DAVID YOW & FLIPPER

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No Will, no Bruce, no FLIPPER?

David Yow und ich sitzen in einer Bar in Vancouver – dem Astoria, einem Punkrock-Schuppen. Dort fand der Großteil dieses Gesprächs statt, vor dem FLIPPER-Konzert am 7. Juni 2019. Offen gesagt, ich mag ihn gar nicht fragen nach manchem, das man gefühlt mal fragen müsste. Nach dem Schwanzlutschen für Drogengeld, Musikerkollegen auf der Bühne anwichsen oder nach dieser Pinkelgeschichte. Es ist peinlich, über so was zu reden, und wenn etwas davon wahr ist, will er vielleicht nicht, dass es gedruckt wird; aber das sind die Geschichten, die man über Yow (Jahrgang 1960) findet, wenn man herumstöbert – verrückte, seltsame, übertriebene Eskapaden auf der Bühne, über die er dann doch sehr freimütig spricht. Mehr als einmal drängt sich die Frage auf: Hast du das wirklich getan?

Irgendwann will Yow von mir wissen, ob für mich als großen FLIPPER-Fan die Vorstellung nicht seltsam sei, FLIPPER zu sehen, ohne Bruce Loose (der immerhin noch lebt, aber gesundheitliche Probleme hat) und vor allem ohne Will Shatter, der ja 1982 an einer Überdosis verstarb. Andere Leute aus der Musikszene Vancouvers, wie Heather Haley von den ZELLOTS, die mit Loose zusammengewohnt hatte, als sie in Kalifornien lebte, hatten nämlich ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht: „No Will, no Bruce, no FLIPPER“, hatte sie auf Facebook gepostet, als die Show angekündigt wurde. Aber bei mir hat der Umstand, dass Yow den Posten als Frontmann der legendären Band aus San Francisco übernommen hat, auf einmal sämtliche Bedenken beseitigt. Denn dass FLIPPER ohne Will Shatter weitermachten, dessen existenzialistischer Zynismus und Songtexte für mich die Hauptattraktion in der Band waren, fand ich tatsächlich immer irgendwie verwirrend. Dass sich Stephen DePace und Ted Falconi mit einem aus dem Gleichgewicht geratenen (wenn auch freundlichen und zugänglichen) Frontmann wie Yow arrangieren mussten, um im Grunde genommen „FLIPPER’s Greatest Hits“ zu spielen – also ein Set, das fast ausschließlich aus Songs von ihrer Debütplatte „Generic“ und den frühen Singles besteht –, fand ich irgendwie so spannend, dass es sämtliche Vorbehalte vergessen machte, denn ich hatte weder FLIPPER noch Yow zuvor live gesehen. Ob Heather Haley der Meinung ist, dass ich jetzt eine FLIPPER-Show gesehen habe oder nicht, weiß ich nicht, aber eines kann ich mit Sicherheit sagen: FLIPPER mit David Yow sind verdammt großartig.

Wie war das damals mit deinen ersten Punk-Shows in Austin? Ich nehme an, du hast die DICKS, die BIG BOYS, MDC und all diese Bands gesehen?

Ja, natürlich. In der Halloween-Nacht 1979 gingen mein Kumpel und ich ins Raul’s, weil wir diesen Artikel im Rolling Stone über eine Band aus Austin namens HUNS und eine Band namens VOMIT PIGS aus Dallas gelesen hatten. Und es hat mein Leben völlig verändert. Ihre Gefährlichkeit und diese Alles-ist-möglich-Attitüde. Und ja, ich habe die BIG BOYS und die DICKS hunderttausend Mal gesehen. Ich war bei der ersten Show der BUTTHOLE SURFERS, ich war bei der ersten Show der DICKS. Es war eine unglaubliche Zeit. Ich weiß, dass es auf der ganzen Welt großartige und aufregende Shows gab, aber ich denke wirklich, dass Austin mysteriöser war als andere Orte. Vielleicht bin ich voreingenommen, aber ich empfinde das so. Und die HUNS zu sehen ... Ich glaube, der Sänger Phil Tolstead trug nur ein Suspensorium und sein ganzer Körper war mit Silberfarbe bemalt. Ich dachte einfach nur „Was zum Teufel?!“. Die Leute sahen einfach nur seltsam aus, alles war möglich. Ich war sehr angetan davon. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich mit LED ZEPPELIN und so beschäftigt. Ich hatte die ersten Elvis Costello-Platten, die PRETENDERS und vielleicht die B52’s. Ich habe BRAND X, RETURN TO FOREVER und YES und so einen Mist gehört. Ich mochte früher Musik, die kompliziert war. Ich dachte immer, wenn der Schlagzeuger komplex spielt, dann wird es mir wahrscheinlich gefallen. Aber dann habe ich mit Punkrock meine Meinung geändert. Ich hielt das nicht mehr für notwendig.

Gab es noch andere herausragende Momente und Künstler, die dich inspiriert haben?

Die DICKS, SHARON TATE’S BABY und die BUTTHOLE SURFERS prägten die Art und Weise, wie ich dachte, dass Musik transportiert werden sollte – konfrontativ, aggressiv, komisch. Es gab nie die Absicht, jemand tatsächlich Schaden zuzufügen. Ich wollte, dass es aggressiv und einschüchternd war, aber ich war nie darauf aus, jemanden zu verletzen. Im Club Armadillo World Headquarters war, glaube ich, die erste Show der DICKS. Und SHARON TATE’S BABY spielten auch. Irgendwann zog ihr Sänger Chris Wing seinen Schwanz heraus, und sein Schwanz war so ... groß. Später fand ich heraus, dass es ein Dildo war. Aber so oder so dachte ich, das ist verdammt verrückt, ich war geflasht. Also waren SHARON TATE’S BABY einer meiner Favoriten. Es gab auch eine andere Show, die wegen der Nacktheit ähnlich war. Die CRAMPS spielten und es dauerte ewig, bis sie auf die Bühne kamen. Die Leute wurden langsam sauer. Und dann kamen sie raus und haben alles in Grund und Boden gespielt. Lux fiel irgendwann von der Bühne und als er wieder hochkletterte, packten ich und ein Kumpel seine Hose. Er sang das Lied dann zuende, während seiner Hose um seine Knöchel baumelte, und ich dachte, das ist so cool!

Im Gespräch mit Stephen DePace von FLIPPER ist mir mal wieder bewusst geworden, wie vielfältig die Musik-Szene in San Francisco war, bevor Hardcore aufkam. War Austin auch so?

Es war so ähnlich wie damals, als es mit Punkrock losging; es gab keine Uniform oder choreografierte Moshpits. Es gab ungefähr fünf Bands und keine klang wie die andere. Die STANDING WAVES machten eine Art TALKING HEADS-New-Wave, und sie spielten mit den F-SYSTEMS, das war so elektronisches, seltsames Zeug. Und die nächsten Bands waren SHARON TATE’S BABY und die DICKS. Es war von Anfang an sehr gemeinschaftlich und sehr abwechslungsreich. Wenn Bands wie BLACK FLAG auf Tour vorbeikamen waren sie immer wieder erstaunt über das Publikum, bei ihnen in Kalifornien war die Stimmung einfach super aggressiv. Wenn jemand in Austin auf einer Show hinfiel, reichten ihm gleich zwei Leute die Hand, um ihm aufzuhelfen.

Du hast auch FLIPPER damals in Austin gesehen. Warst du Fan?

Ich liebte die Platten, aber ich kann mich nicht wirklich an die Show erinnern. Ich habe es irgendwie verdrängt. Aber es war cool, weil es einfach so langsam und schleppend war.

Warst du denn ein Fan von Hardcore? Viele Leute, mit denen ich gesprochen habe, sagten, dass sie aufgehört hätten, zu den Shows zu gehen, als es anfing, gewalttätig zu werden.

Es hat einen Unterschied gemacht. Aber es tauchten plötzlich die Skinheads und die verdammten Nazi-Punk-Arschlöcher auf und das hat die Dinge verändert. Wenn du weiter zu den Shows gegangen bist, was ich auch getan habe, musstest du dich irgendwie mit diesen Arschlöchern abgeben.

Ich muss derzeit viel über den weiten Weg nachdenken, den Punk genommen hat, vom Anything goes bis zu dem Dogmatismus der Hardcore-Fans. Zur Zeit von JESUS LIZARD schien etwas in Bewegung zu sein. Anstatt soziales Bewusstsein zu zeigen oder über Politik oder was auch immer zu schreiben, gab es Lieder über häusliche Gewalt, Serienmorde, Vergewaltigung – etwa „Fists of love“ von BIG BLACK oder TAD mit ihrem Song „Nipple belt“ über den Frauenmörder Ed Gein oder auch „Puss“ von JESUS LIZARD.

Ich stimme dir zu, dass sich das gewandelt hat, bis zu einem gewissen Grad, mit Bands wie JESUS LIZARD und BIG BLACK und COP SHOOT COP. Aber wie und warum, nun ja, ich habe nie darüber nachgedacht. Einige der Bands Ende der Achtziger Jahre waren mehr von der Kunsthochschule geprägt als von der Wut des Punk, denke ich.

Ich frage mich immer, warum die Leute den Sound von JESUS LIZARD „Noiserock“ nennen. Es scheint ein unpassender Begriff zu sein, vor allem, wenn ich sehe, was Ted Falconi bei FLIPPER für einen Lärm macht.

Ich weiß nicht, was „Noiserock“ ist. Zu Zeiten von SCRATCH ACID war „Pigfucker Music“ ein Begriff, der häufig benutzt wurde. Und das gefällt mir! BIG BLACK, die SWANS, SCRATCH ACID und SONIC YOUTH wurden alle unter dem Begriff „Pigfucker Music“ einsortiert. Ich weiß zwar auch nicht genau, was das ist, aber es gefällt mir besser als „Noiserock“.

Was ist mit deiner Zeit am College? In welchem Verhältnis steht das zu dem, was du tust?

Ich studierte Bildende Kunst, und einige der Studenten, die ich traf, halfen, die Art und Weise, wie ich Dinge wahrgenommen habe, zu verändern. Ich habe mich auch mit einigen der Lehrer angefreundet. Einer davon, Mark Todd, hat das erste SCRATCH ACID-Cover entworfen; er hat das Gemälde auf „Berserker“ gemalt; er hat das „The Greatest Gift“-Cover und das für „Head“ von JESUS LIZARD gemacht. Er und ich sind bis heute Freunde. Er ist ein großer Künstler, und ich denke, dass mich seine Person und einige der Menschen dort irgendwie verändert haben. Ich war etwa zweieinhalb Jahre am College und meine Eltern konnten es sich kaum leisten. Bei allem, außer in Kunst, bin ich durchgefallen. Entweder ging ich nicht hin oder ich habe einfach nicht aufgepasst. Ich habe mich nur für den Kunstunterricht interessiert. Also sagten meine Eltern, noch eine Sechs und du bist da raus. Ich bekam drei. Also habe ich das College verlassen. Ich hatte vor zurückzugehen, aber dann kam der Punkrock. Das war fortan das Einzige, was mir wichtig war.

Hat dich die politische Seite des Punk angezogen?

Ich schätze, die DICKS waren semi-politisch, die OFFENDERS und die STAINS waren politisch, aber im Grunde war mir Politik egal. Die BIG BOYS hatten dieses Lied „We are a-political“. In Austin ging es den meisten eher darum, Spaß zu haben. Es war schon eine Art von Protestmusik – TERMINAL MIND sangen über „Zombieland USA“, sie thematisierten die Rechtsaußenscheiße und all das, aber sie hatten nicht diesen Hang zur politischen Indoktrination wie, sagen wir, die DEAD KENNEDYS. Bei keiner der Bands, die ich mochte, war das der Fall. Mir gefielen auch die STAINS nicht, aus denen MDC hervorgingen, denn ihr Sänger David Dictor neigte ebenfalls dazu. Tatsächlich hatte ich mal einen Freund, der zu mir sagte: ,,Wenn du bei SCRATCH ACID bist, ist es deine Verantwortung, politisch zu sein“. Ich meinte nur: „Fick dich, nein, ist es nicht.“

Wie war damals deine Lebensweise?

Mein Lebensstil war relativ selbstzerstörerisch. Ich habe mich nicht darum geschert, genug Geld zu haben, um Miete zu zahlen. Ich trank viel und ich nahm viel Acid, ich nahm viel Speed, aber ich habe mir nie irgendwelche Drogen gespritzt, so selbstzerstörerisch war ich dann doch nicht. Ich denke, dass ich genau das Gegenteil war, denn in meiner ersten Band, TOXIC SHOCK, war unser Schlagzeuger ein Junkie und ich half ihm: ich band ihm den Arm ab, zog die Spritze auf, er sagte mir, was ich tun sollte. Und er driftete weg. Ich dachte: Wow, das sieht so angenehm aus, aber ich fürchte, wenn ich das täte, würde ich davon nicht mehr loskommen. Also habe ich das nie gemacht. Ich erinnere mich, was meine Mutter einmal zu mir sagte: „David, warum hasst David Yow David Yow so sehr?“ Und ich, haha, fing einfach an zu weinen. „Verdammt, Ma, ich hasse mich nicht!“

Im Jesus Lizard-Song „Puss“ geht es um einen Schlägertypen in Chicago. Ich weiß nicht, ob du ihn zitierst oder ob es eine Geschichte ist, die dir erzählt wurde ...

Nun, bei vielen der Songs, die ich damals geschrieben habe, gibt es mehr als eine Inspirationsquelle. Und dieser Song handelt von diesem Kerl in Chicago – er war nur ein kleiner Arsch. Es gab eine Show im Club Lounge Ax, und er war wütend auf ein Mädchen und schubste sie die Treppe runter. Aber der „Get her out of the truck“-Teil stammt aus „The Texas Chainsaw Massacre“. Es stecken also zwei Ideen dahinter, einmal die Szene aus „Texas Chainsaw Massacre“ und dann dieser Kerl aus Chicago.

Wenn man den „Puss“ nimmt oder zum Beispiel „Mouth breather“, von dem du gesagt hast, dass es um etwas geht, was Steve Albini über Britt Walford von SLINT gesagt hat, könnte man sagen, dass du bisweilen über Dinge aus dem echten Leben schreibst. Das schließt auch andere reale Personen mit ein. Ich frage mich, ob das jemals auf dich zurückgefallen ist? Wirst du darauf angesprochen?

Im Grunde nicht. Es gibt einen Song auf „Head“ namens „SDBJ“, das steht für „sick, drunk blowjob“, und darin geht es um ein bestimmtes Mädchen aus Chicago. Als die Platte veröffentlicht wurde, hatte ich richtig Schiss, dass sie irgendwie rauskriegen könnte, dass es um sie geht. Ich fühlte mich wirklich schlecht und befürchtete, dass es ihre Gefühle verletzen könnte. Ich hoffe, dass sie es nie erfahren oder herausgefunden hat.

Das ist das Paradoxe an dir: Du wirkst immer wie ein wirklich netter Kerl, deine Texte und deine Performance sind aber so ungefähr das Gegenteil davon. Du musst schon viel Selbstvertrauen haben, um dich das zu trauen.

Hahaha. Nun, keine Ahnung. Meine Freundin sagt, dass ich nicht derart reflektiert bin. Ich persönlich würde mir selbst niemals trauen.

Du trittst also auf und bist mitten im Publikum – was bedeutet das für dich emotional? Bekommst du in solchen Momenten nie Angst vor der eigenen Courage?

Nein. Ich liebe es, wie sich das anfühlt – das ist der Grund, warum ich das tue. Ich meine, das bin definitiv immer noch ich, wenn wir spielen, doch so wie diese Jungs, Mack, David und Duane, Gas gaben, das war für mich wie Treibstoff für ein Auto. Und es brachte mich einfach dazu, alles zu geben.

Und wie ist es jetzt, mit FLIPPER zu spielen? Ich meine, du bist derselbe Typ, aber die Bands sind sehr unterschiedlich.

Es ist ganz anders. Ich habe diese Songs ja nicht geschrieben. Manchmal lasse ich auch bestimmte Zeilen weg, weil sie mir zu blöd sind. Damit will ich nichts gegen Will oder Bruce sagen oder wer auch immer sie geschrieben hat, aber in einem Song zum Beispiel heißt es: „Why is there religion? It’s just not fair.“ Ich schätze, wenn du 17 bist und ein Lied schreibst, ist das okay, aber ich werde so was nicht singen.

Und was machst du dann?

Ich ändere es oder streiche es einfach. In gewisser Weise war ich besorgt, ich wollte nicht auftreten, als wäre ich in einer FLIPPER-Coverband. Es war mir wichtig, so zu tun, als wäre ich schon die ganze Zeit in der Band gewesen. Also tat ich einfach so, als ob ich diese Songs geschrieben hätte. Ich wollte sie irgendwie so umsetzen, wie ich es will. Ich will Bruce nicht imitieren. Aber bis zu einem gewissen Grad muss es strukturell gleich sein. „Sacrifice“ und „Love canal“ setze ich so um, wie sie ursprünglich gedacht waren. Aber ich versuche, es mir zu eigen zu machen. Es gibt einige Songs wie etwa „Shine“, wo ich definitiv mit der Struktur breche, aber das ist für mich in Ordnung, denn FLIPPER sind so eine lockere Angelegenheit. Du kannst dir die Studioaufnahmen und die Live-Aufnahmen anhören, und bei der Studioaufnahme setzt der Gesang nach acht Takten ein und bei der Live-Show dauert es fünf Minuten. Ich habe wirklich das Gefühl, dass es bei ihnen eine große Offenheit gibt, und sie haben sicherlich nie versucht, mir vorzuschreiben, wann ich mit dem Gesang einsetze oder aufhöre. Ted hat so was gesagt wie: „Solange du singst, spielen wir weiter.“ Haha. Also ich habe nicht so viel von mir selbst da eingebracht wie etwa bei SCRATCH ACID oder JESUS LIZARD, weil das Ganze nicht von mir stammt. Obwohl es gerade bei FLIPPER schon eine große Ehre ist, mit diesen Jungs singen zu dürfen, weil sie mir schon immer sehr wichtig waren. Es ist schön, in meinem Alter FLIPPER-Shows zu spielen, denn ich muss nicht so viel in die Sache investieren, weder emotional noch physisch, so wie ich es bei JESUS LIZARD getan habe. Bei JESUS LIZARD ist es körperlich anstrengend, das anderthalb Stunden lang durchzuziehen, und es besteht eine ziemlich große Chance, dass ich mich dabei verletze. Mit FLIPPER sieht das ganz anders aus. Es ist körperlich nicht so anstrengend und ich verletze mich viel seltener.

Ich habe gelesen, dass du dich auf Tour in Europa mal ziemlich stark verletzt hast, als du von der Bühne gefallen bist ...

Das war in Zürich. Ja, ich sprang ins Publikum und sie gingen einfach irgendwie zur Seite. Ich muss ziemlich heftig mit dem Kopf aufgeschlagen sein. Es hat mich komplett ausgeknockt, aber das Publikum hat mich einfach hochgehoben und wieder auf die Bühne gebracht. Du beziehst dich sicher auf ein Video, in dem zu sehen ist, wie mein Arm irgendwie über den Monitor baumelt, so dass man denkt: Der Kerl ist nicht mehr am Leben. Das war ziemlich seltsam. Es war eigentlich ziemlich komisch, denn als der Krankenwagen ankam und sie mich auf die Trage legten, erlangte ich irgendwie das Bewusstsein wieder und sagte dem Sanitäter andauernd, dass er einen wirklich schönen Schnurrbart hat. Und ich wiederholte immer wieder auf Deutsch: „Nicht ist los, nicht ist los.“ Dann wachte ich morgens in einem Krankenhausbett auf, mit Blut auf meinem ganzen Kissen, und ich hatte keine Ahnung, warum ich dort war. Ich wollte einfach nur eine Zigarette. Alle meine Klamotten lagen auf dem Boden direkt neben dem Bett, und ich griff nach unten, um mir eine Zigarette zu nehmen. Es waren etwa vier oder fünf andere Kerle in diesem Raum, und sie wiederholten immer: „Sie dürfen hier nicht rauchen!“ Aber ich stand auf, ging rüber zum Fenster und zündete mir eine Zigarette an. Und diese alten Männer schlossen sich mir an, wir quetschten uns alle an das Fenster und rauchten eine Zigarette. Als der Tourmanager auftauchte, um mich abzuholen, war das ziemlich lustig.

War dein Vater eine Zeit lang in Deutschland stationiert? Kannst du deshalb etwas Deutsch sprechen?

Nein, aber in der Highschool habe ich ein paar Jahre Deutsch gehabt und ich war oft in Deutschland. Ich mag die Sprache, also habe ich sie ein paar Jahre lang gelernt. Immer wenn ich deutsche Freunde zu Besuch habe, stelle ich wirklich dumme Fragen wie zum Beispiel: Wie sagt man „What’s wrong, turkey dick face?“ und so was.

Was hältst du von Absperrungen zwischen dir und dem Publikum?

Sie können Vorteile haben. Ich wurde einmal ziemlich schwer verletzt, weil es Absperrungen gab, weil ich fallen gelassen wurde und meinen Sturz nicht abfangen konnte. Meistens sind sie kein großes Problem für mich, denn mit ein bisschen Anlauf kann man die meisten dieser Absperrungen einfach überwinden. Aber bei den Scheiß-Festivals sieht das anders aus, wenn die Bühne zweieinhalb Meter hoch ist, man erst auf eine Art Box springen muss, dann einen Streifen Wiese überqueren, um dann da rüberzuklettern ... Aber scheiß auf Festivals. Ich bin kein Fan von Absperrungen.

Die Leute scheinen heute allgemein ängstlicher geworden zu sein, was alle mögliche Gefahren angeht. Beeinträchtigt das deinen Auftritt, wird dir gesagt, dass du nicht mehr ins Publikum springen darfst oder nicht stagediven?

Ja, aber selten. Als wir zum Beispiel mal die Tour von MINISTRY in Sacramento eröffneten, sagte der Veranstalter, ich solle keinen Stagedive machen, ich dürfe nicht über die Absperrungen springen. Und ich fragte ihn direkt: „Okay, darf ich zwischen die Absperrungen springen und dann ins Publikum klettern?“ Er sagte: „Ja, das wird schon gehen.“ Also habe ich das getan. Und dann spielten wir eine Woche später in Seattle und sie hatten die gleiche Regel. Also sprang ich nicht von der Bühne ins Publikum, sondern sprang auf die Barrikaden und kletterte dann hinüber. Und nachdem wir unser Set fertig gespielt hatten, kam dieser Typ und meinte, er sei der Kommandant der Feuerwehr und ich würde nie wieder in dieser Stadt spielen. Er behauptete, dass ich etwas getan hätte, obwohl ich zugesagt hätte, es nicht zu tun. Und damit waren JESUS LIZARD für Seattle gesperrt. Es vergingen einige Jahre bis zu unserer „Reenactment“-Tour, und zu diesem Zeitpunkt war dieser Typ nicht mehr Chef der Feuerwehr mehr und der Stadt Seattle war es egal.

Kannst du die Wahl der Veranstaltungsorte beeinflussen?

Normalerweise machen wir einfach alles, was unser Booker uns sagt. Er ist mit der Art, wie wir spielen und wie ich mich verhalte, sehr zufrieden, also vertrauen wir einfach darauf, dass er die richtigen Entscheidungen trifft.

Ich habe mich mal ein bisschen umgehört, was so an verrückten Geschichten über dich kursieren. Und Luke Meat von der Band STORC aus Vancouver erzählte mir von einer Show in Calgary, wo JESUS LIZARD mit einer Band namens SIX FINGER SATELLITE gespielt haben. Während eures Sets sollst du zu ihnen rübergegangen sein und angefangen haben, einem der Bandmitglieder einen runterzuholen?

Daran erinnere ich mich nicht. Es existieren viele Gerüchte rund um meine Person. Es wird auch erzählt, dass ich mir Heroin gespritzt hätte, aber ich habe mir noch nie in meinem Leben eine Droge intravenös verabreicht. Ich will nicht behaupten, dass das mit SIX FINGER SATELLITE nicht passiert ist, aber ich habe keine Erinnerung daran. Ich wüsste nicht, dass ich es jemals jemand anderem besorgt habe, also wenn ich es getan habe, hatte der Kerl wirklich Glück, haha!

Wo sind also deine Grenzen, wenn du auftrittst – oder willst du sämtliche Grenzen überwinden?

Nun, wie ich schon sagte, ich will nicht, dass jemand verletzt wird. Aber darüber hinaus, besonders bei JESUS LIZARD, habe ich mir keine Gedanken über Grenzen gemacht. Ich habe schon die seltsamsten Sachen gemacht, etwa den einen Typen schlagen und den daneben küssen, einer Frau mit dem Mikrofon auf den Kopf schlagen, dann die nächste umarmen – was auch immer geht. Wenn die Leute über die Show reden, die sie gestern Abend erlebt haben sind, will ich, dass sie einen großen Eindruck auf sie gemacht hat, dass es etwas ist, was sie nie vergessen werden, was auch immer das bedeutet. Gestern Abend in Portland könnte die beste Show gewesen sein, die wir bisher mit FLIPPER gespielt haben, denn es gab reihenweise Probleme, Chaos und cooles Zeug. Und an einem Punkt, als sie ein paar technische Schwierigkeiten hatten, schlich ich mich irgendwie auf die Seite der Bühne, ging ins Publikum und lief einfach durch die Menge und schubste die Leute hin und her. Ich denke, die Zuschauer haben sich wunderbar amüsiert. Ich habe echt jede Menge Scheiß im Publikum gebaut. Es hat wirklich Spaß gemacht.

Geht das auch mal nach hinten los?

Von den zweitausend Shows, die ich gespielt habe, würde ich sagen, vielleicht vier Mal. Nicht bei unseren Shows, aber als JESUS LIZARD Vorband für MINISTRY in Houston Texas waren, schrie ein Typ direkt in der ersten Reihe: „Fuck you, fuck you, fuck you.“ Und ich meinte: „Nein, fick dich.“ Also sprang ich runter, da gab es ein großes Absperrgitter, und ich schlug ihm mit dem Mikrofon auf den Kopf und kletterte wieder auf die Bühne. Und ein anderes Mal in England, in Nottingham, da hatte ich meine Stiefel ausgezogen und einfach einen verkehrt herum auf den Mikrofonständer gehängt. Und plötzlich sprang dieser Skinhead-Typ auf die Bühne, packte meinen Stiefel und schleuderte ihn einfach ins Publikum. Ich hatte kein zusätzliches Paar Schuhe dabei, also schlug ich ihn nieder, er lag auf dem Boden, und ich prügelte auf ihn ein. Als ich aufblickte, sah ich, wie sein Kumpel begann, über die Absperrung zu klettern. Ich dachte nur: „Oh fuck.“ Doch kurz bevor er mich erreichte, kam unser Roadie von der Seite und schmiss den Kerl einfach raus. Ich habe mir die Hand gebrochen am Kopf von dem Typen. Und ich bekam meinen Stiefel zurück.

Wenn man dich im Studio beobachten würde, bist du dann körperlich genauso engagiert, wie du es live bist?

Schon. Ich meine, ich gehe nicht so ab wie bei einer Live-Performance, aber mir fallen oft meine Kopfhörer runter, weil ich permanent wie ein Wilder herumhüpfe. Ich weiß nicht, ob es ein Video von uns im Studio gibt – das hätten wir mal machen sollen.

Bist du jemals mit GG Allin warm geworden?

Nein. Ich konnte GG Allin nicht ertragen. Ich habe absolut keinen Respekt vor GG Allin. Ich bin froh, dass er tot ist! Fick den Kerl. Ich meine, wenn du auf der Bühne am Ende blutüberströmt bist, ist das toll, aber wenn du das mit Absicht machst, ist das einfach dumm. Ich habe keinen Respekt davor.

In einer MINISTRY-Doku sagst du, du hättest Al Jourgensen von MINISTRY an einem Busbahnhof auf dem Drogenstrich getroffen.

Das ist auch nicht wahr. Als ich gefragt wurde, wie ich Al kennen gelernt hätte, dachte ich, es wäre lustig zu sagen, wir hätten an der Greyhound-Station herumgelungert, um die ankommenden Leute anzumachen: „Blowjobs, fünf Dollar!“ Wie gesagt, ich habe noch nie einen Schwanz gelutscht. Aber für fünf Dollar tue ich es bestimmt!

Du bist also die Quelle für einige der Fehlinformationen da draußen.

Wahrscheinlich, ja. Auf unserem Live-Album erzähle ich etwa, dass meine Eltern anwesend wären, oder David Byrne oder Debbie Harry – aber sie waren gar nicht da. Oder ich kündigte ein Lied an und sagte: „Das ist ein Song von SOUNDGARDEN.“ Ich hasste SOUNDGARDEN und fand es einfach lustig. Und später sagten Leute zu mir: „Das klang ja gar nicht nach SOUNDGARDEN!“ „Nun, es war nicht von SOUNDGARDEN, ich hasse SOUNDGARDEN.“ Aber es wurde nicht gut aufgenommen, außer mir fand das niemand lustig.

Ich habe noch eine andere Story. JESUS LIZARD spielten in den 90er Jahren im Starfish Room in Vancouver und später wurde behauptet, dass du in hohem Bogen ins Publikum gepinkelt hättest.

Auf keinen Fall, das ist nie passiert, das ist kompletter Schwachsinn. Das Einzige, was in dieser Hinsicht je passiert ist, war im alten 9:30 Club in D.C. Ich musste sonst nie pinkeln, während wir spielten, aber gegen Ende des Sets musste ich wirklich mal dringend. Und da hockte dieser Kerl auf der Seite der Bühne. Ich ging zu ihm rüber, legte meinen Arm um ihn, flüsterte ihm „Pass auf“ ins Ohr und ließ es einfach laufen. Und dieser riesige feuchte Fleck in meiner Hose wurde größer und größer ... Aber das war das einzige Mal, dass so etwas passiert ist.

Ich habe gerade Macon Blairs Film „I Don’t Feel at Home in this World Anymore“ gesehen, in dem du mitspielst. Und es gibt eine Szene, in der der Typ, den du spielst, die Frau, hinter der er her ist, fragt, ob sie jemals Katzenfleisch gegessen hätte. Es hat mich gewundert, so was aus dem Mund eines ausgewiesenen Katzenliebhabers zu hören. Von dir gibt es ja das illustrierte Kunstbuch„Copycat“, das sich mit Katzenwortspielen beschäftigt. Wurde das für extra dich geschrieben oder war das improvisiert?

Das wurde für mich geschrieben. Macon, der diesen Film gemacht hat, hat diese Rolle mit Blick auf mich geschrieben. Und er weiß, was für ein Katzenfan ich bin. Es hat mich in keiner Weise gestört, ich war nicht gekränkt, weil ich Katzen so sehr liebe. Im Gegenteil, es hat Spaß gemacht, mich in diese Figur einzufühlen. Und Macon tat einige wirklich interessante Dinge, um mir dabei zu helfen. Etwa einen Monat vor Drehbeginn schickte er mir eine Liste mit Songs, von denen er dachte, dass meine Figur Marshall sie hören würde. Und das war echt eine große Hilfe. Es war hauptsächlich ganz obskures Blues- und Rockabilly-Zeug – von den 25 Songs kannte ich vorher höchstens ein oder zwei. Es hat mich echt beeindruckt, was für eine extrem vielfältige Musikbibliothek Macon hat. Der Typ ist sowieso fantastisch, ein erstaunlicher Mensch.

Hast du jemals probiert, deine Katzen in deine Musik einzubeziehen?

Ich habe ja ein Soloalbum namens „Tonight You Look Like A Spider“ aufgenommen, und zu der Zeit hatte ich einen Kater namens Rizz Rizz Rizz. Und er ist auf der Platte zu hören. Es klingt eher nach einem weinenden Baby, aber es ist mein Kater.

Ist Macon jemand, den du aus Austin kennst? War er ein JESUS LIZARD-Fan?

Er war ein JESUS LIZARD-Fan, aber ich traf ihn erst, als ich in Portland am Set war. Wir haben vorher mehrmals telefoniert. Jetzt sind wir sehr enge Freunde.

Es ist eine tolle Rolle. Ich habe nur ein paar deiner Filme gesehen, aber dieser ist vielleicht mein Lieblingsfilm mit dir. Und dann ist da noch „Southbound“, ein Horrorfilm, der aus vier Episoden besteht und mir mit jedem Mal besser gefällt. Ich hatte gehofft, dass du uns ein bisschen erklären könntest, was mit deiner Figur Danny in eurer Episode „Jailbreak“ los ist. Es ist ziemlich rätselhaft.

Ja, es ist wirklich verwirrend, auch für mich! Ich schätze, alle Personen in diesem Film und auch meine Figur befinden sich in einer Art Vorhölle. Dort sucht er nach seiner Schwester. Als er sie findet, ist sie immer noch so jung wie früher, während er 13 Jahre älter geworden ist. Ich verstehe auch nicht genau, was in dieser Episode vor sich geht, aber ich kann sagen, als wir es drehten, wie er seine Schwester zum ersten Mal wiedersieht, hat es mir die Kehle zugeschnürt, weil es leicht fiel, mich da hineinzuversetzen, dass er sie 13 Jahre lang nicht gesehen und all die Jahre nach ihr gesucht hat.

„Southbound“ erinnert mich ein wenig an die Texte von JESUS LIZARD. Es hat eine Form von Realismus, aber es gibt auch eine Menge Rätsel. Ich verstehe echt viele deiner Texte nicht wirklich, etwa „Lady shoes“. Da spielt ein Mädchen Klavier, dann gibt ihre Mutter ihr einen Einlauf und dann kommt ihr Vater rein und holt sich einen runter ... Es sind alles sehr konkrete und spezifische Bilder, aber worum es wirklich geht, weiß ich nicht. Ich nehme an, du kennst die Geschichten hinter all deinen Songs und du weißt, was sie bedeuten.

Nicht unbedingt! Vieles davon stammt aus Träumen oder beruht auf Zeitungsartikeln oder ganz unterschiedlichen Ideen, die alle zusammengerührt wurden. Es gibt eine Handvoll Songs, bei denen selbst ich nicht weiß, worum es geht.

Welche Songs haben ihren Ursprung denn in Träumen?

Es gibt einen Song namens „Cold water“. Zuvor hatte ich einen Alptraum, in dem ich aus irgendeinem Grund im Rollstuhl saß. Ich weiß nicht mehr warum. Und jemand schob mich die Kellertreppe hinunter. Und dann wurde der Keller überflutet und es gab nichts, was ich tun konnte. Ich konnte nicht von dem Stuhl aufstehen, ich konnte nicht zur Treppe gelangen. Ich glaube, ich bin aufgewacht, bevor das Wasser meinen Mund erreichte, aber es war ein guter Alptraum. Darum ging es in diesem Lied.

Hattest du jemals wiederkehrende Träume?

Nicht seit der Kindheit. Da gab es einen, wo ich in einem Raum war und ich konnte tagelang laufen und nie eine Wand finden. Es gab aber einen Boden und eine Decke Und ich konnte nichts sehen – es war nur Licht um mich herum und die Decke über mir. Und ich konnte einfach ewig gehen und keine Tür, keine Wand, keine Unterstützung oder sonst etwas finden. Es war wirklich beängstigend. Früher hatte ich Träume, in denen ich einen Atompilz am Horizont sah und ausflippte, weil ich mich nicht von meinen Eltern verabschieden konnte.

Um noch mal auf die Filme zurückzukommen: Was hast du noch gemacht, was deine Fans sehen müssen und worauf du wirklich stolz bist?

Dieser Typ namens William Hellfire – das ist nicht sein richtiger Name – macht extreme Low-Budget-Horrorfilme, die sehr stark von Schock- und Exploitation-Filmen der späten Sechziger und Siebziger Jahre beeinflusst sind. Er hat einen Film namens „Upsidedown Cross“ gedreht. Ich glaube, wir haben ihn in zwei Tagen, vielleicht drei, mit einem Budget von etwa 1.200 Dollar gedreht. Er hat zwei Filme gemacht, die er an nur einem Tag abgedreht hat: richtige Spielfilme. Und so ist auch die Ästhetik – er interessiert sich nicht für guten Klang und ihm ist die Beleuchtung nicht so wichtig oder was auch immer. Und so ist „Upsidedown Cross“ ein bemerkenswerter Film. Ich spiele einen Betrüger, der sich als Prediger ausgibt, und der dieses Mädchen, das eine Prostituierte und Drogenabhängige ist, exorziert. Ihre Mutter heuert diesen Kerl an, um sie zu exorzieren, aber er ist ein Betrüger. Und es gibt eine Szene, wo sie ans Bett gefesselt ist und ich auf ihrem Rücken sitze und sie mit einem Gürtel auspeitsche. Sie hatte eine Yogamatte auf dem Rücken, und wir haben es vorher getestet, um zu sehen, wie hart ich zuschlagen kann, ohne sie zu verletzen. Ich konnte sie richtig heftig schlagen. Und sie ist so süß, und sie ist wunderschön. Ich will aber niemandem wehtun. Aber nachdem wir diese Szene gedreht hatten, in nur einem Take, ging ich nach draußen und musste weinen, weil ich mich so schrecklich fühlte, dass ich dieses Mädchen so dermaßen verprügelt hatte. Es war eine sehr, sehr seltsame Erfahrung. Ich hatte so etwas noch nie zuvor erlebt. Aus der Sicht eines Schauspielers war es wirklich cool, weil ich dieses Nummer glaubhaft abziehen konnte, aber aus menschlicher Sicht war es schrecklich, es war einfach schlimm. Das war sehr interessant.

Hast du jemals Theater gespielt? Ich könnte mir das bei dir sehr gut vorstellen, wie du die Wand zwischen der Bühne und dem Publikum durchbrichst – im Stil des Theatre of Cruelty oder Artaud oder so was in der Art.

Ich habe auf der Highschool Theater gespielt, und seitdem habe ich noch bei einem Stück mitgemacht, vor etwa vier Jahren. Blair Larsen, eine Freundin von mir aus Los Angeles, hatte ein Theaterstück mit einem einzigen 25-minütigen Akt namens „The Below“ geschrieben. Es hat wirklich Spaß gemacht und wir haben ich weiß nicht wie viele Aufführungen hier in L.A. gehabt. Dann sind wir nach New York gegangen und haben zwei Abende gespielt. Es geht um einen homosexuellen einsamen Kerl, genau in meinem Alter, der mit seiner zänkischen Schwester in einem Haus lebt.

Das Video zu „Opening suite“, einem Song von „Tonight You Look Like A Spider“, hast du mit fünf verschiedenen Filmemachern gedreht, darunter David Lynchs Tochter Jennifer. Ich kenne ihre Filme, aber die anderen Leute, die beteiligt sind, sagen mir nichts.

Der erste Teil, bei dem ich den Dirigenten, alle Leute auf der Bühne und alle im Publikum darstelle, ist von einem Kerl namens Jared Varava. Er ist ein Filmemacher, mit dem ich ein Video für die Band VANDEVEER gemacht habe. Ich weiß aber nicht, ob er jemals einen Spielfilm gedreht hat. Und der nächste Teil, mit den beiden Clowns, ist von Tim Rutili. Er war bei RED RED MEAT und CALIFONE. Dann kommt der Teil, bei dem der Schnee auf das Mädchen fällt. Das war mein Kumpel Adam Harding, ein Australier, der eine Band namens DUMB NUMBERS hat. Ich habe ein Video für ihn gedreht und er hat dieses Video für mich gedreht. Dann ist da noch Jennifers Teil. Der letzte Teil war von dem Bruder meiner Freundin, Todd Adam Philips. Also ist Jennifer Chambers Lynch der einzige berühmte Name. Die Idee für das Ganze kam aber von meiner Freundin. Die Plattenfirma wollte ein Video machen und ich wusste einfach nicht, was zum Teufel ich tun sollte. Ellen schlug vor, weil „Opening suite“ in fünf verschiedene Stücke unterteilt ist, fünf Regisseure zu nehmen und keinen von ihnen wissen zu lassen, was davor oder danach kommt. Es ist zwar absoluter Zufall, aber sie funktionieren gut zusammen; ich liebe sie alle.

Also hast du die Szenarien dafür geschrieben?

Nichts davon. Ich habe ihnen gesagt, dass ich ihnen nicht verrate, wer die anderen Teile macht und was darin vorkommt. Sie können mich darin vorkommen lassen, wenn sie wollen, aber wenn nicht ... Ich wollte nicht wirklich dabei sein, aber sowohl Jennifer als auch Jared hatten die Vorstellung, mich dabei haben zu wollen.

Lynchs Teil erinnert mich ein wenig an „Eraserhead“. Ich meine, ich habe ihre Filme gesehen, und ich weiß, dass sie ihren eigenen Stil hat, aber ...

Es scheint ein wenig von ihrem Dad inspiriert zu sein, ja.

Lass uns über Chicago reden. Hast du Steve Albini durch David William Sims, der mit Albini bei RAPEMAN gespielt hat, kennen gelernt?

Nein, ich traf ihn, als SCRATCH ACID in Detroit spielten. Steve war zu Besuch bei Cory und Lisa von Touch and Go. Und so passierte es, dass Steve und ich beste Freunde wurden. Ich denke, er wird dir immer noch sagen, dass ich der beste Freund bin, den er je hatte. Und es ist lustig, wo ich hier die Billardtische sehe, habe ich gerade darüber nachgedacht, was für ein Genie Steve ist. Ein totales Genie. Und wenn es etwas gibt, woran er interessiert ist, kann er das bald besser als jeder andere. Hast du die Show über seinen Pokergewinn in Vegas gesehen? Er hat sich wirklich mit Poker beschäftigt und hat ein Turnier gewonnen. Er ist ein hervorragender Koch und er ist ein total knallharter Typ am Pooltisch. Sein Spiel ist Dreiband-Billard, der große Tisch ohne Taschen und mit drei Bällen. Wenn du das drauf hast, ist Pool nur noch ein Kinderspiel. Wir gingen früher immer ins Chicago Billiard Café und spielten acht Stunden am Stück. Ich habe noch nie ein Spiel gegen Steve gewonnen. Aber ich wurde ziemlich gut, weil ich alle anderen schlagen konnte.

Irgendwelche Favoriten aus seinem Repertoire?

Das Beste, was er je gemacht hat, war die RAPEMAN-LP „Two Nuns And A Pack Mule“. Es ist eine der besten Schlagzeugplatten, die je aufgenommen wurden. Das Schlagzeug auf dieser Platte ist völlig verrückt. Der Drummer ist Rey Washam, der auch bei SCRATCH ACID Schlagzeug spielte – RAPEMAN war die SCRATCH ACID-Rhythmussektion plus Steve.

Du hast eben Corey Rusk von Touch and Go erwähnt. Es ist schön, dass ihr euren Backkatalog Corey überlassen habt, während andere Bands geklagt haben, um die Kontrolle darüber zu erlangen.

Ja, ich weiß nicht mal, was ich davon halten soll, aber wir lieben Corey. James Brown ist nicht der am härtesten arbeitende Mann im Showbusiness, Corey Rusk ist es.

Ich kenne die Capitol-Alben von THE JESUS LIZARD nicht sehr gut, oder auch die letzten Sachen von Touch and Go. Ich weiß, dass der andere David das Album „Down“ nicht besonders mag.

Ich auch nicht. Es klingt kacke. Es klingt für mich, als läge ein Kissen über deinen Lautsprechern.

Was hältst du von „Blue“?

Ich mag „Blue“. Es ist eine tolle Kopfhörer-Platte, sie ist wirklich, wirklich strukturiert. Die Hälfte davon ist echt gut, die andere Hälfte ist ... na ja. „Tale of two women“ ist hervorragend. Und das ist einer der Songs, den Andy Gill produziert hat. Es war echt cool, Andy kennen zu lernen.

Wie habt ihr euch kennen gelernt?

Nachdem wir bei Capitol unterschrieben hatten, fingen wir an, mit der Idee zu spielen, anstelle von Steve verschiedene Produzenten zu nehmen, weil Steve nicht mehr mit uns zusammenarbeiten wollte. Und wir haben eine Aufnahme mit John Cale gemacht und er war ein verdammter Arsch; er wollte immer nur ganz kurz aufnehmen. Er war wie ein Bankangestellter. Wenn du mit einer Band ins Studio gehst, bist du für zehn, zwölf, dreizehn Stunden da drin. Es sind lange Tage. Nicht bei John Cale, nein, Sir! Nine-to-five, und dafür hat er uns ohne Ende Honorar berechnet. Er war einfach nur ein Arsch. Wir haben zwei Songs mit ihm aufgenommen und einer davon ist auf der selbstbetitelten EP von 1997 auf Jetset. Es wurde zuerst auch über Steve Lillywhite gesprochen. Doch dann kamen wir auf Andy Gill und er war sofort dabei. Wir verstanden uns einfach. Wir hatten einen Riesenspaß.

Mike Watt spielt aktuell hier und da bei FLIPPER. Habt ihr sonst schon mal zusammen gearbeitet?

Ich habe noch nicht mit ihm gespielt. Ich kenne ihn schon lange. Ich traf ihn, glaube ich, als wir mit JESUS LIZARD auf der „Big Day Out“-Tour in Australien waren, und Watt war bei PORNO FOR PYROS, wir haben uns also auf dieser Tour kennen gelernt. Er ist ein guter Kerl. Und er ist eine Anomalie. Er ist nicht wie die anderen. Das letzte Mal, als JESUS LIZARD in Los Angeles spielten, war das im Henry Fonda Theatre. Und Watt war hinter der Bühne. Wir hatten eine Flasche Maker’s Mark und er hatte ein Bierglas. Er füllte das Bierglas mit Whisky und trank es wie Wasser. Er trank den Rest der Nacht nichts mehr, aber war auch nicht im Arsch. Wenn ich das versuchen würde, würde ich im Strahl kotzen.

Neben der FLIPPER-Tour liegt dein Hauptaugenmerk im Moment aber auf der Schauspielerei, oder?

Nun, mein Hauptaugenmerk liegt auf meiner regulären Arbeit, der Bildbearbeitung und Fotoretusche, aber ich wünschte, ich könnte die Hypothek mit der Schauspielerei abbezahlen, denn das ist es, was ich gerne tun würde. Auf Netflix kommt bald ein Film mit dem Titel „Rattlesnake“. Erst letzten Montag habe ich für die Serie „It’s Always Sunny in Philadelphia“ vorgesprochen. Danny DeVito spielt da mit und es ist schon die 13. Staffel. Ich hatte davon gehört, aber ich habe sie nie gesehen. Aber die Szenen bei meinem Vorsprechen waren so respektlos und lustig, also dachte ich, es brächte gutes Karma für das Vorsprechen, mir ein paar Folgen reinzuziehen. Ich habe mir vier oder fünf Episoden angeschaut und es ist echt die großartigste, punkigste Serie, die ich je gesehen habe. Einfach urkomisch. In jeder Episode gibt es Blut und Erbrochenes. Es ist so überhaupt nicht politisch korrekt, ich liebe es. Danny DeVito ist ein schräges, abstoßendes Arschloch – ich empfehle jedem dringend, sich „It’s Always Sunny in Philadelphia“ anzusehen.