Einsatz auf der Iuventa

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Über die Kriminalisierung von Seenotrettern

Die Iuventa ist ein ehemaliger Fischkutter, der im Jahr 2016 zum ersten Mal im Mittelmeer als Seenotrettungsschiff in See stach. Ein Jahr zuvor gründeten ein paar engagierte Aktivisten die Initiative „Jugend rettet“ und kauften, über eine Crowdfounding-Aktion finanziert, das Schiff. Zwei Jahre war die Iuventa im Einsatz und rettete ca. 14.000 Menschen das Leben, bis sie im August 2017 von den italienischen Behörden auf der Insel Lampedusa festgesetzt und Anklage gegen die Besatzung erhoben wurde. Der Vorwurf lautet bis heute Kooperation mit Schlepperbanden. Ob und wann der Crew in Italien der Prozess gemacht wird, hängt noch in der Luft. Sollte dieser aber eröffnet werden, drohen den einzelnen Mitgliedern bis zu zwanzig Jahre Haft.

Einer der Kapitäne ist Dariush aus Hamburg, der bis dahin als Hafenschiffer zwischen Altona und Finkenwerder unterwegs war und dazu ein sehr engagierter Aktivist der politischen Linken und hiesigen Punk-Szene ist. Ein weiterer Kapitän ist Hendrik aus Bremen, der sich seine Sporen ebenfalls über den Punkrock verdient hatte und sein Geld als Informatiker verdient. Beide verbindet ihr Idealismus und der Wunsch etwas Gutes in dieser Welt zu tun, die immer mehr ihre moralischen und ethischen Werte über Bord zu werfen scheint. Ich habe mich mit den beiden Kapitänen Dariush und Hendrik getroffen und über die Geschichte der Iuventa, ihre persönlichen Erfahrungen und die juristischen Folgen ein sehr emotionales Gespräch führt, was sehr schnell deutlich machte, wie oft und nah die beiden an ihre emotionale Grenzen gestoßen sind, ein Aufhören aber dennoch nicht in Frage kommt. Im ersten Teil des Gesprächs geht es um die Geschichte der Iuventa, im zweiten in Ox 149 dann um die juristischen Folgen.

Bitte stellt zuerst einmal euch und die Iuventa mit ihrer Geschichte vor.

Dariush:
Ich bin Dariush aus Hamburg, Punkrocker, und war bislang fünf mal auf dem Mittelmeer bei der Seenotrettung, davon dreimal auf der Iuventa, einmal auf der Seawatch III und einmal auf der Mare Liberum. Zweimal war ich Kapitän, ansonsten auch Teil des Brücken- bzw. nautischen Teams, also Steuermann.

Hendrik: Ich bin Hendrik aus Bremen und bin das kleine Beiboot gefahren, das ausgesetzt wurde, wenn Boote mit Flüchtenden gekommen sind, um Kontakt aufzunehmen, Rettungswesten zu verteilen und die Menschen zu evakuieren. Ich war insgesamt sechsmal auf dem Mittelmeer – 2016, 2017 und 2018 jeweils zweimal auf drei verschiedenen Schiffen. 2016 auf der Minden, einem alten Seenotrettungskreuzer, 2017 auf der Iuventa und 2018 auf der Seawatch III. Die Iuventa ist ein 33 Meter langes Schiff, ein ehemaliger Fischkutter, der umgebaut wurde, mit Krankenstation, um als Ersthelfer auf dem Mittelmeer zu agieren. Wir waren dort immer mit 14 bis 16 Leuten an Bord, darunter ein Arzt oder eine Ärztin und ein Krankenpfleger oder Krankenpflegerin, die medizinische Notfälle sofort an Bord behandeln konnten, da das Ganze ganz gut ausgestattet war. Das Schiff selber hat aber eigentlich keine Flüchtenden direkt an Bord genommen, um diese nach Italien zu bringen, sondern nur um die Lage zu stabilisieren, also wenn Boote am Sinken waren oder evakuiert werden mussten, dann haben wir die Leute auf die Iuventa geholt, um dort aber abzuwarten, dass uns größere Schiffe die Leute abnahmen, um diese dann nach Italien zu bringen, weil die Iuventa nicht dafür ausgelegt war, so viele Menschen über eine größere Strecke zu transportieren.

Wie kommt man an so ein Boot, um daraus dann ein Seenotrettungsschiff zu machen?

Hendrik:
Es gibt den Verein „Jugend rettet“, den 2015 ein paar AbiturientInnen und Studierende gegründet und Geld gesammelt haben, um dann dieses Schiff für – ich glaube – 300.000 Euro zu kaufen. In einer Werft in Emden wurde es dann von Freiwilligen umgebaut und soweit umgerüstet, dass es für die Seenotrettung tauglich war. Danach ist es dann von der Nordsee aus nach Malta gefahren, von wo aus die jeweiligen Einsätze losgingen.

Dariush: Malta war der Stützpunkt von fast allen NGOs, die im Mittelmeer aktiv waren. Dort wurde die Crew ausgewechselt, die Vorräte aufgefüllt und anfallende Reparaturen vorgenommen. Dort wurden die Liegeplätze gechartert, die ganz normal bezahlt wurden. Somit lag nie ein illegales Verhalten der NGOs vor, das es rechtfertigen könnte, ihnen diese Liegeplätze zu verwehren. Aber das Verhalten der Regierungen in Europa hat sich drastisch geändert und so kam es zu immer Konflikten. Das ist auch kein italienisches oder maltesisches Problem, sondern ein europäisches. Man denke daran, dass die erste große, geplante Seenotrettungsaktion eine italienische war, die sehr vielen Menschen das Leben gerettet hat. Da hat sich praktisch ganz Europa – Deutschland vorne weg – quergestellt und es ihnen verboten, worauf es einen starken Anstieg der Ertrunkenenzahl gab, was zur Gründung zahlreicher NGOs führte, um die Lücke, die von staatlicher Seite hinterlassen wurde, zu füllen. Das war zuerst die maltesische Organisation MOAS, dann die Seawatch III und schlussendlich zehn NGOs, die im Mittelmeer unterwegs waren und zwölf Schiffe betrieben haben. Da war ganz gut was los und zeitweise haben sechs Schiffe an der europäischen Außengrenze darauf geachtet, dass keine Menschen ertrinken – alles privat, so dass man sich fragte, warum es deren Aufgabe ist, sich darum zu kümmern und die Regierungen sich zunehmend herausnahmen. Das Geld dafür könnte Europa problemlos aufbringen. Mal ganz abgesehen von dem moralischen Anspruch. Und da liegt auch der Grund für den Erfolg von Salvinis Politik. Die meisten der über das Mittelmeer Geflüchteten sind nach Italien gebracht worden und damit ließ man Italien alleine.

Hendrik: Da greift dann das Dublin II-Abkommen, nach dem die Menschen ihren Asylantrag dort stellen müssen, wo sie in Europa angekommen sind. Das ist natürlich für Länder wie Deutschland und Frankreich sehr bequem, für Spanien, Griechenland und Italien aber eine Katastrophe.

Stichwort Verteilungsschlüssel. Macht es sich Deutschland zu einfach, den schwarzen Peter Ländern wie Polen, Ungarn oder Tschechien zuzuschieben, da diese eine sinnvolle Einigung verhindern?

Dariush:
Natürlich ist es immer einfacher, die Schuld bei anderen zu suchen. Es kann doch nicht der Anspruch sein, zu sagen, weil andere nichts machen, müssen wir das auch nicht. 2018 wurden von Deutschland 116 Menschen aufgenommen, die aus Seenot gerettet worden sind, in Italien, Griechenland und Spanien sind es zusammen über 100.000. Und vor diesem Hintergrund verhandelt dann Deutschland über einen Verteilungsschlüssel. Das ist absurd. Für Europa sind ja auch einige Tausende Geflüchtete aus dem Mittelmeer verschwindend wenig. Im Moment sind ja von 500 Millionen Europäern gerade mal 0,5 Prozent Geflüchtete. Aber so funktioniert das ja. In Sachsen mit seinen wenigen Muslimen, tun Pegida und Konsorten so, als ob sie irgendwann nicht mehr Weihnachten feiern dürften und Freitags in die Moschee müssten. Das steht alles in überhaupt keiner Relation. Da wird einfach, wie immer bei Rechtspopulisten, Angst geschürt, vor etwas, das kaum präsent ist.

Hendrik: Rational kann man das gar nicht erklären, was da um einzelne Schiffe für ein Theater gemacht wird, welches Land diese nun aufnehmen soll. Da geht es nur um Prinzipien.

Ein weiteres beliebtes Argument von rechts ist ja, man könne die Geretteten doch dorthin zurückbringen, von wo sie kamen – also nach Libyen oder Tunesien.

Hendrik:
Richtig, ein sehr beliebtes Argument. Nur leider ist genau das verboten. Das dürften wir gar nicht machen, da es gegen das Völkerrecht verstößt. Es gibt das Nichtzurückweisungsprinzip, dass beinhaltet, dass Menschen in Länder, aus denen sie geflohen sind, weil ihnen dort Gewalt oder Folter droht und ihnen kein anständiges Asylverfahren möglich ist, dorthin nicht zurück gebracht werden dürfen.

Ihr seid beide auf der Seawatch III gewesen, die ja durch ihre Kapitänin Carola Rackete medial große Berühmtheit erfuhr. Ist diese Aufmerksamkeit nur gut für eine NGO oder birgt es auch Nachteile in sich?

Hendrik:
In erster Linie kann man an diesem Beispiel sehr gut sehen, wie die Medien funktionieren. Da wird sich sehr schnell auf eine Person fokussiert, die dann auch noch eine Frau ist. Trotzdem oder gerade deshalb war Carola sicherlich ein Glücksfall. Vor allem, weil sie die perfekte Gegnerin für Salvini war. Sie ist redegewandt und sachlich, dazu eine junge Frau, die gegenüber diesem faschistischen Populisten gut in Szene gesetzt worden war.

Dariush: Es ist aber auch eine Gretchenfrage. Natürlich wäre es wünschenswert, das ganze Thema wäre in den Medien. Aber es ist immer noch besser, wenn sich die Medien einzelne Personen wie Carola oder Pia herauspicken, als wenn gar nicht mehr berichtet würde. Die ganze Geschichte der Flucht ist ja ein dickes Buch voller Schweinereien. Das fängt bei den Fluchtursachen an, für die zahlreiche europäische Staaten mitverantwortlich sind. Dann steht vor dem Mittelmeer die Flucht durch die Wüste, wo höchstwahrscheinlich mehr Menschen sterben als später auf See. Darüber wird so gut wie gar nicht in Deutschland berichtet. Auch die Zustände in den nordafrikanischen Lagern sind furchtbar. Wenn Carola in Italien drei Tage unter Hausarrest gestellt wird, gibt es einen riesigen medialen Aufschrei. Zurecht. Aber es wird nicht erwähnt, dass von der Besatzung jedes Flüchtlingsbootes zwei Menschen angeklagt werden. In der Regel der Mann am Ruder und der, der den Kompass hält. Das sind in den seltensten Fällen Schmuggler oder dergleichen. Und diese Menschen werden in der Regel immer zu Haftstrafen verurteilt. Allein in Italien sind letztes Jahr über tausend Leute verurteilt worden, die zum Teil immer noch in Haft sitzen, weil sie das Boot gesteuert haben, um sich und die anderen Menschen an Bord zu retten. In Griechenland beschäftigt sich gerade eine NGO damit, die letzten fünfzig dieser Fälle zu analysieren. Die durchschnittliche Gerichtsverhandlung hat 28 Minuten gedauert, die Haftdauer betrug 70 Jahre, von denen sie mindestens 20 absitzen müssen. Dabei sind das einfach nur Menschen, die dort aufgebrochen sind, wo sie nicht mehr leben konnten, um Schutz und Hilfe zu suchen und sitzen jetzt in Europa im Gefängnis.