Das Vinyl-Drama

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Warum Schallplatten so knapp und teuer geworden sind

Die Wirtschaft ächzt unter steigenden Preisen und einem Mangel an Rohstoffen und Bauteilen. Der Welthandel ist durch die Corona-Pandemie aus dem Takt geraten. Wer denkt, das seien nur die Probleme von „der Wirtschaft“, der übersieht, dass steigende Papierpreise etwa nicht nur Musikmagazine treffen, sondern sich auch auf LP-Cover auswirken. Wobei das für kleine wie große Labels dieser Tage noch das geringste Problem ist. Denn im Vinylgeschäft erleben wir dieser Tage eine Kombination von Negativ-Faktoren:

Das Granulat, aus dem die Platten gepresst werden, ist erheblich teurer geworden. Die Nachfrage nach Vinyl ist bei kaum erhöhten Kapazitäten massiv gestiegen. Die Energiekosten haben sich deutlich gesteigert. Und gerade der internationale Frachtverkehr ist seit Corona deutlich teurer geworden. Die Folge: Lieferzeiten für Vinyl sind von früher zwei bis drei Monaten auf sechs, sieben und mehr Monate gestiegen, wenn denn überhaupt ein Pressauftrag platziert werden kann. Releasepartys ohne LP, endlos verzögerte Auslieferung längst vorbestellter Platten, ausbleibende Umsätze für Bands, Labels, Plattenläden und Großhändler – das alles verstärkt durch die an sich schon nervigen Corona-Auswirkungen. Wie das alles zusammenhängt, das ließ ich mir von Michael Schuster erklären, Gründer, Inhaber und Geschäftsführer der Wuppertaler Großhandelsfirma Cargo Records, die seit über zwanzig Jahren dafür sorgt, dass die Releases von Indielabels in die Läden und ins Mailorder-Sortiment kommen.

Was ist derzeit die durchschnittliche erwartbare Lieferzeit, wenn man eine LP in 180 Gramm mit normaler Cover-Ausstattung in Auftrag gibt?
Ganz aktuell kannst du von mindestens sieben Monaten ausgehen. Es mag streckenweise noch Ausnahmen geben, aber das sind die Zeiten, die ich von „unseren“ Labels so höre. In den USA oder Australien dauert es teilweise noch länger, die können auch mit sieben Monaten nicht planen.

Wie war die normale Turnaround-Zeit in früheren, in normalen Jahren?
Die lag bei 12 bis 14 Wochen, je nachdem wie das mit der Testpressungen läuft. Du hast die Master-Dateien, die Soundfiles, dann die Galvanik und der Schnitt, das dauert zwei bis drei Wochen. Dann kommt die Testpressung, dann wird die freigegeben, und das sind oder besser waren nochmal so acht Wochen, mit Verpackung und allem. Das ist nicht zu unterschätzen. 1.000 CDs kann man leichter verschicken als Vinyl, in ein paar Kartons, aber 1.000 Platten, das ist schon eine ganze Palette, die je nach Empfangsland noch extra gut verpackt werden muss. Das geht per Spedition, grundsätzlich dauert das länger. Und wenn du in Tschechien presst bei GZ Media wie beispielsweise Broker à la Pirates Press oder A to Z, dann muss das eben von Prag noch in die ganze Welt verschifft werden. Und das dauert jetzt länger, die Pandemie hatte streckenweise den internationalen Frachtverkehr lahm gelegt, und auch jetzt sind Frachtkapazitäten per z.B. Luftfracht noch wesentlich limitierter und teurer als vorher.

Der Begriff „Broker“ – was hat es damit auf sich?
Broker sind Agenturen, die kein eigenes Presswerk, keine eigenen Pressmaschinen haben, sondern die agieren als Auftragsvermittlungsagentur. Das sind Großhändler für Herstellungskapazitäten. Du beauftragst den Broker mit der Pressung, und die haben einen Deal mit dem Presswerk. GZ Media in Tschechien ist eines der größten europäischen Presswerke, und dann gibt es Broker wie beispielsweise Pirates Press oder A to Z Media, die dort pressen lassen. Auch Cargo selbst ist eigentlich ein Broker, wenn wir uns für manche der bei uns vertriebenen Labels um die Herstellung kümmern. Weil wir über das Jahr eine große Stückzahl herstellen, haben wir gute Konditionen und vorab vereinbarte Kapazitäten. Aber auch weil wir die ganze Vorstufe übernehmen. Presswerke wollen ungern jedem kleinen Label erklären müssen, was sie alles an Daten und Grafik brauchen – diese Aufgabe übernimmt dann der Broker.

Schon vor der Pandemie, schon vor 2020, war von einem „Vinyl-Hype“ die Rede ...
Bei den Stichworten „Vinyl Boom“ oder „Vinyl Hype“ verdrehe ich natürlich die Augen, denn für viele unserer Vertriebslabels und für Cargo war Vinyl ja schon immer ein wichtiges Format. Schon 2010 hatten wir 50 Prozent Vinylanteil im Vertriebsbereich. Im Punk/Hardcore- wie im Electronic-Bereich war das schon immer ein ganz wichtiges Medium. Seit einiger Zeit schon haben sich Labels wie Music On Vinyl nun darauf spezialisiert, Vinyl-Lizenzen von den Majorlabels zu holen und Rereleases von Klassikern zu machen. Zudem haben natürlich die Majorlabels auch selbst Vinyl wiederentdeckt. Der „Vinyl-Boom“ ist also nichts, was die Szene“ betrifft, für viele Indielabels war Vinyl immer wichtig.

Dieses sogenannte „Kataloggeschäft“ ist in der Tat immer wichtiger geworden, also die „Auswertung“ von Rechten, und dazu gehört auch, dass 2021 ernsthaft MODERN TALKING-Platten auf Vinyl neu aufgelegt werden.
Es ist hier ein großer Unterschied, ob man von einem kleinen Indie-Label spricht oder von einem Major. Die CD-Verkäufe gehen schon seit Jahren zurück und auch preislich kostet eine CD im Laden lange nicht mehr so viel wie vor einigen Jahren. Und so haben auch größere Firmen natürlich festgestellt, dass Vinyl wieder ein wichtiges Medium ist, und auch hochpreisig. Man kann man also Vorhandenes auf Vinyl noch mal veröffentlichen. So ist diese ganze Katalogauswertung, dieses Reissue-Geschäft entstanden. Das sieht man ja auch am Record Store Day. Ursprünglich war der ja so geplant, dass die Labels zusammen mit den Vertrieben zu diesem Anlass für die Plattenläden Sonderedition rauszubringen – und nicht nur darum, IRON MAIDEN noch mal in gelbem Vinyl zu pressen. Eigentlich sollte es spezielle Releases nur für diesen Tag geben.

Im Handel ist die CD längst ein Randsortiment.
Dass die CD-Verkäufe zurückgehen, sehen ja auch die Plattenläden. Wie viele Läden führen noch CDs? MediaMarkt, Saturn und Müller und so weiter, und Amazon und Co. Alles, was sich früher auf CD gut verkauft hat, wird jetzt noch mal auf Vinyl aufgelegt, das machen aber nicht nur die Majors, auch die Indies legen ihre Klassiker gerne wieder in neuer Aufmachung auf Vinyl auf. Und da kommt dann so ein Effekt ins Spiel, der die Situation noch verschärft: Als Label brauchst du Umsatz. Du kannst aber aktuell bei Neuveröffentlichungen nur schwer einschätzen, wie die Produktion eines Albums zeitlich läuft. Also setzt du zunehmend auch auf Reissues, wo du besser planen kannst, wo es aber auch nicht so wichtig ist, dass eine Platte zu einem fixen Zeitpunkt fertig ist. Niemand drängelt, wann denn endlich die QUEENS OF THE STONE AGE-Neuauflage kommt. Da freuen sich die Leute, dass es die überhaupt wieder gibt.

Aber brauchen denn die Majorlabels und die Musikverlage, die dahinterstehen und auch finanziell profitieren – nicht notwendigerweise haben auch die Bands etwas davon –, diese Vinyl-Rereleases wirtschaftlich? Gefühlt ist es ja immer noch ein Nischengeschäft, aber das Dance-Label Kontor Records etwa sagt, dass für sie die Umsätze aus dem sogenannten „physischen Geschäft“ gerade noch 5% des Umsatzes ausmachen.
Auch die Majors brauchen den physischen Umsatz. Das Geschäft mit „physischen Tonträgern“ liegt im Bereich von 20 Prozent der Umsätze, der Vinylanteil am Gesamtmarkt mittlerweile bei 6%. Der Rest wird digital oder auch mit anderen Rechten wie Merchandising verdient. Im Katalogbereich partizipieren die Künstler nicht zwingend gleichermaßen an jeder Neuauflage, das sind langjährige Verträge, die auf verschiedenen Ebenen ausgewertet werden. Und natürlich kann man da die Frage stellen, ob wirklich jemand die x-te Auflage von Johnny Cash oder Elvis in der 150. Variante neu aufgelegt braucht. Und ja, für die Indielabels ist der Umsatz aus dem physischen Geschäft essenziell. Die können die Umsatzeinbrüche, die sie momentan haben, nicht zwingend digital kompensieren und dann wird es natürlich schwierig. Du hast eine Band gesignt, die Platte wolltest du eigentlich dieses Jahr rausbringen, und jetzt sagt dir das Presswerk, das mit dem Vinyl wird erst in sieben Monaten was. Die Band war aber schon im Studio, das Studio musste bezahlt werden, und alles andere rund um die Produktion auch. In sieben Monaten aber erst hast du die Platte, dann geht die in den Handel, dann verkaufe ich die ersten, und die werden erst ein paar Wochen später bezahlt – da hast du eine große Lücke. Hältst du dann die digitale Veröffentlichung auch so lange zurück? Das ist das, was jetzt gerade leider passiert, und das ist ja auch wieder kontraproduktiv, denn der digitale Anteil wird ja sowieso schon immer größer. Als Künstler, als Band muss ich mir also überlegen, warte ich noch sieben Monate, bis mein Album, das ich vor vier Monaten aufgenommen habe, als LP rauskommt, also mit einem Jahr Verzögerung? Oder veröffentliche ich das schon mal digital? Aber dann habe ich ja wiederum das Problem, dass der physische Tonträger irgendwann nicht mehr so interessant ist. Du musst schon Hardcore-Fan sein, um zu sagen, ich hör mir das Album jetzt digital an und warte, bis die Platte in sieben Monaten nachkommt. Da verliert man sicher auch Leute.

Wer verdient am teuer gewordenen Vinyl? Sind das die kleinen Plattenläden? Spezialisierte Mailorder? Oder die großen Versandhändler sowie Amazon?
Die Pandemie hat den Markt enorm aufgemischt. Vor zwei Jahren hätte ich deine Frage anders beantwortet. Mit dem Lockdown waren die Plattenläden dicht. Also haben die Leute vermehrt online bestellt. Und sich daran gewöhnt. Das war ein enormer Beschleuniger der Entwicklung, auch wenn viele coole Plattenläden versucht haben, die Situation etwa mit einem Fahrrad-Bringdienst zu entschärfen. Zum Glück sind viele Plattenläden heute immer noch am Start, wir hatten schon Angst, dass die Pandemie da zum Killer wird. Der größte Gewinner ist natürlich logischerweise Amazon, wobei die streckenweise in der ersten Pandemiephase gar keinen großen Wert auf Medien oder Vinyl gelegt haben, da waren denen andere Artikel wichtiger. Schon immer wichtig waren für uns auch spezialisierte Mailorder und Plattenläden.

Einst waren CDs ein gutes Stück teurer als LPs, später dann glich sich das ungefähr aus, doch in der jüngeren Vergangenheit sind die Preise für CDs in den Keller gegangen, die für Vinyl aber kennen nur denWeg nach oben, 25, 30, 35 Euro sind nicht mehr unüblich. Was für reale Hintergründe gibt es für diese Preisentwicklung?
Die LP hat auf jeden Fall einen enormen Preissprung gemacht. Wir sehen ja selbst, wie unsere Preise für den Handel hochgehen, was wiederum an den gestiegenen Einkaufspreisen liegt, die wir zahlen müssen. Und das wirkt sich dann so aus, dass eine Platte im Laden oder bei einem Mailorder dann so bei 25 bis 30 Euro liegt. Und dann liegt es auch an einem Faktor wie dem Granulat, es gibt da weltweit nur wenige Hersteller und eine große Nachfrage. Dazu kommen die Rohstoff- und die Energiepreise.

Der Vinylherstellungsprozess ist eben noch sehr industriell. Da wird mit viel Druck und Hitze gearbeitet. Für Druck und Hitze braucht man aber sehr viel Energie.
Richtig, Vinyl ist ein sehr energiekostspieliges Produkt. Da kann man schon auch die Frage stellen, wie Vinyl im Vergleich zu Streaming abschneidet, wobei Streaming ja nicht CO2-neutral ist, wie wir alle wissen. Die Vinylherstellung ist also schon sehr energieaufwändig: Das Erhitzen des Granulats, das Pressen, das schnelle Abkühlen mit Kühlwasser ... Andererseits ist Vinyl durchaus nachhaltig, denn wer Platten kauft, der stellt die ins Regal. Der kauft die nicht, reißt die Verpackung auf und schmeißt sie vier Wochen später weg. Und ich kann aus eigener Anschauung sagen: Bei Cargo gibt es keine Vinyl-Overstocks, wir werfen keine Platten weg, wir schreddern kein Vinyl. Und wir haben auch im Blick, mit Recycling-Vinyl zu arbeiten. Aber bei so einem hochpreisigen Artikel wollen die Leute ein wirklich erstklassiges Produkt haben und Recycling-Material hat auch so seine Nachteile.

Um noch einmal auf die grundsätzliche Frage der Preissteigerung zu sprechen zu kommen ...
Ganz klar sind höhere Energiekosten ein Preistreiber. Aber auch Karton, Papier etc., das weißt du ja selbst als Verleger. Die Preise für 300-Gramm-Kartoncover sind massiv gestiegen, um 30 bis 40%. Dann haben wir nur eine sehr überschaubare Anzahl an Granulat-Herstellern, die haben die Preise nahezu verdoppelt. Das kann auch ein großes Presswerk mit vorausschauendem Einkauf nicht mehr ausgleichen. Wenn du heute den Preis für eine Vinylherstellung anfragst, dann gilt der Preis nicht länger als drei, vier, vielleicht fünf Monate. Wenn die Plattenproduktion sieben Monate dauert, kriegst du den Preis auch noch, das wird eineinkalkuliert. Aber wenn du dann nachpresst, weil die Platte gut läuft und du noch mal 500 oder 1.000 brauchst, dann wartest du wieder sieben Monate und hast auf jeden Fall einen neuen Preis. Das ist gerade schon sehr extrem. Es gibt hier ständig Preisschwankungen, wobei die Schwankungen nur noch nach oben gehen. Das alles muss man also einpreisen.

Man könnte ja vermuten, dass solches Kunststoffgranulat ein Massenartikel ist, wie er in enormen Mengen auch für zig Kunststoffartikel benötig wird, wie für eine Gießkanne. Oder ist das so speziell?
Klar, für Gießkannen ist das ein anderes Granulat. Und für das Schallplattengranulat gibt es weltweit nur eine sehr überschaubare Anzahl an Herstellern, meines Wissens unter zehn. Wenn die Nachfrage nach einem Produkt groß ist, wird typischerweise in der Wirtschaft auch mehr davon produziert, doch in diesem speziellen Fall scheint das nicht so zu sein und es gibt hier auch keine keine alternativen Bezugsquellen für das Granulat. Wie ich gehört habe, gibt es auch immer wieder Engpässe für z.B. bestimmte Farben. Die Presswerke stehen aktuell also sehr unter Druck, da kommen Materialmangel, hohe Nachfrage, steigenden Energiekosten zusammen – und es sind ja nicht zwingend die Presswerke, die von den gestiegenen Vinylpreisen wirklich profitieren, das sind eher die Verwerter in der Kette dahinter. Die Herstellungspreise sind aber in Summe in der jüngerenVergangenheit auch um 30 bis 40 Prozent gestiegen.

Entspannter wird das Arbeiten unter permanenter Volllast auch nicht.
Das sieht man ja an Bieber von Flight 13 Duplication, der das Plattenpressgeschäft zum Jahresende 2021 aufgibt. Das Plattenpressen ist ein hartes Geschäft. Ich ziehe meinen Hut vor jemand, der sagt, die Nachfrage ist hoch wie nie, aber ich kann den Druck nicht mehr aushalten. Alle wollen immer mehr und mehr und mehr, und das alles auf Termin. Gut möglich, dass einige Presswerke deshalb jetzt mit viel Vorlauf arbeiten, um Druck rauszunehmen. Und einige Presswerke priorisieren: Manche Kunden werden bevorzugt bedient. Wer bestimmt also gerade die Lieferzeiten? Klar, es gibt durchaus mehr Nachfrage, es wird mehr auf Vinyl gepresst. Mittlerweile liegt der Vinylanteil bei „recorded music“ wieder bei knapp 6 Prozent, davor waren es nur 2 bis 3 Prozent – das ist eine Verdoppelung. Aber es gibt nicht doppelt so viele Maschinen, da geht schon jeder an seine Grenzen.

Was hat Cargo konkret getan, um die Herstellungssituation zu entlasten?
Wir haben uns eine Pressmaschine zugelegt, in Kooperation mit einem Presswerk. Wir sind ein physischer Vertrieb, und da ist das größte Problem, wenn du keine physische Ware hast und dann schon gar nicht die Ware, die du eigentlich brauchst: Vinyl. Diese Lücke, die mit zu wenig Herstellungskapazität beginnt, setzt sich ja fort: Diese Platten fehlen in einem halben Jahr uns und dann dem Handel. Und wir spüren aktuell, dass sich die Majors überall Kapazitäten sichern. Die reservieren. Und da stellt sich mal wieder die Frage: Wie groß oder klein sind die Indies, wie groß und mächtig die Majors? Die gehen her und reservieren mal eben vielleicht 30 Prozent der Herstellungskapazität und bezahlen das auch. Das geht natürlich zulasten kleiner Labels, die im Jahr drei Platten pressen mit je einer 500er Auflage. Ich bekomme das im Tagesgeschäft mit, dass mir solche Labels sagen, unsere Existenzgrundlage ist dahin, ich brauche eigentlich kein Label mehr zu machen. Für die ist das digitale Geschäft zwar wichtig, aber damit kommen sie nicht über die Runden. Da gehen die Bands schon nicht auf Tour, und jetzt kriegen sie noch nicht mal die Platten. Die sagen: Mein Label, das ich sowieso schon hobbymäßig betreibe, das kann ich jetzt an den Nagel hängen.

Was hat es mit diesem Sichern von Kapazitäten auf sich?
Einige Presswerke lassen sich natürlich gerne darauf ein. Wenn eine große, solvente Firma dir auf lange Zeit den Umsatz sichert, warum auch nicht? Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Nach 40 Jahren kommt eine Band wieder an und veröffentlicht ein neues Album: ABBA. Selbst Fachleute können schwer einschätzen, wieviel man von so einem Thema verkaufen kann. Und: Kann man da LPs verkaufen? Wie viele denn? Wie viel wird da gepresst? 50.000? 100.000? Ich tippe: da werden mehrere hunderttausend LPs gepresst – und eine Maschine spuckt am Tag gerade mal 1.500 Platten aus. Da kann man sich ausrechnen, dass diese eine Platte für ein oder zwei Monate diverse Press-Kapazitäten aufsaugt. In der Zeit werden Labels, die eine 500er Auflage haben wollen, einfach nach hinten geschoben. Wir hatten das vor einigen Monaten schon einmal, als das neue AC/DC-Album erschien. Das hat alle Rekorde in Sachen Vinyl gebrochen. Und nachdem Vinyl viele Jahre lang kaum noch jemand interessierte, wollen heute Künstler – selbst in Bereichen, wo ich mich bisweilen schon frage, ob die Vinyl brauchen – eine Vinylversion ihres Albums haben. Das gehört dann eben mit ins Künstler-Portfolio.

Wie steht es um eine Erweiterung der Presskapazitäten, und wie viele Maschinen gibt es überhaupt in Europa?
Mit einer exakten Zahl muss ich passen. Ich habe mal gehört, dass GZ – die sind mit Abstand die größten – 70 oder 80 Maschinen haben. In Deutschland ist Optimal das mit Abstand größte Presswerk. Mittlerweile gibt es zwar auch Nachbauten von Pressmaschinen, aber meist sind noch Jahrzehnte alte, klassische Maschinen im Einsatz. Das sind Oldtimer, die werden immer wieder repariert und müssen konstant gewartet und am Laufen gehalten werden. Aber technisch sind das alte Geräte, und als Presswerk brauchst du auch ein paar alte Maschinen als Ersatzteillager. Man muss sich natürlich auch darüber im Klaren sein, das muss ich zur „Entlastung“ der Presswerk sagen: So eine alte Maschine läuft nicht 24 Stunden an sieben Tagen der Woche problemlos durch. Das ist wie bei einem Oldtimer: du willst am Sonntag eine Runde drehen, und dann verliert der Öl oder springt nicht an. Dann kannst du eben nicht fahren. Das passiert in einem Presswerk natürlich ständig. Deshalb sind die Mechaniker, die solche Maschinen kennen, gefragte Leute.

Was die Situation nicht entspannen dürfte: der vielzitierte Fachkräftemangel. Und klar, ein Label machen, was mit Musik, mit Vinyl, das klingt spannend und attraktiv. Aber Maschinenschlosser zu werden, um in einer heißen Halle zu stehen und nach Öl und Plastik duftende Maschinen zu bedienen, das dürfte weitaus weniger Menschen reizen.
Klar, die Techniker und Maschinenbauer sind gefragte Leute, aber man braucht auch die Kolleginnen und Kollegen an der Maschine selbst. Und das ist Fließbandarbeit, das kann man sich nicht schönreden: Kuchen rein, Maschine zu, Platte kommt raus. Da ist natürlich sehr viel automatisiert, aber farbiges Vinyl mit Muster drin, etwa Splatter, das ist Handarbeit. Da steht eine Person und macht das manuell. Das ist kein wirklich toller Job. Und dann brauchst du noch die Galvanik-Spezialisten – das ist ein sehr komplexer Prozess: Die Matrizen erstellen, das Galvanik-Bad und so weiter. Oder der Schnitt, dafür brauchst du ein gutes Ohr. Das sind absolute Koryphäen, in der Branche gibt es nur wenige – was ist, wenn da keine Leute nachkommen? Wenn alle jungen Menschen gerne was mit Musik machen wollen, aber nur noch digital, nur ein Label haben wollen, aber sich nicht für die Technik interessieren? Ich vermute sogar, dass es derzeit mehr Presskapazitäten gibt als noch vor ein paar Jahren, aber das Problem der Matrizenschnitt und die Galvanik sind – das ist der längste Prozess. Vor zehn Jahren haben ich und andere schon gesagt, eigentlich müssten wir da investieren, um Leute ausbilden, die Zukunft unserer Branche sicherzustellen. Denn was ist, wenn irgendwann mal niemand mehr da ist, der die ganzen Prozesse beherrscht? Da besteht schon die Sorge, dass dieses Know-how verlorengeht, das ja die Grundlage ist für eine gute Pressung.

Was gibt es für Perspektiven? Wo siehst du die Vinylbranche in ein paar Jahren? Wirf doch mal einen nicht miesepetrigen Blick in die Glaskugel.
Nicht miesepetrig zu sein, ist ambitioniert in der aktuellen Situation, in der wir als physischer Vertrieb viel zu wenig Ware bekommen. Wir könnten gerade wesentlich mehr verkaufen, aber wenn die Erstpressung von DINOSAUR JR. ruckzuck ausverkauft ist und du den Leuten sagen musst: Sorry, danke für deine Vorbestellung, aber du kommst erst in der zweiten Runde dran, du musste sieben Monate warten – das ist ein Super-GAU. Und dann musst du auch noch den Preis erhöhen. Das ist für Händler und Fans schwer zu verstehen. Da fühlt man schon den unausgesprochenen Verdacht: Die machen sich doch gerade alle die Taschen voll. Leider nicht. Und was die Perspektiven betrifft, so bereitet es mir schon Kopfschmerzen, dass der eine Online-Händler immer mehr Marktanteil gewinnt, das Thema Medien oder Vinyl aber überhaupt nicht interessiert. Positiv sehe ich, dass sich bei den Presswerken was tut und dass die Indies, die an Vinyl geglaubt haben und die Presswerke in den Neunzigern am Leben gehalten haben, letztlich an Bedeutung gewinnen und nicht nur die Majors profitieren. Und ich gehe davon aus, dass es irgendwann eine gewisse Marktbereinigung gibt, dass die Majors nach der fünften Platte, von der sie 20.000 zu viel gepresst haben, wieder ein bisschen die Finger davon lassen, jedes zweite Album auch auf Vinyl zu veröffentlichen. Aber da ist natürlich auch Wunschdenken dabei. In zwei, drei, vier Jahren wird sich das reguliert haben, und kurzfristig kann ein Effekt sein, dass Menschen endlich wieder auf Konzerte gehen und dafür Geld ausgeben können, denn was hast du denn als Musikfan seit Frühjahr 2020 für Möglichkeiten gehabt? Du hast zu Hause gesessen und dir Schallplatten bestellt. Vielleicht ein blöder Effekt für uns als Vertrieb, wenn das eintritt, aber es würde doch etwas Luft verschaffen, und das Live-Erlebnis geht uns allen doch ab. Und ein weiterer Wunsch für die Zukunft: Wieder mehr Veröffentlichungen. Lieber viele schnell ausverkaufte Kleinauflagen, als dass wenige große Releases die Herstellungskapazitäten blockieren.

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Der Stoff der Träume
Als Rohstoff für die gepressten Schallplatten wird Polyvinylchlorid (PVC) verwendet, dem etwa 20% Polyvinylacetat (PVAc) und weitere Additive zugesetzt werden. Der eigentliche Rohstoff ist milchig-transparent und kann durch Zusatz von Farbstoffen eingefärbt werden. Die früher notwendige Beimischung von Ruß ist heute nicht mehr erforderlich. Es gibt keine erheblichen qualitativen Unterschiede zwischen schwarzen und farbigen Pressungen, auch variiert die genaue Zusammensetzung des Materials zwischen unterschiedlichen Presswerken. Bei der Herstellung einer [...] so genannten audiophilen Pressung kann kein wiederaufbereitetes Vinyl, sondern nur reines, frisches PVC-Rohmaterial („Virgin Vinyl“) verwendet werden, da beim Recycling das Labelpapier nicht völlig entfernt werden kann und diese Papierreste zu Pressfehlern oder erhöhtem Knistern führen können. (Quelle: Wikipedia)