EGYPTIAN BLUE

Foto© by Steve Gullick

Leben für eine Stunde

Ende Oktober erscheint „A Living Commodity“, das Debütalbum der in der Kleinstadt Colchester in Essex im Osten von England gegründeten EGYPTIAN BLUE. Inzwischen ist die Band in den Kreativ-Hotspot Brighton an der Südküste übergesiedelt und das Album hätte längst schon erscheinen sollen, aber ... die Pandemie. Mit den 12“-EPs „Collateral Damage“ (2019) und „Body Of Itch“ (2020) – beide wie nun das Album auf YALA! Records veröffentlicht – hatten sie in UK schnell für Furore gesorgt. Ihr Sound – mit der Beschreibung Post-Punk sind sie nicht glücklich – passte in die Zeit, als auch die Karriere von THE MURDER CAPITAL, IDLES und FONTAINES D.C. an Schwung gewann. Sänger und Gitarrist Andy Buss und Co-Frontmann Leith Ambrose beantworteten meine Fragen via Zoom, wobei Leith erst später dazustieß.

Brighton scheint zu einer Art Hotspot für Bands geworden zu sein, man liest den Namen überproportional oft. Was ist so gut an Brighton, wie bist du dort gelandet?

Andy: Es war schon immer eine kreative Stadt. Es gibt im UK Brighton, London und Bristol ... das sind solche kreativen Städte, und die Leute ziehen hierher, um kreativ zu sein, um eine Community zu haben. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass wir ein Teil dieser Community sind, aber es gibt jede Menge toller Bands aus Brighton, die ständig hier irgendwo spielen. Und die Kreativität hast du nicht nur im musikalischen Bereich, sondern auch auf dem Gebiet der visuellen Künste. Es ist eine wirklich tolle Stadt. Außerdem kommt meine Familie ursprünglich von hier, und das Fußballteam unterstütze ich schon mein ganzes Leben lang. Da, wo ich vorher gelebt habe, fehlte es an Kultur und Möglichkeiten für Künstler. Wir sind also wegen der Uni und der Musikszene hierher gezogen.

Würdest du also sagen, dass die Umgebung, die Stadt eine Rolle dabei spielt, wie kreativ man als Band, als Künstler sein kann?
Andy: Vor vier Jahren, als viele der Bands, die es jetzt in Brighton gibt, gerade angefangen haben, war das sicher so. Wir schauten uns alle an, was die anderen erreichten, und strebten danach, das Gleiche zu tun, wenn nicht sogar besser. Aber jetzt konzentrieren wir uns auf uns selbst. Ich schaue nicht mehr auf das, was die anderen machen, bin nicht mehr neidisch. Wir konzentrieren uns nur auf uns selbst und darauf, was wir erreichen.

Braucht es also ein erlerntes Selbstvertrauen, um sich nicht immer umzuschauen, was die anderen machen?
Andy: Ja, man wird reifer. Ich will nicht sagen, dass ich jetzt total gereift bin, aber ich bin auf jeden Fall in diesem Sinne reifer geworden. EGYPTIAN BLUE ist mein einziger Fokus und alles, worauf ich mich konzentriere.

Wie alt bist du, wenn ich fragen darf?
Andy: Ich bin 26. Ich wollte immer, dass Musikmachen mein Beruf wird. Ich habe mit acht Jahren angefangen, Gitarre zu spielen und Songs zu schreiben. Und dass das jetzt allmählich klappt, ist unglaublich.

Kurz vor der Pandemie schien eure Karriere gerade loszugehen, ihr hattet zwei 12“s auf YALA! Records raus. Und dann ... Leere?
Andy: Ja, es war wirklich schwierig, weil wir kurz davor waren, einen Plattenvertrag zu unterschreiben und unser erstes Album aufzunehmen. Wir hatten eine sehr gute Vorstellung davon, wie die Platte werden sollte. Wir wollten gerade auf ein paar Festivals in Spanien spielen und eine BBC 6-Session machen – und dann wurde einfach die Reißleine gezogen. Im Nachhinein haben wir das als eine Art Chance gesehen, denn obwohl ein Teil des Albums immer noch derselbe ist, haben wir neue Songs geschrieben, und wenn wir zurückblicken, ist da jetzt eine gewisse Reife und eine klare Entwicklung in unserem Sound, die wir nicht gehabt hätten, wenn wir das Album vor der Pandemie veröffentlicht hätten. Deshalb hatte die Sache für uns etwas Positives.

Und wie habt ihr diese Jahre ganz grundsätzlich überlebt?
Andy: Ich konzentriere mich nur auf die Musik, ich unterrichte auch Gitarre. Das ist alles, was ich tun will. Die anderen Jungs arbeiten alle noch in irgendwelchen Jobs. Ich weiß nicht genau, was sie tun, aber sie machen irgendwas. Doch die Band ist für uns alle das Wichtigste.

Wie kommt man auf die Idee, in der Musik und mit einer Band seine Zukunft zu sehen?
Andy: Ich denke, es geht nur um Leidenschaft und Hingabe. Wenn du dich einer Sache widmest und hartnäckig bist, kannst du es schaffen. Ich glaube nicht, dass wir aktuell auch nur annähernd da sind, wo ich gerne sein würde. Wenn es etwas gibt, das du gerne tust, musst du dafür Opfer bringen. Kein regelmäßiges Einkommen, nicht viel Geld. Aber das ist es wert, denn wenn du tust, was du liebst, dann hast du inneres Glück.

Im Kontext eurer Band taucht immer wieder der Begriff Post-Punk auf. Was ist deine Verbindung zu diesem Begriff und was bedeutet er für dich?
Andy: Nun, das liegt zum Teil an der Presse. Irgendwie wird doch jede Band in diese Schublade gesteckt. Ja, ich kann die Ähnlichkeiten sehen. Aber ganz ehrlich, das ist einfach die Musik, die wir machen wollen. Und bei der Musik, die wir jetzt machen, fällt mir keine einzige Post-Punk-Band ein, die so ähnlich ist. Mir fällt keine Post-Punk-Band ein, bei der ich denke: Das ist ein großer Einfluss auf uns. Ich denke, Post-Punk ist heute eine Art Neuerfindung des Worts Alternative, denn man hört die Begriffe Indie oder Alternative nicht mehr oft, anders als noch in den Nuller Jahren. Ich kann bei vielen Bands verstehen, warum man sie in diese Schublade steckt, aber viele andere gehören nicht wirklich in diese Kategorie, auch wenn sie cool sind. Ich sehe im Zweifelsfall einfach nur Leute, die Gitarre spielen. Und das soll jetzt auch nicht heißen, dass wir keinen Post-Punk mögen.
Leith: In Großbritannien wirst du, wenn du in einer Gitarrenband bist, oft sofort in diese Kategorie eingeordnet. Es ist eben ein angesagter Begriff. Ich glaube nicht, dass es aktuell zwei „Post-Punk“-Bands gibt, die wirklich ähnlich klingen, aber vielleicht liege ich ja falsch.
Andy: Ein gutes Beispiel dafür sind BLACK MIDI. Man sieht sie als Post-Punk-Band an, aber in Wirklichkeit sind sie viel komplizierter als das, die spielen doch eher Free-Jazz.
Leith: Genau. Und vergleichst du die mit FONTAINES D.C., dann ist das doch das komplette musikalische Gegenteil, oder? Sie sind, ich meine, es ist erstaunlich, was sie machen, aber sie sind das andere Ende.

Hat jemand von euch mal auf dem Gebiet der Restaurierung von alten Kunstgegenständen gearbeitet?
Leith: Nein. Ich schätze, das ist eine Anspielung auf unseren Bandnamen, oder? Da kommt wahrscheinlich am ehesten Luke in Frage, unser Bassist, der hatte mal eine Phase, wo er Möbel repariert hat. Aber Andy, hast du irgendwelche geheimen Hobbys, von denen wir nichts wissen?
Andy: Nein, ich habe keine große Affinität zu alter Kunst oder Farbpigmenten oder so.
Leith: Allerdings habe ich in letzter Zeit erstaunlich viele Ägypter getroffen.

Zufällig oder weil sie von eurem Bandnamen angezogen wurden?
Leith: Ich denke, ein bisschen von beidem, haha. Es waren Freunde von Freunden. Ehrlich gesagt hat uns aber bislang nie jemand mit diesem Hintergrund angesprochen. Ich glaube auch nicht, dass wir in Ägypten wirklich eine Fangemeinde haben, um ehrlich zu sein. Wir sind dort wohl noch nicht so richtig angekommen. In Interviews werden wir schon mal gefragt, woher der Namen kommt, aber das ist es auch.
Andy: Ich könnte mich irren, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Name eigentlich von diesem Stein namens Lapislazuli kommt. Ich weiß also nicht genau, was er bedeutet, aber es ist ein schöner Stein.

In Deutschland habt ihr erst wenige Konzerte gespielt, wie steht es generell um euer Live-Pensum?
Andy: Ich liebe es, auf Tour zu sein und Leith auch. 150 Shows im Jahr wären fantastisch. Demnächst spielen in einem Monat 27 Shows, und ich bin sicher, dass wir erschöpft sein werden, aber wir lieben es, auf der Bühne zu stehen. Du wirst wie eine gut geölte Maschine, wenn du jeden Abend spielst, und obwohl du so müde bist, bist du glücklich.
Leith: Mein Ehrgeiz ist es, erschöpft zu sein nach einer Show. Dann war es gut.
Andy: Dein ganzer Tag ist nur auf diese eine Stunde ausgerichtet, dafür lebst du. Du verbringst dein Leben damit, dich darauf vorzubereiten. Den Rest des Tages bist du einfach nur fertig und müde. Aber in dieser einen Stunde hast du Adrenalin ausgeschüttet, du fühlst dich lebendig, du bist aufgeregt, du kannst die Reaktionen der Leute sehen und du stellst dich am nächsten Tag wieder da hin. Es ist eine seltsame Sache.
Leith: Die vom Körper selbst erzeugten Drogen sind wahrscheinlich die schlimmsten, von denen man süchtig werden kann, weil man nicht wirklich viel dagegen tun kann. Aber diese Band ist exakt das, was wir beide tun wollten, seit wir uns mit 13 Jahren kennen gelernt haben.