CIVIC

Foto© by Marcus Cobyln

Lausige Surfer

Wenn es um die Ursprünge von Punk in Australien geht, wird jede:r, der halbwegs im Thema ist, selbst nachts um drei aus dem Schlaf gerissen „THE SAINTS! RADIO BIRDMAN!“ stammeln können. Seitdem sind natürlich fast 50 Jahre vergangen, zig andere Bands kamen und gingen und speziell in den letzten Jahren haben Bands wie AMYL & THE SNIFFERS, THE CHATS, CLOWNS oder PRESS CLUB dem Oz-Punk eine Frischzellenkur verpasst. Irgendwie landet man dann aber doch wieder bei den „Patienten Null“, speziell wenn man das neue, zweite Album „Taken By Force“ der aus Melbourne kommenden CIVIC hört, das zudem von RADIO BIRDMANs Rob Younger produziert wurde. Roland von CIVIC stellte sich meinen diesbezüglichen Fragen.

Du bist, ihr seid ...?

Ich bin Roland Hlavka und ich spiele Bass bei CIVIC sowie DRUG SWEAT und COBWEBBS. Wir haben uns 2017 gegründet, weil es in Melbourne zu wenige Bands gab, die die Musik spielen, die wir hören und live sehen wollten. Wir kannten uns alle schon eine Weile von gemeinsamen Konzerten mit unseren anderen Bands und beschlossen schließlich, unsere Kräfte zu bündeln und CIVIC zu gründen. Wir haben schnell etwas mit Billy Gardner von Anti Fade Records aufgenommen und bald darauf „New Vietnam“ veröffentlicht. Nach ein paar Besetzungswechseln besteht das Line-up jetzt aus Jim McCullough, der singt und auch bei LEATHER LICKERS dabei ist, Lewis Hodgson spielt Gitarre und spielt noch bei CUNTZ und THE SNAKES, an der anderen Gitarre haben wir Jackson Harry, der außerdem bei Alastair Galbraith und COL spielt, sowie Matt Blach am Schlagzeug, auch aktiv bei THE MURLOCS und BEANS.

CIVIC gibt es also schon seit ein paar Jahren, aber erst mit eurem Debütalbum „Future Forecast“ im Jahr 2021 wurden ein paar mehr Leute auf euch aufmerksam. Wie haben sich die Dinge bis dahin entwickelt?
Die erste Idee oder das Konzept für die Band wurde schon 2016 entwickelt, aber wir haben die Band erst 2017 offiziell gegründet ... Bevor wir „Future Forecast“ veröffentlicht haben, haben wir ziemlich nonstop in Australien gespielt, mit einer Reise nach Europa im Jahr 2019. Wir haben eine Reihe von EPs, 7“-Singles und eine Live-Kassette bei Anti Fade/Total Punk Records veröffentlicht. Doch ich denke, auf breiterer Ebene wurden wir erst wahrgenommen, als unser Debüt herauskam. Aber ich würde sagen, dass wir uns bis dahin in Melbourne eine ziemlich große Fangemeinde erspielt hatten. Unsere Konzerte wurden ziemlich schnell größer und wir spielten fast jede Woche. Wie ich schon sagte, konstatierten wir damals einen Mangel an dieser Art von Musik und wollten diese Lücke füllen. Ich schätze, die Leute vor Ort sahen das genauso. Nach ein paar Jahren haben wir uns mit Flightless Records zusammengetan und unsere erste komplette LP veröffentlicht, dadurch sind wohl noch ein paar mehr Leute auf uns aufmerksam geworden.

Dann kam die Pandemie ... Stillstand. Wie und wann habt ihr das neue Album „Taken By Force“ aufgenommen?
Ja, wir waren mit Vollgas unterwegs, hatten weitere Überseetouren gebucht und viele andere Dinge in der Pipeline. Aber es ist, wie es ist. Es hat keinen Sinn, über verschüttete Milch zu weinen. „Taken By Force“ wurde Anfang 2022 aufgenommen. Es ist eine Zusammenstellung von Songs, an denen wir gearbeitet haben, während wir zusahen, wie sich das Virus ausbreitete. Einige Tracks sind schon älter, andere sind erst vor Ort bei der Aufnahmesession entstanden. Wir nahmen Kontakt zu Rob Younger von RADIO BIRDMAN auf, von denen wir alle Fans sind, weil wir gehört hatten, dass er uns mag. Nicht dass wir Hilfe gebraucht hätten, aber wir wollten sehen, wie sich ein Einfluss von außen auf die Musik auswirken würde, während wir alles zusammensetzten. Und es ist Rob Younger! Du wärst ein Narr, wenn du es ablehnen würdest, mit ihm zu arbeiten. Wir fuhren für sieben Tage aufs Land nach Victoria. Wir verwandelten das wunderschöne Natursteinhaus von Jacksons Vater in ein provisorisches Studio und begannen mit den Aufnahmen. Nach ein paar Nachbearbeitungen und etwas Feinschliff war alles fertig und einsatzbereit.

Was hat Rob Younger als Produzent an eurem Sound verändert? Welchen Trick hat er angewandt, um den typischen Birdman-Vibe zu erzeugen?
Nun, ein Großteil des Albums war ja bereits geschrieben, aber Rob ist großartig darin, während der Aufnahmen hier und da ein wenig aufzuräumen. Mit seinem Wissen und musikalischem Empfinden hat er uns vorgeschlagen, gewisse Teile zu kürzen oder Refrains zu betonen. Rob saß beim Aufnehmen dabei und machte wirklich gute Vorschläge, die wir dann durch den CIVIC-Filter laufen ließen, bevor wir das fertige Produkt ausspuckten. Außerdem glaube ich, dass es uns alle auf eine produktive Art nervös gemacht hat, wenn er uns beim Spielen zusah. Wir dachten uns: Scheiße, wir sollten uns besser richtig anstrengen vor diesem Typen, dessen Musik wir alle jahrelang gehört hatten. Und ich glaube, das führte zu einem besseren Endergebnis. Was irgendwelche „Tricks“ angeht, ich denke, dass er ein großartiges Ohr für Präzision hat und weiß, wann etwas in einem Song überflüssig ist.

Euer Landsleute GRINDHOUSE singen ständig über die Automarke Holden ... gibt es eine Verbindung zwischen eurem Namen und einem bestimmten Honda-Modell?
Nicht wirklich, nein. Wir alle lieben Autos. Ich bin eher ein 4WD-Typ. Lewis besaß zwar einen Honda Civic aus den Achtziger Jahren, als wir die Band gegründet haben, aber damit hat das nichts zu tun. Inzwischen ist er ihn losgeworden und hat sich einen Holden Commodore Ute zugelegt. Der Name stammt von der offiziellen Verwendung des Wortes im Sinne von „Civic Duty“. Das steht in Australien auf den Briefen, die man wegen Geschwindigkeitsübertretungen und dergleichen bekommt. Insofern hat es doch mit Autos zu tun. Es ist einfach ein starkes Wort und hat einen seriösen Klang, wenn es auf diese Weise verwendet wird. Ähnlich wie unsere Ausstrahlung als Menschen. Stark, ernst, offiziell ...

Melbourne ist seit Jahrzehnten eine Brutstätte für großartige Bands ...
Ja, die Musikszene hier ist ziemlich gut. Es gibt eine Fülle großartiger Bands, die ständig spielen, und pausenlos gründen sich neue. Unsere früheren Bands kommen ursprünglich aus der DIY-Punk/Hardcore-Szene, aber inzwischen haben wir uns unser eigenes kleines Rock’n’Roll-Revival geschaffen und es gibt bereits zahllose Bands, die uns gefolgt sind. Das soll nicht heißen, dass wir nicht mehr zu Punk-Konzerten gehen, aber CIVIC passten einfach nicht mehr in diese Szene, also haben wir beschlossen, unseren eigenen Weg zu gehen. Ein toller lokaler Plattenladen ist Lulu’s, die haben auch ein Label gegründet. Die haben echt einen Riecher für die guten, aufstrebenden lokalen Bands. Einige davon, mit denen wir befreundet sind, sind THE PRIZE, PHIL & THE TILES, SPLIT SYSTEM, CLOUD ICE 9 und THE TOADS. Es gibt noch viel, viel mehr, aber das sind die, die ich momentan am meisten höre. Wie ich schon sagte, in Melbourne entstehen ständig neue tolle Bands. Es hilft auch, dass immer wieder neue Clubs und Veranstaltungsorte eröffnet werden, die allen eine Bühne für Auftritte bieten.

Ich finde es interessant, dass Bands wie THE CHATS, THE CLOWNS oder AMYL & THE SNIFFERS eine ziemlich „moderne“ Version von australischem Punkrock spielen, während ihr euch eher an den ziemlich klassischen Aussie-Punk-Sound aus den späten Siebzigern und frühen Achtzigern haltet, etwa THE SAINTS und RADIO BIRDMAN.
Am Anfang war das eine bewusste Entscheidung, aber es ist keine Regel von uns. Wir alle sind mit dieser Ära der australischen Musik aufgewachsen und haben sie geliebt. Wir haben uns einfach darauf eingelassen und die Musik hat sich schließlich zu unserem eigenen Sound entwickelt. Wir haben alle einen ziemlich unterschiedlichen Musikgeschmack und ich glaube, das spiegelt sich auch in unseren Songs wider. Wir sitzen in der Schreibphase nicht herum und überlegen: Okay, dieser klassische australische Song geht so ... Wie können wir das neu erfinden? Wir arbeiten eher mit einem Konzept und vereinen all unsere verschiedenen Einflüsse zu dem Stück, das wir hören wollen.

Was sind eure Einflüsse, auf die man nicht sofort kommt?
Wie schon gesagt, wir haben alle einen ziemlich unterschiedlichen Musikgeschmack. Das führt permanent zu Kabbeleien, wenn es darum geht, was wir unterwegs im Van hören sollen, haha. Ich habe mich in den letzten Jahren immer mehr dem Rap zugewandt. Nicht als musikalischer Einfluss für CIVIC, sondern eher als Vorlage für einen Vibe. HipHop ist meiner Meinung nach ein großartiges Genre, da die Künstler sich ständig weiterentwickeln und eine progressive Haltung in ihrer Musik vertreten, indem sie über das sprechen, was aktuell um sie herum passiert. Sie veröffentlichen unzählige Alben mit teils mehr als zwanzig Tracks. Diese Arbeitsmoral ist für mich sehr beeindruckend. Das Genre ist zwar sehr breit gefächert, aber die Künstler:innen lassen sich trotzdem unter einem Label zusammenfassen. Das gefällt mir. Zu unseren Einflüssen die weniger oft genannt werden, zählen beispielsweise WIPERS, THE GUN CLUB, POISON IDEA, CRISIS, GG Allin, Rikk Agnew, UK SUBS, CRO-MAGS. Auch das hat vielleicht nicht so viel mit unserem Sound als Band zu tun, sondern eher mit dem, was wir beim Schreiben/Spielen im Kopf haben.

Neulich hörte ich eine Geschichte über den Gitarristen einer australischen Punkrock-Band, der nach seinem „typischen“ australischen Gitarrenstil gefragt wurde, der auf AC/DC zurückgeht, und wie er diesen Sound erzeugt. Er antwortete, dass er sich nie bewusst war, dass er eine „typisch“ australische Art, Gitarre zu spielen, hat. Er meinte, er könne nur so spielen.
Es gibt auf jeden Fall einen typisch australischen Stil, aber das ist eine unbewusste Sache. Vielleicht liegt es am Wetter. Vielleicht liegt es an der Natur. Vielleicht sind wir auch einfach damit aufgewachsen. Aber bei vielen Bands gibt es einen unverkennbaren „australischen Sound“. Wie ich schon sagte, sind wir von einer Menge Musik beeinflusst, die überhaupt nicht australisch ist. Dennoch hat unsere Musik diesen bestimmten Sound, der für dieses Land typisch ist.

Auf dem Albumcover ist ein Surfer zu sehen. Surft ihr selbst?
Das neue Album hatte das Motto: „1984 meets Endless Summer.“ Wir haben es hauptsächlich während des langen Lockdowns in Melbourne geschrieben, und wir wussten nicht, was noch auf uns zukommen würde. Und für einen kurzen Moment schien es, als würden wir in so eine seltsame dystopische Zukunft steuern, wie man sie aus Büchern und Filmen kennt. Wir wollten dieses Gefühl aufgreifen und es mit dieser Sorglosigkeit verbinden, die man mit dem Surfen assoziiert. Wir reiten auf dieser ekelhaften Welle von endlosem Bullshit in eine potenziell verdammt düstere Zukunft. Aber um ehrlich zu sein, sind wir ziemlich lausige Surfer, auch wenn uns das Surfen schon ewig begleitet. Ich bin in Queensland aufgewachsen, das nur aus endlos schönen Strände zu bestehen scheint. Aber ich denke, die Ideale der Surfkultur waren hier der eigentliche Einfluss.

Auf eurem ersten Album gibt es einen Song namens „Hollywood Nights in Hamburg“. Was hat es damit auf sich?
Auf unserer ersten Europatour 2019 spielten wir ein Konzert in Hamburg. Nach der Show gingen wir in eine kleine Bar in der Nähe, die, wie wir später feststellten, mitten im Rotlichtviertel lag. Wir waren da auf ein paar Drinks mit einigen Freunden aus Australien, die zu der Zeit in Europa waren. Lewis ging irgendwann nach draußen, um seine Freundin anzurufen, das war etwa um zwei Uhr morgens, aber aufgrund der Zeitverschiebung war es in Australien mitten am Vormittag. Und während er telefonierte, kam so ein Arschloch auf Lewis zu und fragte ihn, wie spät es ist ... Als er auf das Display schaute, sprühte ihm der Kerl Pfefferspray in die Augen, schnappte sich das Telefon und rannte davon, wobei Lewis’ Freundin die ganze Sache mit anhören musste. Nachdem er zuerst halb blind auf der Straße herumgeirrt war, kam Lewis zurück in die Bar. Sein Gesicht war ganz geschwollen und rot, und als wir merkten, was mit ihm passiert war, liefen ich und ein paar Jungs nach draußen, um den Bastard zu finden, der das getan hatte. Der war aber schon lange weg. Wir sahen einen Obdachlosen auf einer Treppe neben der Bar und unser Kumpel, der Deutsch sprach, fragte ihn, ob er etwas beobachtet hätte. Der hatte alles mitangesehen und sagte, dass der Typ längst weg sei und es vermutlich keine gute Idee sei, ihn zu verfolgen, da er und seine Arschloch-Kumpels wahrscheinlich in der Überzahl wären. Wir kehrten in die Bar zurück, wo die Jungs mit Lewis auf der Toilette waren und ihm gläserweise Milch ins Gesicht schütteten. Die hatte der irritierte Barkeeper besorgt. Einige Gäste in der Bar dachten aber, Lewis sei ein betrunkener Idiot, der eine Szene macht, und wollten einen Streit anfangen, während Lewis immer noch mit Milch behandelt wurde. Die ganze Situation war völlig chaotisch. Im Nachhinein betrachtet ist es aber ein tolles Thema für einen Song. Ich glaube, die Bar hieß Hollywood Nights oder so. Das Lustige ist, dass Lewis’ Handy nur billiger Mist war, das wie ein schickes iPhone aussah, also hat der Typ es wahrscheinlich einfach irgendwo ins Wasser geworfen, als er es gemerkt hat, haha.

Zum Schluss bitte ein paar Worte zu diesen Songs: „Dawn“ und „Dusk“, vom Anfang und Ende des Albums.
In „Dawn“ hörst du eine Sirene, die wir bei den Aufnahmen auf dem Land gehört haben. Es war etwa sieben Uhr morgens und Jim rannte mit seinem Handy nach draußen und nahm den Sirenentest auf. Später haben Lewis und Matt einen Marsch-Drumbeat dazu aufgenommen, um das Einziehen in eine Schlacht zu simulieren. Wir wollten, dass das Album mit einer sanften Atmosphäre ausklingt, um ein Gegengewicht zu der heftigen Musik zu schaffen. Also nahmen wir für „Dusk“ Field-Recordings von einem Strand und überlagerten sie mit ein paar Ambient-Drones.

„Neighbourhood sadist“.
Ein Psychopath wandert nachts durch die Straßen.

„Born in the heat“.
Es geht darum, sich in einer beschissenen Situation gefangen zu fühlen und zu versuchen, da rauszukommen. Aber in der Hitze geboren zu sein, hat dich stark gemacht.

Was sind eure Pläne für 2023?
„Taken By Force“ erscheint am 10. Februar. Im März geht es nach Austin, Texas, zum SXSW, im April kommen wir für eine Tour nach Australien zurück und im Mai geht es nach Großbritannien und Europa. Unser Album ist natürlich hervorragend, aber ich denke, dass man CIVIC am besten versteht, wenn man uns live spielen sieht. Also haltet die Augen offen. Außerdem beginnen wir gerade mit den Arbeit an unserer nächsten LP, die hoffentlich ebenfalls im Laufe des Jahres fertig sein wird.