CHAIN WHIP

Foto© by Bob Hanham

Schweiss, Gewalt und Blut

CHAIN WHIP sind nicht aus dem Nichts aufgetaucht. Ihr Frontmann Josh Nickel hat schon in einer Reihe namhafter Bands aus Vancouver gespielt – bis heute schmerzhaft vermisst werden etwa THE JOLTS mit ihrem RAMONES-Fanatismus. Dennoch haben CHAIN WHIP die Leute kalt erwischt, da niemand darauf vorbereitet war, wie krass Joshs neues Projekt sein würde. Passend zu ihrer Vorliebe für frühen American Hardcore, haben CHAIN WHIP schon mit D.O.A., POINTED STICKS, BLACK HALOS und FLIPPER die Bühne geteilt, außerdem eine Single sowie die LP „14 Lashes“ beim britischen Label Drunken Sailor Records veröffentlicht. So konnten sie sich mittlerweile eine beträchtliche Anhängerschaft erspielen – verdientermaßen. Wir haben Josh Nickel während des Lockdowns abgefangen, um uns mit ihm auszutauschen.

Du arbeitest in der Downtown Eastside von Vancouver. Was genau machst du? Arbeitest du mit anderen Musikern? Und wie hat sich die Corona-Epidemie auf deine Arbeit ausgewirkt? Finden sich in CHAIN WHIP-Songs Erfahrungen wieder, die du bei der Arbeit gemacht hast?

Ich arbeite in einer Sozialsiedlung im Block 100 in East Hastings als Koordinator. Ich bin zuständig für Krisenintervention, bei einer Überdosis etwa. Ich mache diese Arbeit seit etwas mehr als zehn Jahren. Wenn man in einer Hardcore-Punk-Band spielt und Ungerechtigkeit und das nackte Leben direkt vor Augen hat, fällt es schwer zu verhindern, dass das Einfluss auf deine Kunst hat. Bei der Organisation, für die ich arbeite, sind eine Menge Musiker beschäftigt, aber in dem Bereich, in dem ich arbeite, gibt es nur sehr wenig Personal. Normalerweise sind da nur ich und mein Kollege. Aus irgendeinem Grund ist COVID-19 bis zum jetzigen Zeitpunkt in Downtown Eastside beinahe unsichtbar. Wir waren anfangs sehr besorgt deswegen, und sind es immer noch, aber die Infektionswelle, die wir erwartet hatten, ist einfach bisher nicht eingetreten. Ich bin mir nicht sicher, worauf das zurückzuführen ist. Ich glaube nicht, dass es heißt, dass wir schon aus dem Gröbsten raus sind. Es gibt auf „14 Lashes“ ein paar Lieder, in denen es unmittelbar um die Downtown Eastside, Strategien der Stadtplanung, den Drogenkrieg und die Polizei geht. „Concrete“ ist hier wahrscheinlich das eindeutigste.

Auf der Single gibt es den Song „Let’s bomb East Van“, aber er ist so schnell, dass ich den Text nicht wirklich verstehen kann. Ist es eure Version von „Kill the poor“ oder ist da eine völlig andere politische Dimension am Werk?
East Van ist ein Stadtteil von Vancouver, der rasend schnell gentrifiziert wurde, aufgekauft und wieder abgestoßen, kaputt gemacht und aufgehübscht. Ich finde nicht, dass wir eine politische Band sind. Ich bin ein Punk, kein Politiker. Für mich muss eine Band immer auch Sinn für Humor haben. Dieser Track ist einfach ein Seitenhieb auf die ganzen Hirnis mit ihren „East Van“-Tattoos. Als ob ihnen das auch nur einen Hauch von Identität verleihen würde. „East Van“ ist jetzt Teil der Yuppie-Yoga-Kultur. Euer „East Van“ existiert nicht mehr. Bombe drauf und dann vergessen.

Was hat es mit „Spectator“ auf sich?
Leute, die nichts beizutragen haben, außer unausgegorene Kritik und Kommentare. Leute, die zu große Schisser sind, um selbst etwas auf die Beine zu stellen. Auf die warten dann tolle Posten bei der Polizei oder in irgendeiner Personalabteilung.

Was den Bandnamen betrifft, musste ich feststellen, es gibt tatsächlich so was wie „chain whips“, also „Kettenpeitschen“. Das hat offensichtlich mehr mit Kampfsport zu tun hat als mit Erotik. Toller Name für eine Band, aber habt ihr ihn aus einem bestimmten Grund gewählt? Wo ist euch das Konzept Kettenpeitsche erstmals begegnet?
Unser Gitarrist Joel hat sich das ausgedacht, aber er bezog sich ursprünglich auf das gleichnamige Spezialwerkzeug für Fahrräder. Das mit der Ninja-Waffe ist bloß eine Pose, die wir gern einnehmen. Mindestens die Hälfte der Band würde sich lieber in einem Radrennen messen.

Woher kam der Anstoß, eine Hardcore-Band zu gründen?
In Vancouver gibt es nicht viele Bands wie uns, denen es um den Sound aus den goldenen Achtziger Jahren geht. Es wird zu Zeit eine Menge härteres Zeug gespielt, das für meinen persönlichen Geschmack etwas näher an Metal heranreicht, aber es gibt eine blühende Punk- und Hardcore-Szene, die von unglaublich guten Labels unterstützt wird, die eine Mörderarbeit leisten. Sowohl Patrick, unser Schlagzeuger, der als Musiker bloß einen Vornamen hat, als auch ich haben früher in Powerpop-Bands gespielt und hatten das Gefühl, dass wir etwas machen wollten, das ein wenig schneller und wilder ist. Wir begannen als eine Band, die einfach nur Achtziger-California-Hardcore-Cover spielen wollte, bis uns auffiel, dass noch ein paar unausgelebte Wünsche bei uns der Liste offen waren, in der Hinsicht, dass wir eigene Songs schreiben wollen in diesem Stil. Es hat einfach zu viel Spaß gemacht, uns quer durch unsere Plattensammlungen zu spielen. Wir wollten so ein Zeug auch selbst schreiben. Ich könnte die Tatsache beklagen, dass es nicht noch mehr solcher Hardcore-Bands gibt, aber ich denke auch, dass wir vielleicht ein bisschen zu nah am Sound von gestern dran sind und nichts tun, um ihn auch nur im Geringsten diesem Jahrhundert anzupassen. Wenn es wirkt, als sei es alt, ist das okay, das bin ich auch.

Euer Auftritt im Vorprogramm von FLIPPER war wirklich wild. Ich war überrascht, wie anders deine Ausstrahlung als Frontmann sein kann, etwa im Vergleich zu JOLTS – du bist wirklich Hardcore. Wo kommt das her? Du hast dich während der Show beinahe selbst misshandelt, hast dir mit dem Mikro immer wieder ins Gesicht geschlagen. Hat das nicht wehgetan? Hast du es hinterher bereut? Neigst du auf der Bühne generell zu exzessivem Körpereinsatz, einer Art Selbstzerstörung?
Mir fiel irgendwann auf, immer wenn ich für Gesangsaufnahmen im Studio war, habe ich angefangen, mir heftig an den Haaren zu ziehen oder ein Ohr zu verdrehen. Ich bin mir nicht sicher warum. Es hilft mir vielleicht, den Moment zu spüren oder so etwas. Mit Selbsthass hat es weniger zu tun. Ich versuche einfach, völlig loszulassen. Das richtige Gefühl in mir zu erzeugen, auf das ich aus bin. Jetzt nicht in sexueller Hinsicht oder so. Das Publikum bei Punk- und Hardcore-Shows ist oft ziemlich lahm, doch ich möchte etwas von ihnen bekommen, wovon ich zehren kann. Das kriegt man nicht immer von allein. Dieses Zelebrieren von Gewalt hilft mir also dabei, genau das rüberzubringen, was ich rüberbringen möchte. Ob das jetzt gut ist oder schlecht, ich mag Gewalt. Wenn ich das nicht aus freien Stücken vom Publikum bekomme, muss ich es eben in mir selbst erzeugen. Ich bin nicht darauf aus, Menschen zu verletzen. Das ist was für Arschlöcher. Doch wenn ich eine Killer-Punkband sehe oder selbst auf der Bühne stehe, will ich Schweiß riechen und Blut sehen. Ich möchte das Gefühl haben, dass es der Band etwas bedeutet, da zu sein. Hardcore ist rohe Energie. Ich will, dass die mich einhüllt, wenn ich bei einer Show bin. Es ist mir auch schmerzlich bewusst, dass ich ein 35-Jähriger bin, der Musik spielt, die von 17-Jährigen erfunden und auch zur Perfektion gebracht wurde. Manchmal muss man sich diese Tatsache um die eigene Fresse hauen.

Ist ein neues Album in Arbeit? Wie nutzt ihr die Auszeit von den Live-Shows?
Wir sind am Schreiben. Wir haben etwa acht Songs, die sich in verschiedenen Stadien der Fertigstellung befinden. Was eine neue Veröffentlichung betrifft, sind wir uns nicht sicher, was wir machen werden oder wie es aussehen könnte. Vielleicht eine 7“? Vielleicht eine weitere 12“? Vielleicht machen wir es DIY? Im Moment ist noch nichts vom Tisch. Wir proben nur und warten, dass alles wieder losgeht.