verschiedene Einflüsse. Die Idee für den Text war, viele Reime als Referenzen aneinanderzureihen, das steht repräsentativ für das Album. Und vielleicht ‚Ungoogleable‘, wegen der Gründe, über die wir gesprochen haben, und weil es Spaß macht, es live zu spielen, was ich hoffe, bald wieder tun zu können.“

Vielleicht hätte Ewen auch den Song „Espionage“ nennen können, selbst wenn das Stück das vielleicht positivste auf dem Album ist. „Ich wollte wenigstens ein Lied haben, das ein wenig gute Laune verbreitet. Ich möchte die guten Seiten in den Menschen sehen. Wenn wir es schaffen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, dann hätten wir viel erreicht.“ Da wäre er dann, der Wunsch nach Solidarität über alle (musikalischen) Grenzen hinweg.