CRUSADES

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Bad Religion

Mit ihrem Debüt „The Sun Is Down And The Night Is Riding In“ (2011) und ihren Singles hatten die aus Ontario, Kanada stammenden CRUSADES schon etwas Aufmerksamkeit auf sich lenken können, doch mit dem zweiten Album „Perhaps You Deliver This Judgement With Greater Fear Than I Receive It“, dessen Titel man schon bewusst auswendig lernen muss, um ihn fehlerfrei aussprechen zu können, haben sie ihr Meisterstück abgeliefert. Sänger, Texter und Gitarrist Dave Williams brennt hier mit seiner Band, bei der man auf Namen stößt, die man unter anderem schon von SEDATIVES, BURIED INSIDE, THE STEVE ADAMYK BAND, LAST COMMUNION und ZEBRASSIERS kennt, ein Brillant-Feuerwerk an hypermelodiösen, extrem mitreißenden Songs ab, die durch ihren melancholischen Unterton und Williams nie sehr im Vordergrund stehende Stimme perfekt abgerundet werden. Das Album ist Giordano Bruno (1548-1600) gewidmet, einem aufklärerischen Priester und Astronom, der die Unendlichkeit des Weltalls erkannte und der dafür hingerichtet wurde. Sowieso ist der Name CRUSADES – Kreuzzüge – kein Zufall: Dave Williams hat eine klar antiklerikale, antichristliche Botschaft, was insofern wieder passt, als man das Album dem Artwork nach eher unter Black Metal als unter Pop-Punk einordnen würde.

Dave, du scheinst eine Person zu sein, die 100% ihrer Zeit mit „szene-bezogenen“ Aktivitäten verbringt. Du schreibst für das Razorcake-Fanzine, spielst beziehungsweise spieltest bei SEDATIVES, LAST COMMUNION, YEAR ZERO, FUCKING MACHINES und CRUSADES, und ich denke, du wirst mir da noch einiges mehr aufzählen können, oder?


Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich 100% meiner Zeit musikalischen Bemühungen widme, aber einen Großteil schon. Um deine Liste zu ergänzen: ich habe bis vor zwei Jahren auch noch Schlagzeug bei THE STEVE ADAMYK BAND gespielt und ich betreibe mein eigenes Audio-Mastering-Studio, was mir die Möglichkeit gibt, an unzähligen großartigen Platten mitzuarbeiten, unter anderem von THE RADIOACTIVITY, LOW CULTURE und MEAN JEANS, aber auch für die TRANZMITORS, URTC und noch einige mehr.

Apropos 100%: Hast du überhaupt noch Zeit für etwas anderes in deinem Leben, wie einen „richtigen“ Job, Familie ...?

Und genau damit verbringe ich meine restliche Zeit: Ich habe eine wunderbare Frau und eine zweijährige Tochter, denen ich so viel Zeit meines Lebens widme wie möglich. Über den Tag bin ich ein Vollzeitvater und versuche das mit meinen vielen musikbezogenen Projekten unter einen Hut zu bekommen. Ich mag es, beschäftigt zu sein. Ich muss das irgendwie haben.

Du kommst aus Ottawa und man hat das Gefühl, dass die dortige Punk-Szene sehr aktiv und lebendig ist. Stimmt das?

Ganz richtig. Ottawa hat in den letzten Jahren schon viele großartige Bands hervorgebracht und die aktuellen sind da keine Ausnahme. Ian von SEDATIVES/WHITE WIRES hat ein großartige neue Band namens VOICEMAIL mit einigen Mitgliedern von MOTHER’S CHILDREN, Emmanuel von CRUSADES/SEDATIVES spielt in einer sehr coolen Hardcore-Band, die sich PREGNANCY SCARES nennt, und da gibt es noch eine ganze Menge mehr, die man mal anchecken sollte: BOYHOOD, AVERAGE TIMES, NEW SWEARS ... Glücklicherweise organisiert Emmanuel auch das jährliche Ottawa Explosion-Festival, das die besten lokalen Bands und dazu noch einige wirklich gute Gruppen von außerhalb präsentiert. Jeder, der sich dafür interessiert, sollte für Juni schon mal seinen Flug buchen!

Musikalisch sind CRUSADES sehr besonders, ihr erinnert mich an die einst so genialen ALKALINE TRIO oder die immer noch brillanten NOISE BY NUMBERS. Gibt es Bands, die du noch nennen würdest?

Haha, das ist sehr nett von dir. ALKALINE TRIO sind auf jeden Fall eine Band, die wir vier alle mögen. Während meiner kreativen Phasen, wenn ich Texte schreibe, tendiere ich eher dazu, ältere Bands wie GET HIGH, THE SPECTACLE, KRAKATOA, CAVE IN, REQUIEM, PROPAGHANDI oder späte BANE zu hören, und versuche dann die komplexen Strukturen durch das bündige Songwriting von Bands wie AVAIL, THE MEASURE (SA), RADON, ANNALISE oder AFI zu filtern. BETWEEN EARTH & SKY als etwas neuere Band haben ebenfalls einen großen Einfluss.

Du hast mal Musikwissenschaft studiert ... Hilft dir das bei dem, was du jetzt machst, und wenn ja, in welcher Hinsicht?

Klar, ich habe etwa fünf Jahre des Studiums damit verbracht, Elemente von Oper, mittelalterlicher Musik, Klassik und verschiedene Arten populärer Musik zu analysieren, da haben die theoretischen und historischen Kenntnisse, die ich dabei gewonnen habe, natürlich Einfluss auf unser Songwriting und ich hoffe, bei jeder neuen Platte, mehr davon einfließen lassen zu können.

Da du ja nicht nur Musik machst, sondern auch darüber schreibst, würde ich dich gern fragen, wie „gerecht“ Reviews sind oder sein können. Speziell wenn man einer Band sagen muss, dass sie scheiße ist, attackieren sie den Journalisten, nennen ihn einen Idioten, der nicht einmal weiß, wie es ist, in einer Band zu spielen. Nun ... in deinem Fall haut das nicht hin, oder?

Haha, eine gute Frage. Als jemand, der seit über einem Jahrzehnt über Musik-Reviews schreibt, kann ich definitiv sagen, dass die Idee eines objektiven Rezensenten Unsinn ist. In einer so kleinen Community wie der des D.I.Y.-Punkrocks sind Konflikte unvermeidbar, wenn man die Musik von Freunden oder Bekannten bespricht. Da kann man dann schnell in den Verdacht von Vetternwirtschaft, Gefallen unter Freunden oder Promotion in eigener Sache geraten, auch wenn es sich einfach um intimes, persönliches Wissen über die Musik selbst handelt. Irgendwer wird immer in irgendeiner Weise irgendwas als ungerecht betrachten. Ich empfehle einfach, nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.

Ein Eintrag in deinem Blog schließt mit den Worten: „Smash christianity“. Ich stimme dem zu, ich komme aus einer katholischen Familie, aber woher rührt deine Abneigung gegenüber dem Christentum?

Meine extreme Abneigung gegen Religion, speziell das Christentum, ist unzweifelhaft ein Ergebnis meiner Erziehung in einer christlichen Gemeinde. Die katholische Schule, Sonntagsmesse, Taufe, Kommunion, Konfirmation, Schuld, Terror, Scham – das war ein großer Teil meiner Jugend. Meine Kindheit war geprägt von tiefer Furcht vor Verdammnis, Besessenheit und göttlichem Urteil. Als Teenager konnte ich viele Ängste abschütteln – Punkrock war dabei sicherlich hilfreich –, aber viele von denen, mit denen ich aufgewachsen bin, haben es nie geschafft, sich aus diesem Griff zu befreien. Auf unserem Album „The Sun Is Down And The Night Is Riding In“ ging es um psychische Erkrankungen und den Tod guter Freunde, deren Eltern, Freunde, Pastoren und Lehrer dafür gesorgt haben, dass sie von der Seuche Christentum nie geheilt wurden.

Deine Texte sind intensiv, aber nicht eindeutig, ihr Inhalt nicht so leicht entschlüsselbar – warum?

Ich glaube, ich habe mich selbst immer als „kreativen“ Schreiber betrachtet und gedacht, die musikalische Entwicklung auf dem neuen Album sei eine Gelegenheit für mich, poetischer zu werden. Ich mochte schon immer einen etwas abstrakteren Ansatz des Schreibens – Greg Bennick von BETWEEN EARTH & SKY und TRIAL, und Brian D, KATHARSIS, REQUIEM, FROM THE DEPTHS, sind perfekte Beispiele für Texter, die sehr poetisch und hintergründig wirklich ernste und relevante Themen behandeln.

Euer Artwork sieht eher nach Doom, Goth oder Metal aus, als nach einem typischen Punk-Album. Ist das Provokation, ein Spiel mit den Erwartungen der Leute oder einfach nur der Versuch, zu vielen Plattenverkäufen vorzubeugen?

Es war mir schon immer wichtig, dass die Ästhetik den musikalischen und textlichen Inhalt eines Albums widerspiegelt. Ich denke einfach, weil wir über dunkle, düstere Themen schreiben, ist zwangsläufig auch das Artwork von Untergang und Finsternis geprägt. Vielleicht ist es aber auch ein bisschen das Spiel mit den Erwartungen, aber das war schon immer unser Ziel: etwas, das musikalisch relativ zugänglich ist, aber trotzdem gewichtig in Inhalt und Präsentation.

Euer aktueller Albumtitel „Perhaps You Deliver This Judgement With Greater Fear Than I Receive It“ klingt nach einem Zitat.

Der Titel der LP ist eine grobe Übersetzung der Antwort Giordano Brunos auf sein Todesurteil durch die römische Inquisition: „Mit größerer Furcht sprecht ihr mir das Urteil, als ich es vernehme.“ Für mich verkörpert diese Aussage nicht nur Giordano Brunos Entscheidung, lieber zu sterben als seine Überzeugungen zu verleugnen – ebenso wie seinen Mangel an Furcht im Angesicht des Todes –, sondern unterstreicht auch die christliche Angst vor der Wissenschaft, dem freien Denken und den Rissen in ihrer Fassade. Es bringt sowohl Brunos mutiges Leben, als auch die Geschichte der Feigheit der Kirche auf den Punkt.

Was fasziniert dich an Giordano Bruno?

Auf seine Geschichte bin ich durch Roman Polanskis Film „The Ninth Gate“ aufmerksam geworden. Der Film dreht sich um das fiktive Buch Aristide Torchias’ „De Umbrarum Regni Novem Portis“, also „Die neun Tore zum Königreich der Schatten“. Die Figur Aristide Torchia, ein italienischer Mystiker und Philosoph, basiert dabei auf Giordano Bruno, und so fing ich an zu recherchieren. Bruno war ein Mensch, so unerschütterlich in seiner Suche nach Wahrheit, dass er lieber den Tod wählte, als sich der Inquisition zu beugen. Angeklagt „Überzeugungen zu vertreten, die im Gegensatz zu denen des katholischen Glaubens stehen“, verbrachte Bruno acht Jahre in einem dunklen Kerker, seine Zunge festgebunden und sein Kiefer mit einer eisernen Mundsperre verschlossen, bevor er öffentlich verbrannt wurde, ohne dabei aber seine Leidenschaft für die Wissenschaft zu verlieren und seinen „Mangel an Glauben“ zu widerrufen.

Wann kann man euch das nächste Mal in Deutschland erleben?

Es sieht so aus, als ob wir erst 2015 wieder nach Europa kommen. Wir planen gerade eine US-Tour für diesen Sommer und durch unsere sonstigen Verpflichtungen sind wir auf eine Tour pro Jahr beschränkt. Aber wir vermissen unsere deutschen Freunde, die enorme Lebenslust und die unglaubliche Gastfreundschaft ... und das Bier. Deshalb werden wir auf jeden Fall bald wiederkommen. Versprochen.