DAN ANDRIANO AND THE BYGONES

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Raus aus der Dunkelheit

Dass Dan Andriano ein fantastischer Songwriter ist, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. So ist der Mann mit der knödeligen Stimme nicht nur als Co-Sänger der grandiosen ALKALINE TRIO bekannt, sondern wandelt auch bereits seit 2002 auf Solopfaden. Nun veröffentlicht er mit THE BYGONES sein neuestes Album „Dear Darkness“, mit dem er nicht nur erneut sein Gespür für feine Melodien und Texte beweist, sondern auch musikalisch zum ganz großen Wurf ansetzt. Wir sprachen mit Dan über die Entstehung des Albums, die neue Band sowie seine musikalischen Vorlieben.

Dan, lass uns über dein neues Soloalbum „Dear Darkness“ sprechen, das im Februar erschien. Kannst du uns einen Einblick in den Entstehungsprozess geben, insbesondere auch in die Umstände, unter welchen du die Songs geschrieben hast?

Also eigentlich gab es anfangs nur eine Handvoll fertiger Songs, von denen ich bereits komplette Demoversionen aufgenommen hatte. Davon abgesehen hatte ich jedoch schon eine ganze Menge Ideen in meinem Kopf sowie kurze Memos auf meinem Smartphone. Die Lieder entstanden natürlich zum Großteil während der Pandemie, vor allem während des Lockdowns, aber sie handeln textlich nicht zwangsläufig davon. Na ja, trotz allem zwangen mich die Umstände irgendwie zum Schreiben, denn ich hatte das dringende Bedürfnis, wieder kreativ zu sein. Doch als ich gerade den richtigen Flow gefunden hatte, war mir immer weniger klar, was ich mit den Songs überhaupt anfangen sollte. Denn irgendwie klang das Material für mich nicht nach ALKALINE TRIO, für die ich ja auch weiterhin Lieder schreibe. Also sprach ich mit Mike Park, einem langjährigen Freund und Labelboss von Asian Man Records, der mich gefühlt schon seit Ewigkeiten in- und auswendig kennt. Er war es dann auch, der mich zu sich in die Bay Area einlud, wo er gute Kontakte zu einem günstigen und gut ausgestatteten Studio besitzt. Die anfängliche Idee bestand einfach erst einmal darin zu schauen, was passieren würde – ohne genauen Plan, aber in einem Umfeld, das mir gezielt dabei helfen würde, meine Ideen weiter voranzubringen.

Und wie kamst du zu deinen Mitmusikern?
Mike stellte mich dort direkt Randy und Dylan Moore vor, die mit ihrer Band GET MARRIED ebenfalls auf Asian Man sind und auch selbst beim Label arbeiten. Er wusste einfach, dass wir wirklich perfekt harmonieren würden. Und so kam es auch, dass die beiden für „Dear Darkness“ Gitarre, Schlagzeug und den Bass einspielten. Es waren also perfekte Bedingungen vor Ort und ich konnte direkt drauflos schreiben. Mein Ziel war zunächst, eine EP mit fünf Songs fertigzustellen und dann vielleicht noch ein paar zusätzliche Coverversionen aufzunehmen. Aber als ich mit Randy und Dylan loslegte und wir direkt die besondere Chemie zwischen uns spürten, war klar, dass wir unbedingt gemeinsam weiter an eigenem Material arbeiten mussten. Es war wirklich unglaublich, wir jammten einfach drauflos. Ich präsentierte den beiden meine Ideen – teils noch ziemlich bruchstückhaft – und wollte unbedingt ihr Feedback hören. Und sie meinten, das hört sich ja unfassbar gut an. Lasst uns das doch gemeinsam hier im Studio fertig schreiben. Und ich dachte: Ja, genau das ist es! Genau so organisch muss dieses Album entstehen. Weißt du, in manchen Fällen brauchte es nicht einmal wirklich viel: Ich musste einfach nur wissen, dass Randy und Dylan da waren und sich komplett auf die Songs einließen. Oft genügte es auch, den beiden nur zu erzählen, was ich beim Schreiben meiner ersten Ideen im Kopf hatte oder dabei fühlte. Dann gingen wir in den Live-Raum und fingen einfach an zu spielen. Ich spürte plötzlich, wie ich die einzelnen Puzzleteile zusammensetzen musste. Macht das irgendwie Sinn? Aber im Ernst, das gemeinsame Spielen hat meinen Geist förmlich befreit und mir gezeigt, warum die Songs zuvor nur als Fragmente in meinem Kopf existierten. Zusammen mit den Jungs wusste ich immer sofort, wie ein Songteil weitergehen musste. Und von da an lief sowieso alles nur noch nach dem Domino-Prinzip – es wurde zum absoluten Selbstläufer. Wir kamen wahnsinnig gut voran und hatten in kürzester Zeit ein paar Songs fertig. Es war wirklich fantastisch und alle wollten einfach weitermachen, bis wir endlich das hatten, was wir für eine komplette Platte hielten.

Einige deiner bisherigen Solostücke waren instrumental eher reduziert und oft rein akustisch, so wie es auch viele deiner Kollegen aus dem Punk-Umfeld machen. Ich denke da vor allem an die Revival Tour, auf der du unter anderem gemeinsam mit Joey Cape, Laura Jane Grace oder Dave Hause aufgetreten bist. Hattest du für „Dear Darkness“ anfangs vor, die Songs wieder im typischen Singer/Songwriter-Stil aufzunehmen, oder war dir gleich klar, dass du das diesmal gemeinsam mit einer Band umsetzen würdest?
Für mich war eigentlich schon immer klar, dass ich die neuen Lieder gemeinsam mit anderen Musikern einspielen würde, aber ich wusste einfach überhaupt nicht, wie ich das Ganze angehen sollte. Ich war auch unschlüssig, ob ich die Songs als EMERGENCY ROOM veröffentlichen sollte. Und genau an dieser Stelle schloss sich dann direkt der Kreis: Dank der Magie im Studio passierte das alles ganz organisch. Als dann Mike Park die ersten Resultate hörte, war er sofort begeistert und schlug vor, damit bei verschiedenen Labels anzuklopfen. Also spielten wir es Brett Gurewitz von Epitaph Records vor. Der war ebenfalls direkt Feuer und Flamme, was mich natürlich wiederum umso mehr beflügelte, da ich seine Meinung außerordentlich schätze. Ich war bis dato noch sehr unsicher hinsichtlich des Materials und befürchtete, dass es vielleicht nur mir, Dylan und Randy gefallen könnte, weil wir im Studio so super harmonierten, es aber davon abgesehen nicht wirklich jemanden interessieren würde. Doch Brett sagte sofort, dass er es unbedingt veröffentlichen will. Das zu hören tat verdammt gut, denn wie du wahrscheinlich weißt, bin ich mit ALKALINE TRIO ja bereits in seinem Labelroster. Und in der Vergangenheit waren wir bezüglich meiner Solosachen schon einmal im Gespräch, aber damals schlug er das Angebot aus. Daher war es umso krasser, dass er diesmal keine Sekunde zögerte. Ab diesem Moment wusste ich eindeutig, dass wir nun eine neue und vor allem ganz eigene Band werden würden. Und so beschloss ich, den BYGONES ihren Namen zu geben.

Würdest du analog zu seinem Titels sagen, dass „Dear Darkness“ auch ein eher „dunkles“ Album ist, oder wo müsste man es andernfalls auf der Dan Andriano-Skala einordnen?
Ich denke, es ist wirklich ein sehr „helles“ Album geworden und es ist definitiv optimistisch. Es geht darum, ganz aktiv das Licht zu suchen. Es geht um positive Energie, um Spaß und Freude. Weißt du, ich habe einen Großteil meines Lebens damit verbracht, mich bewusst der Dunkelheit zuzuwenden und das war auch nicht besonders schwer. Doch nach einer Weile merkt man dann, dass man plötzlich doch irgendwie in der Lage ist, seine Dämonen loszuwerden. Es ist wirklich so einfach, immer nur die negativen Dinge zu sehen. Also versuche ich eben irgendwie, die Dunkelheit gerade nicht zu finden. Ich habe damit bereits viel zu lange Zeit verbracht und es fällt mir ohnehin sehr schwer, von dort wieder wegzukommen, wenn es mir einmal schlecht geht. Wenn ich jetzt also die Chance habe, das Gute zu finden, weiß ich, dass ich definitiv auch dorthin gehen muss. Genau davon handelt der Titeltrack des neuen Albums. Er beginnt so wie der Anfang eines Briefes, den du einer vertrauten Person schreibst: Liebe Dunkelheit, Komma, und so weiter. Insgesamt ist das neue Album also deutlich positiver als beispielsweise „Hurricane Season“, das über seine zehn Songs eher den Weg vom Dunkeln hin zum Licht beschreibt. Das ist übrigens noch ein weiterer Grund, warum ich aus den neuen Sachen ein ganz eigenes Ding machen wollte.

Du bist neben ALKALINE TRIO und deinen Soloprojekten ja auch noch bei THE FALCON sowie THE DAMNED THINGS aktiv und deckst dabei eine sehr große stilistische Bandbreite ab. Ist es da nicht manchmal schwierig zu entscheiden, für welche Band du gerade ein Lied schreibst? Und gibt es einen gewissen Moment des Songwritings, ab dem du genau weißt, wofür du einen Track nutzen wirst, oder schaust du erst nach der Fertigstellung, wo er am besten hinpasst?
Normalerweise weiß ich schon ziemlich früh beim Schreiben des Songs, wo er einmal landen wird. Es ist mir bislang nur ein einziges Mal passiert, dass ein Lied, welches ich ursprünglich für ALKALINE TRIO geschrieben hatte, am Schluss doch nicht so richtig passte. Also habe ich das dann für THE EMERGENCY ROOM verwendet. Im Grunde weiß ich das aber schon, sobald ich die Gitarre in die Hand nehme. Oder aber ich bin bereits von vornherein in einer gewissen Stimmung für eine bestimmte Stilrichtung und schreibe dann auch direkt aus einem ganz speziellen Blickwinkel. Viele Songideen fallen mir auch unterwegs ein, auf dem Fahrrad oder im Auto. Meistens spiele ich jedoch Gitarre, denke mir eine kleine Phrase aus, schreibe eine kurze Melodie und versuche, zumindest ein paar Zeilen zu Papier zu bringen. Trotz allem bleiben diese Ideen dann aber oft wieder eine ganze Weile liegen, weil ich zu sehr abgelenkt bin oder gar keine Zeit finde, um daraus einen fertigen Song zu komponieren. Mein Smartphone ist mittlerweile randvoll mit kleinen Sprachmemos und Videos, die ich von mir selbst mache, um nicht zu vergessen, was meine Finger dabei eigentlich spielten. Na ja, wenn man ehrlich ist, schreibt sich ein gutes Lied in einer perfekten Welt ja sowieso irgendwie fast wie von selbst. Dann sitzt man da, beginnt zu komponieren und weiß sofort, wie der Song weitergehen muss. Und dann läuft das mit dem Texten auch wie von alleine. Leider ist mir das bislang nur drei- oder viermal in meinem Leben passiert. Das Songwriting funktioniert bei mir eben nicht immer so idealtypisch. Ich kann zwar auch gut in einer Studioumgebung arbeiten, solange ich nicht zu viel Druck verspüre. Aber am liebsten spiele ich Gitarre in meiner Garage zu Hause in Florida, mache die Türen auf, lasse mir eine schöne Brise um die Nase wehen. Samstag- und sonntagmorgens, da habe ich einfach die besten Ideen.

Wo liegt für dich der größte Unterschied zwischen THE EMERGENCY ROOM und THE BYGONES?
Nun, THE BYGONES sind definitiv eine richtige Band und werden auf jeden Fall auch nur als solche auf Tour gehen – das ist für mich der wesentliche Unterschied. Wir sind eine Rock’n’Roll-Band! THE EMERGENCY ROOM, das kann hingegen ich alleine mit meiner akustischen Gitarre sein, das kann aber auch genauso gut mit wechselnder Begleitung sein. Das bin einfach ich in vielen verschiedenen Facetten. Aber THE EMERGENCY ROOM wird nun vorerst ein bisschen ruhen, denn ich habe gemerkt, dass ich viel zu viele Bälle gleichzeitig in der Luft hatte. Daher werde ich mich jetzt erst mal voll auf THE BYGONES konzentrieren und natürlich auch auf ALKALINE TRIO, klar. Wir schreiben gerade wieder fleißig an neuen Songs. Also ehrlich gesagt ist gerade alles wirklich cool, so wie es ist.

Beim Hören von „Dear Darkness“ fällt insbesondere deine technische und auch stilistische Weiterentwicklung auf. War das auch ein Nebeneffekt der Pandemie und gab es besondere musikalische Inspiration für dieses Album?
Ja, da hast du völlig recht! Tatsächlich hatte ich verdammt viel Zeit, Musik aus den Siebzigern zu hören, viel von Harry Nilsson, viel VELVET UNDERGROUND. Man könnte es schon fast obsessiv nennen. Aber ich höre mir auch immer wieder neue und sehr unterschiedliche Sachen an. QUEEN sind übrigens eine weitere Band, die es mir absolut angetan hat. Als meine Tochter ungefähr acht Jahre alt war, hörte sie zum ersten Mal QUEEN im Radio und fragte mich sofort: „Was ist das, Papa? Ich liebe das!“ Sie ist mittlerweile fast 15 und noch immer lieben wir es, gemeinsam Freddy und den Jungs zu lauschen. Das ist für mich wirklich etwas ganz Besonderes, was uns beide nur noch enger zusammenschweißt. Und ohnehin sind QUEEN eine wirklich unglaubliche Band, die einfach alles machte und ausprobierte, worauf sie gerade Lust hatte. Musikalisch waren sie bereit, jedes Risiko einzugehen und wirklich jede Stilart von Song zu spielen. Und genau deshalb liebe ich sie so sehr. Davon abgesehen ist meine Tochter sehr theateraffin und steht total auf Musicals und Musiktheater. Also laufen bei uns zu Hause ständig solche Sachen. Und insofern hast du natürlich recht, denn vieles, was ich während der Pandemie gelernt habe, hing auch mit ihren Interessen und ihrem Klavierunterricht zusammen. Dabei kommt mir dann urplötzlich wieder eine Menge an musiktheoretischem Zeug ins Gedächtnis, das ich mal auf der Highschool gelernt, aber später wieder völlig vergessen hatte. Insofern haben sich für mich musikalisch also tatsächlich wieder ganz neue Perspektiven eröffnet. Ich liebe einfach diesen Broadway-Songstil. Und die besonderen Akkordmuster, die dabei verwendet werden, um Text und Musik wiederum zu einer Einheit verschmelzen zu lassen. Das ist irgendwie total verrückt und genial zugleich. Na ja, also nicht alles, aber schon einiges davon. Dazu kommt aber auch, dass Classic Rock schon immer ein große Schwäche von mir war und noch immer ist, was letztlich den Sound von „Dear Darkness“ stark prägte. Auch Randy steht total darauf sowie auf Rock’n’Roll. Er ist einfach wahnsinnig talentiert und kann absolut alles spielen, was man ihm auch zuruft. Das wurde mir gleich im ersten Moment klar, als wir im Studio losjammten. Ich musste ihm einfach nur sagen: Leg los! Lass uns hier einfach so ein fettes Solo spielen wie von Jimmy Page. Nein, halt! Spiel das doch lieber mal wie bei Prince. Das war alles völlig organisch und wir spürten, dass es keine Grenzen mehr gab.

In den USA geht es nun mit einer großen Tour los. Wer wird alles mit an Bord sein und kommt ihr mit THE BYGONES dann auch nach Europa?
Wir werden als fünfköpfige Band touren, und eigentlich hatte ich mir vorgenommen, noch gar nicht so viel darüber zu verraten, aber Randy wird definitiv mit dabei sein und auch Kayla – sie spielte bereits Bass im Video zu „Dear darkness“. Neben den Songs des neuen Albums werden wir selbstverständlich auch Material von „Hurricane Season“ und „Party Adjacent“ spielen und sicherlich auch ein paar ALKALINE TRIO-Songs einstreuen. Das wird verdammt cool und ich freue mich schon sehr darauf! Und natürlich haben wir auch fest vor, nach Europa zu kommen. Aber aufgrund der aktuellen Situation können wir leider nichts Genaues planen, denn es ist gerade extrem kompliziert, ins Ausland zu fahren. Daher sind wir noch etwas zurückhaltend. Aber wir wollen unbedingt nach Europa – ich liebe Deutschland, Belgien, die Niederlande, ich habe mich bei euch immer sehr wohl und willkommen gefühlt.