EUGENE ROBINSON (OXBOW)

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The sound of no hands clapping

Eugene Robinson hat im Laufe der Jahre eine erstaunliche Karriere hingelegt. Er ist Sänger von OXBOW, Geschichtenerzähler, Autor, Schauspieler, Vater – und er hat einen schwarzen Gürtel. Vor Jahren hat Eugene in der Punk-Szene quer durch die USA ein ziemlich imposantes Profil hinterlassen. Neben seinen explosiven, dynamischen Bühnenshows mit Bands wie WHIPPING BOY und anderen war er auch außerhalb des Pits eine Kraft, mit der man rechnen musste.

Als einer der wenigen afroamerikanischen Protagonisten der Szene war er kaum zu übersehen, und wenn du dich in seiner Hörweite aufhieltst, bekamst du von ihm eine Menge über Musik und Bands, Politik, Schreiben, Film, Sport und ... Kämpfen zu hören. Als schwächlicher kleiner Punker war ich froh, ihn an meiner Seite zu haben. Ich* hatte mehr als einmal die Gelegenheit, seine alte Band WHIPPING BOY auf Tour zu begleiten und dabei etliche Hardcore-Größen der frühen Achtziger Jahre zu treffen, wie Bob Mould, Joey Shithead, Springa ... Zu Eugene finden sich zig Interviews und Artikel im Internet und sein Gesicht und seine verschiedenen Bands zierten schon weltweit die Titelseiten. Er redet wirklich gerne. Dieser Tage soll nun seine Autobiografie erscheinen und mit OXBOW war er im September in Europa unterwegs, um das neue Album „Love’s Holiday“ zu präsentieren.

Was war der erste Song, der dich wirklich beeindruckt hat?
„Busted“ von Ray Charles und dann „Hound dog“ von Elvis Presley. Meine Mutter zeigte mir, wie man 7“s auf dem Plattenspieler hört. Sie sagte, dass ich ihn benutzen dürfe, solange ich vorsichtig bin. Sollte ich nicht gut damit umgehen, würde er mir weggenommen. Aber ich liebte ihn und hörte immer und immer wieder die BEATLES-Single „I Want To Hold Your Hand“ und eine von Fats Domino. Aber Ray Charles und seiner Hymne auf das Elend gehört meine unsterbliche Liebe.

Hattest du als kleines Kind Instrumente im Haus? Und warst du in der Schule in einer Band?
Meine Mutter hatte eine Geige, mit der ich auch immer zum Unterricht ging. Mein Vater hatte eine Gitarre. Soweit ich mich erinnere, habe ich ihn nur einmal darauf spielen hören. Du kannst dir vorstellen, wie überrascht ich war, als ich als Erwachsener herausfand, dass er in den Fünfziger Jahren Teil eines Jazz-Trios gewesen war, bestehend aus Geheimdienstoffizieren der Air Force. Ich hatte schon eine Band vor WHIPPING BOY, aber bis zur Highschool habe ich hauptsächlich Theater gespielt. Dann fing ich an zu modeln und für verschiedene Sachen vorzusprechen. Bis 1980 habe ich keine Musik gemacht.

Warst du als Kind in der Kirche?
Manchmal zu Ostern. Als ich dann in einer Kirchenliga – schlecht – Basketball gespielt habe, musste ich in den Gottesdienst gehen. Das habe ich gehasst. Sowohl den Basketball als auch die Kirche. Also habe ich nach drei Jahren damit aufgehört. Am Ende habe ich meinen Kirchenbesuch vorgetäuscht und das Geld für den Klingelbeutel genommen, um damit Flipper zu spielen.

Ich glaube, ich habe deine Mutter einmal in Palo Alto getroffen. Wie sehr hat sie dich bei deinen Bemühungen unterstützt?
Sie stand zu 100% hinter mir. Immer. Dasselbe gilt für meinen Stiefvater. Mein leiblicher Vater war im Grunde auf nichts anderes konzentriert, als seinen Doktortitel zu bekommen, also wer weiß, was er mitbekam.

Jemand hat mir erzählt, dass du gesagt hast, METALLICA hätten eine ihrer Ideen bei euch geklaut. Stimmt das?
Den Song mit Marianne Faithfull, „The memory remains“. Ihr damaliger Manager hatte Marianne auf unserem Album „Serenade In Red“ gehört ... Danach haben sie sie angerufen. Ich habe kein Problem damit. Nick Cave hat das Gleiche getan. Aber als sie in einem Interview gefragt wurden, woher sie die Idee hatten, sagten sie zwar die Wahrheit, es war die Idee ihres Managers, aber nicht, dass es daher kam, dass er die OXBOW-Platte gehört hatte – was er ganz sicher getan hat. Unser Bassist Dan war mit ihrem Manager gut befreundet, also kann es nicht sein, dass er sie nicht schon gehört hatte. Ein freundliches Wort hätte uns sehr geholfen. Aber was soll’s ...

Du wolltest bei BLACK FLAG singen?
BLACK FACE. Chuck Dukowski wollte eine Band gründen, deren Prämisse war: alle BLACK FLAG-Songs, die er geschrieben hatte. Eine Platte und eine abgebrochene Tour später war es vorbei.

Eine der dynamischsten Shows, die ich je von dir gesehen habe, war die, als wir zusammen in Mountain View gespielt haben. Du trugst einen riesigen Kürbis auf dem Kopf, der sich langsam aufgelöst hat und schließlich im Publikum landete. Kannst du dich sonst noch an diesen Abend erinnern? Ich erinnere mich an einen vollen Parkplatz und mehr als nur an ein paar Polizisten.
Ich erinnere mich, dass sie versuchten, mich daran zu hindern, den Kürbis mitzubringen, dass es die erste Show ohne Steve Ballinger war und dass es voll war. Das ist alles, was ich noch weiß.

Als Schauspieler hast du auch mit Bill Cosby gedreht. Damals hast du mir erzählt, er sei nicht besonders nett gewesen. Kannst du angesichts der jüngsten Ereignisse noch etwas hinzufügen?
Das war für „Bill Cosby – Die Superkanone“, der schlechteste Film von 1987 und manche würden sagen „aller Zeiten“. Und ja ... Ich habe bereits gesagt, dass er ein Widerling ist, bevor irgendjemand was davon hören wollte. Es war nicht nur so ein Gefühl. Ich habe mehr als einmal den Garderoben-Trailer mit ihm geteilt. Er war ein Angeber und ein Arschloch.

Inwiefern bist du heute ein anderer Sänger, als du es früher warst?
Nun, das ist eine gute Frage. Bei WHIPPING BOY, meiner zweiten Band überhaupt, hatte ich mich nach einem halben Jahrzehnt der Beschäftigung mit Musik für einen Kurs entschieden, der mich das machen ließ, was ich heute als Genre-Musik bezeichne. Ich wollte Hardcore machen. Nichts anderes. Ich habe im Grunde nichts anderes mehr gehört und wollte mich als Hardcore-Sänger entwickeln. Und zwar als einer mit Karriereambitionen, so wie junge Menschen nun mal oft denken. Aber 1985, oder sogar noch früher, bei der „Muru Muru“-LP, hatte ich verstanden, dass ich das nicht nur nicht wollte, sondern auch nicht mehr so klingen wollte. Ich hörte andere Sachen, die meine Ohren und meinen Kopf viel mehr ansprachen. Und ich fand andere Perspektiven, die mir viel ehrlicher erschienen. Damit hatte ich zu kämpften. Schließlich half mir ein Musikkritiker weiter, der über die erste OXBOW-Show, die eigentlich die letzte WHIPPING BOY-Show war, schrieb und mich im Melody Maker mit dem Ausdruck „Schinken-Theatralik“ kritisierte. Und er hatte zu 100% recht. Wenn ich also wollte, dass sich OXBOW von WHIPPING BOY unterscheiden, musste ich etwas ändern oder mit der Musik aufhören. Es sollte nicht nur keine musikalische oder textliche Verbindung zwischen WHIPPING BOY und OXBOW mehr geben, sondern einen richtigen Bruch darstellen. Und das zu erreichen, musste ich all den Scheiß, der mir im Kopf herumschwirrte, ausblenden und zum Kern der Sache vordringen. Aus tiefster Seele zu singen, das hört sich einfach an, war es aber nicht, und als es schließlich gelang, war es überwältigend, beängstigend und aufregend zugleich. Das bin dann mehr ich selbst als das Ich, das du siehst, wenn wir herumlaufen und uns unterhalten. Etwas wirklich Echtes und Ehrliches zu machen, ist eine wunderschöne Sache.

Worin unterscheidet sich der Autor, der du bist, von dem Texter?
Als Schriftsteller bin ich niemanden Rechenschaft schuldig. Bei den Büchern, die ich veröffentlicht habe, habe ich normalerweise mit Lektoren zu tun. Ihre Vorschläge sind in der Regel moderat, da ich ziemlich sauber schreibe. Das mit den Songtexten ist ein anderes Kaliber. Die Texte müssen singbar sein, einprägsam genug, um live vorgetragen zu werden, und sie müssen einen Punkt treffen, den man vorher zumindest ein bisschen kennen muss. Belletristik zu schreiben ist ein reiner Höhenflug, das Buch sagt einem normalerweise, wo es hingehen soll. Bei Lyrics muss ich den Text in die Schranken weisen. Am Ende bin ich von einem tollen Songtext meist mehr überrascht – „They say the best things in life are free / But everything around here comes with a fee“ zum Beispiel aus „Thin black duke“ – als von dem, was in einem Buch passiert. Wobei ein Buch auf jeder Seite überrascht. Und wenn es um Artikel für Zeitschriften oder Websites oder sonstige Auftragsarbeiten geht? Da investiere ich so wenig Leidenschaft, dass ich mich damit gerade noch wohl fühle. Aber du weißt ja ... Cash.

Inwieweit sind Bands nur ein Vehikel für deine Lyrics? Wie wichtig sind deine Texte deiner Meinung nach?
Nun, in der Vergangenheit waren sie das auf jeden Fall. Aber bei „Love’s Holiday“ existieren die Worte nur wegen der Band, es war das erste Mal so, dass die Musik die Texte vorgab. Aber im Allgemeinen denke ich, dass Texte super wichtig sind, meine genauso wie die von anderen. Es sei denn, ihre Texte sind beschissen. Wenn deine Band beschissene Musik hat, und hier müssen wir klarstellen ... ein beschissener Text ist für mich einer, der unehrlich ist. So was wie „They stole Hitler’s cock / They hid it under a rock“ von ANGRY SAMOANS ist ein großartiger Text, finde ich. Aber wenn Biafra in „A child and his lawnmower“ über einen Clown „from Sacramento“ singt, der seinen Rasenmäher erschossen hat, weil er nicht ansprang, sagt mir das vor allem, dass er definitiv noch nie einen Rasenmäher besessen oder einen Rasen gemäht hat. Doch vor allem fühlt sich das für mich unehrlich an.

Was möchtest du, dass das Publikum bei deinen Shows fühlt oder erlebt?
Das, was ich fühle und erlebe.

Autor, Kämpfer, Sänger, Denker ... Ist Musik für dich die beste Art, dich auszudrücken?
Nein, es ist das Schreiben. Wegen der geringsten Einmischung von außen, siehe oben, haha ...

Würdest du sagen, dass es eine übergreifende Botschaft bei deinen Bands gibt?
Ich denke, die gibt es. Aber ich glaube nicht, dass es nur eine Einzige ist. Und wenn es eine gibt, bin ich wahrscheinlich derjenige, der sie am wenigsten wahrnimmt. Aber ich denke daran, wie der kreative Prozess seit der Klassik funktioniert. Ich versuche, in der Welt der Sinne ewige Ideen zu formulieren. So komme ich dem vielleicht am nächsten.

Welche anderen Schriftsteller, Lyriker oder Geschichtenerzähler respektierst du?
Respekt ist ein schwieriges Thema. Wie wäre es, wenn wir es mit „mögen“ versuchen? Ich mag Darby Crash, Ian Curtis, Tom Waits, Nick Cave in sehr kleinen Dosen ... als Lyriker. Bei Schriftstellern sind es Martin Amis, Michail Bulgakov, Vladimir Nabokov, Harry Crews, Cormac McCarthy. Aber das sind nur ein paar Namen, die mir gerade in den Sinn kommen.

Warum du denkst, dass deine Musik eine Bedeutung hat?
Ich glaube nicht, dass irgendetwas auf dieser Kloschüssel von einem Planeten sehr viel wert ist. Also, ja ... vielleicht ist das eine Weltanschauung. Aber von den Dingen, die komplett unbedeutend sind, ist unsere Musik vielleicht am wenigsten unbedeutend. Aber weißt du, ich schreibe ja nicht die Musik. Ich schreibe die Texte. Die sind natürlich in meinen Augen Meisterstücke der Signifikanz.

Spielst du ein Instrument, schreibst du einen Teil der Musik selbst?
Früher habe ich Banjo, Geige, Saxophon, Bass und Keyboard gespielt, aber jetzt ... nichts mehr. Und wenn ich „gespielt“ sage, meine ich ohne viel Können.

Welches ist der erste Songtext, an den du dich erinnern kannst, der dich wirklich beeindruckt hat?
Tom Jones, „Delilah“: „I felt the knife in my hand and she laughed no more“. Ich muss sechs Jahre alt gewesen sein, als ich ihn hörte. Ich wusste nicht, um was es ging. Aber ich wusste, dass es um etwas Schlimmes und Ernstes ging.

Ich finde den OXBOW-Song „A gentleman’s gentleman“ wirklich klasse, eine wirklich tolle Leistung von dir. Ich habe den Text leider nie gefunden.
Danke für das Kompliment. Hier sind einige Zeilen, die ich online gefunden habe: You see, the Duke’s mustache is like cordite / And his head is clean-shaven / And his neck is fucking bull-like / And his fingers are muscled and tight / The Duke is deluxe and delightful / And the lovers of him all say so / Before they leave and after they go / And at the Duke’s, eyes smile all the time / And the water and the wine flow all the time / And when the Duke talks he sounds like a mime / With his hands doing all the talking ...

Was war die Inspiration dafür?
Ich habe einige merkwürdige Phasen in meinem Leben durchgemacht und mit merkwürdig meine ich gefährlich und ganz und gar ungesund. Es ist fast ein dokumentarisches Porträt der Menschen und Charaktere, die ich in dieser Zeit getroffen habe. Der Songtitel stammt aus meinem absoluten Lieblingsfilm, „Der Diener“ von Joseph Losey. Es ist ein Zitat des Hauptdarstellers Dirk Bogarde: „I’m a gentleman’s gentleman and you’re no bloody gentleman.“ Was, wenn du jemals in eine Bibel geschaut hast, dem sehr nahekommt, was der Widersacher zu Jesus gesagt haben könnte.

OXBOW haben ein neues Album am Start, „Love’s Holiday“ auf Ipecac Recordings. Ich habe dazu ein tolles Video gesehen. Was habt ihr diesmal anders gemacht als bei eurer letzten Veröffentlichung, „Thin Black Duke“ von 2017? Gibt es etwas, das die Hörer wissen sollten? Wo habt ihr das Video gedreht? Ich schätze, an einem Strand ...
Wir haben Videos zu allen zehn Songs auf der Platte gedreht. Das ist aus meiner Überzeugung heraus entstanden, dass zumindest meine Kinder nie sagen: „Papa, ich möchte, dass du dir diesen Song anhörst“, sondern immer: „Papa, ich möchte dir diesen Song zeigen.“ Und realistisch betrachtet ist es für manche Leute heute einfacher, ein Video anzuklicken, als nach einem Song zu suchen. Der Clip, den du gesehen hast, entstand in Stinson Beach. Bei dieser Platte ist alles anders, abgesehen von den Produzenten, also Niko Wenner und Joe Chiccarelli, und dem Studio. Aber neu ist das Label und dieses Mal habe ich die Texte zur Musik geschrieben, anstatt bereits Texte zu haben, zu denen die Band die passende Musik macht. Am Ende sollten die Hörer wissen – und das meine ich jetzt komplett ernst –, dass dies unsere Liebeslieder sind. Oder die Liebe, wie wir sie interpretieren. Für den Rest müssen sie ihre Ohren öffnen. Herz. Seele. Leistengegend.

Ich habe euch seit Jahren nicht mehr live gesehen. Benutzt ihr visuelle Stilmittel auf der Bühne? Ich frage das im Hinblick auf die zehn Videos zum neuen Album.
Als OXBOW 2017 beim Supersonic-Festival spielten – oder 2018? –, hatten wir einen ganzen Chor und hinter uns eine Großbildleinwand, auf die „Thin Black Duke“-Motive projiziert wurden. Wir haben nicht geplant, die Videos live zu verwenden. Hauptsächlich deshalb, weil unsere Live-Show schon genug/zu viel ist. Sie würden nur ablenken, denke ich.

Du hast im Laufe der Jahre mit vielen Leuten zusammengearbeitet und es gibt ein paar Dinge, die mich interessieren. Wie haben sich deine Wege mit Jamie Stewart von XIU XIU gekreuzt? Macht ihr immer noch etwas zusammen? Ihr hattet vor ein paar Jahren einen Auftritt hier in Berlin, den ich leider verpasst habe. Es war eher ein Spoken-Word-Gig und er hat dich begleitet.
Er war früher in einer Band namens IBOPA und sie spielten bei uns in Palo Alto. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich sie besonders mochte. Genauso wenig wie Jamies Vater, der, wenn ich mich recht erinnere, auch zu seiner Band gehörte. Aber er ermutigte Jamie, sich ernsthaft mit Musik zu beschäftigen, und das tat Jamie dann auch. Aus heiterem Himmel, oder vielleicht auch nicht so aus heiterem Himmel bekam er etwas Geld von K Records für eine Sendung namens „Tea, Chocolate, Wine“, in der er Leute interviewte, während sie dasselbe tranken, und seitdem sind wir Freunde. Unser gemeinsames Projekt SAL MINEO ist immer noch einer meiner Favoriten. Ich habe unlängst wieder einen Song mit ihm und XIU XIU aufgenommen, der heißt „Normal love“ und ist auf ihrer vorletzten Platte erschienen. Es wurde auch über weitere Projekte in der Zukunft gesprochen. Aber ich denke, als Nächstes stehen erst mal meine Memoiren auf dem Plan und dann ein Projekt namens LEISURE HIGH mit Bevin Kelley.

Du bist 2007 in London auch mal mit Barry Adamson aufgetreten. Habt ihr auch etwas zusammen aufgenommen? Apropos, war nicht auch Nick Cave dabei?
Die ganze Show mit Adamson wurde aufgezeichnet. Er hatte vor, sie zu veröffentlichen, aber bis jetzt ist noch nichts passiert. Und ja ... ich sang „Romeo is bleeding“ und Nick Cave sang „Next!“, die Scott Walker-Version des Jacques Brel-Songs. Es war großartig und eine der besten Erfahrungen meines bisherigen Lebens. Ich glaube, ich habe Cave beleidigt, als ich vorschlug, er solle das Lied auf Französisch singen, aber das war keine Absicht von mir. Ich war einfach nur so begeistert. Es kam von Herzen.

Im Oktober 2023 ist deine Autobiografie „A Walk Across Dirty Water + Straight Into Murderer’s Row“ bei Feral House erschienen. Eigentlich bist du ja noch gar nicht so alt und hast bestimmt noch eine Menge anderer Dinge in der Pipeline. Meinst du nicht, dass das noch hätte warten können?
Im August werde ich 61. Ich wollte nie meine Memoiren schreiben. Aber Adam Parfrey von Feral hörte nicht auf zu fragen und zu fragen. Dann starb er und die Nachfolgerin, die den Verlag übernommen hat, Christina Ward, machte mir ein überzeugendes Angebot. Es sollte um nur die Zeit von der Geburt bis zum 27. Lebensjahr gehen, also genau die Phase, in der ich mit OXBOW angefangen habe. Ein umfassenderes Buch wäre zu kostspielig geworden, da es immer weitergegangen wäre. Ich hatte bisher ein spannendes Leben, aber den Rest überlasse ich meinem Biografen. Oder zumindest einem zweiten Memoirenband. Das Problem ist, dass ich der Ansicht bin, dass man bei Memoiren die absolute Wahrheit sagen muss. Aber ich bin auch nicht darauf aus, irgendjemandem zu schaden.

Du hast immer eine Menge geschrieben, nicht nur Bücher, sondern auch für verschiedene Magazine, nicht zuletzt für den „Hustler“. Vor Jahren hast du eine Art Zine mit dem Namen „The Birth of Tragedy“ herausgegeben, die es auch als eine Spoken-Word-Ausgabe gab. Früher hatte ich ein paar davon und habe sie immer noch irgendwo in einer meiner Kisten. Ich erinnere mich an ein Interview mit Anton LaVey, das mich damals dazu bewegt hat, nach seinem Haus zu suchen ... Warst du mit ihm befreundet? Warst du in der Church of Satan?
Man könnte sagen, dass er und ich für ein kleines Zeitfenster „befreundet“ waren oder besser „gute Bekannte“. Später hatte ich seltsamerweise mit seinem Enkel zu tun, der in Wirklichkeit sein Sohn war, so jedenfalls Stanton, der jetzt verstorbene „Enkel“. LaVey und ich gingen zusammen essen und ins Kino, als man so etwas noch tat. Dort lernte ich auch seine andere Tochter Karla kennen, nicht Stantons Mutter. Aber ich hatte nie etwas mit der Church zu tun. Die war für mich ein Haufen Scheiße. Abgesehen davon, dass einige seiner Anhänger, wie bei allem, das wahre Gläubige anzieht, tatsächlich sehr gefährlich waren. Es sei angemerkt, dass er keine Zeit und Geduld hatte für Leute wie den Nightstalker, aber schon ein bisschen mehr Geduld mit dem Zodiac Killer. Wenn ich mich nicht irre, war er mit ihm essen, wenn auch bewaffnet.

Bist du ein spiritueller Mensch?
Ja, aber ich bin Agnostiker, was mich davon abhält, über Dinge zu reden, von denen ich keine Ahnung habe.

Vor ein paar Wochen habe ich mit Mike Watt geplaudert und du und deine Kunst kamen ein paar Mal zur Sprache. Du bist bei allem, was du tust, mit so einer enormen Motivation und großem Engagement dabei. Alles, was du tust, wird zu einer Situation, die nur dir zu gehören scheint, wenn ich das so sagen darf. Was ist es an oder in der Musik, das dich dazu bringt, dich so auszudrücken, wie du es tust? Was hat dich die Musik speziell über das Leben gelehrt? Und wohin geht deine Reise als Nächstes?
Das ist lustig. Wir haben als OXBOW eine Show mit ihm gespielt und einmal mit THE MINUTEMEN als WHIPPING BOY, und ich habe es beide Male geschafft, kein einziges Wort mit ihm zu sprechen. Aber ich mochte immer die Ideen von Mike Watt. Und das, obwohl ich bei unserem letzten Zusammentreffen den Eindruck hatte, dass er mich prinzipiell nicht beachtet. Damit habe ich kein Problem. Ich gehöre nicht zu den zwanghaften Persönlichkeiten, die von allen gemocht werden müssen. Ich erinnere mich noch daran, wie Frank von TONGUE AVULSION, mit dem ich befreundet war, aus irgendeinem Grund aufhörte, mit mir zu sprechen. Das war 1983. Ich habe nur gelacht und es auf sich beruhen lassen. Ich meine, ich würde auch nicht mit mir reden, haha ... Es ist wie in der Geschichte „The Three Sailors’ Gambit“ von Lord Dunsany, die ich nur empfehlen kann. Ich folge dem Diktat der Seele, so wie es für mich angelegt ist. Jeder Versuch meinerseits, in diesen Prozess einzugreifen, führt in der Regel zum Scheitern. Das Gefäß zu entleeren, um Platz für die platonische Triade zu schaffen, scheint also für mich zu funktionieren. Ich glaube nicht, dass ich bemerkenswert viel über das Leben weiß, aber ich weiß, was ich weiß und was mich hierher gebracht hat. Im Allgemeinen bin ich ein Typ mit einem sonnigen Gemüt. Aber ich sollte hinzufügen, dass ich das gleiche Gemüt hätte, wenn ich dir die Finger abschneiden würde. Das sagt also nicht viel aus. Und weiter? Nun, ich habe einen Plan. Abgesehen von der Veröffentlichung von „Mansuetude“, der vierten Platte meiner italienischen Band BUÑUEL, soll 2024 die nächste OXBOW-Platte erscheinen. Und Ende nächsten Jahres werde ich nach Spanien ziehen, um dort mit meinem nächsten Roman zu beginnen und ihn auch beenden.

Du begeisterst dich für dieses ganze Kampfkunst-Zeug. Woher kommt das? Ich wusste, dass du Sportler bist, aber wann hat das mit den Wettkämpfen angefangen? Hast du irgendwelche Titel gewonnen?
Ich habe mit neun Jahren angefangen, Gewichte zu stemmen, habe geboxt und Karate gemacht, als ich zehn oder elf war. In der Highschool habe ich eine Weile gerungen, dann kam japanisches Jujutsu und dann wieder ein bisschen Ringkampf. Nach der Highschool habe ich acht Jahre lang Kenpo trainiert. Ich habe eine Wand voller Medaillen von Brazilian Jiu-Jitsu-Wettbewerben. Auch einige von den Karate-Wettkämpfen. Vor etwa 15 Jahren war ich im brasilianischen Jiu Jitsu auf Platz 14 der Weltrangliste. Aber je älter du wirst, desto schwieriger wird es, weil es niemanden gibt, gegen den du antreten kannst, der auch nur annähernd so alt ist wie du. Und gegen Zwanzigjährige zu kämpfen, ist manchmal nicht so einfach, wie es klingt. In den Achtziger Jahren habe ich noch mit Kenpo-Karate angefangen, gefolgt von Muay Thai und in den letzten 26 Jahren habe ich mich in irgendeiner Form mit Grappling beschäftigt, wobei die letzten zwölf Jahre mein Weg zum schwarzen Gürtel im Brazilian Jiu-Jitsu waren. Das Ganze kommt daher, dass ich eine prinzipielle Abneigung dagegen habe, gemobbt zu werden.

Du hast mal in einem Interview den Autor Mark Sperry erwähnt, der früher eine Band namens THIRD RAIL hatte. Damals war er wegen der Qualität seiner Arbeit etwas umstritten – er galt als Plagiator und schlechte Henry Rollins-Kopie. Ich bin nur neugierig. Hast du mit ihm gearbeitet? Weißt du, was aus ihm geworden ist? Ich fand ihn interessant ...
Ich habe Sperry geliebt. Aus zwei Gründen. Erstens war er völlig verrückt und zweitens war er verdammt witzig und ein wirklich talentierter Autor. Er war sogar ein besserer Schriftsteller als der Mann, den er so sklavisch imitierte: Rollins. Ich habe immer gedacht, dass Rollins darauf falsch reagiert hat. Anstatt Leute zu seinen Auftritten zu schicken, die ihm drohen, ihm in den Arsch zu treten, hätte Rollins nett sein sollen und den Scheiß aus der Welt schaffen. Aber das ist nur meine Meinung. Das Seltsame ist, dass er sogar die gleiche Handschrift wie Rollins hatte. Abgesehen davon fand ich ihn einfach cool und lustig. Ich habe ein paar Lesungen mit ihm gemacht. Das letzte Mal, als ich mit ihm sprach, war er allerdings Rettungssanitäter geworden, seitdem totale Funkstille ...

Nachdem ich ein bisschen darüber gelesen habe, bin ich neugierig auf ein paar Worte über OZY Media, das digitale Medien-Start-Up von einem gewissen Carlos Watson, für das du vor ein paar Jahren eine Zeit lang gearbeitet hast und das 2021 krachend unterging – es gibt dazu einen langen Wikipedia-Eintrag. Wie geht es dir nach all dem, was passiert ist und mit den Folgen? Ich habe gehört, dass du an einem Film dazu gearbeitet hast.
NBC/Universal hat sich für einen Dokumentarfilm gemeldet, die Produzenten von „Tiger King“. Mein Agent versucht, die Buchrechte zu verkaufen, aber ich weigere mich, das für weniger als 500.000 Dollar zu tun – so viel würde ich brauchen, um noch mehr Zeit mit diesem Thema zu verbringen. Die Geschichte ist verrückt, das Interesse war groß und es war toll, in der New York Times zu erscheinen. Und dann noch der Artikel im Alta Magazine. Der COO und Watsons Stabschef haben sich schuldig bekannt und werden zu einer Geldstrafe verurteilt und dürfen mindestens zehn Jahre lang keine Geschäfte mehr machen. Eine Gefängnisstrafe steht an. Watson kämpft dagegen an, aber da seine Mitverschwörer sich bereits schuldig bekannt und zahlreiche Beweise vorgelegt haben, wird es schwierig werden. Wenn er ins Gefängnis geht, und das wird er höchstwahrscheinlich, dann hat er es wirklich verdient.

* Jason Honea lebt in Berlin, kommt aber aus San Francisco und war einst Sänger von SOCIAL UNREST.

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Diskografie
WHIPPING BOY: „The Sound Of No Hands Clapping“(CFY, 1983) • „Muru Muru“ (CFY, 1984) • „The Third Secret Of Fatima“ (CFY, 1985) • „Subcreature 1981 - The Fucked Years 1983 (Grand Theft Audio, 1996) • OXBOW: „Fuck Fest“ (CFY, 1989) • „King Of The Jews“ (CFY, 1991) • „Let Me Be A Woman“ (Crippled Dick Hot Wax!/Brinkman, 1995) • „Serenade In Red“ (Crippled Dick Hot Wax!/Pop Biz, 1996) • „An Evil Heat“ (Neurot, 2002) • „The Narcotic Story“ (Hydra Head, 2007) • „Thin Black Duke“ (Hydra Head, 2017) • „Love’s Holiday“ (Ipecac, 2023) • BUÑUEL: „A Resting Place For Strangers“ (Tannen, 2016) • „The Easy Way Out“ (La Tempesta International, 2018) • „Killers Like Us“ (Profound Lore, 2022)