EUTHANASIE

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Der Tanz der Militanz

EUTHANASIE entstammten der Freiburger Punk-Szene und waren in den Achtziger Jahren aktiv. Sie machten abwechslungsreichen Anarcho-Hardcore-Punk mit Keyboards und einem besonderen Post-Punk-Charme. Die Band spielte Gigs in der gesamten BRD, im KuKoZ in Paderborn konnte ich sie 1985 live erleben. EUTHANASIE veröffentlichten mehrere Tapes, bevor sie sich auflösten. Dem britischen Label Loony Tunes ist es zu verdanken, dass 2010 doch noch eine Compilation mit acht Songs von EUTHANASIE erschienen ist. Wir sprachen mit Angela (key, voc), Holger, (bs) und Tom (dr, voc). Die weiteren Bandmitglieder waren Corinna (dr, voc), Andi (gt), Hansi (gt), Pascal (dr) und Robert (key).

Wann und wie bist du, wie seid ihr damals auf Punk aufmerksam geworden?

Holger: In Freiburg gab es Anfang der Achtziger Jahre eine große Hausbesetzerszene mit großen besetzen Zentren wie dem Schwarzwaldhof, dann das Dreisameck und das AZ. Hier landeten wir schon recht früh auf Konzerten und waren natürlich als junge Kids extrem angefixt von all den „coolen“ Leuten da. Da waren zum Beispiel die aus dem UK hier hängengeblieben SOLDIERS OF FORTUNE, das hat mächtig imponiert.
Tom: Bei mir kam die Begeisterung über die Musik der STRANGLERS und THE DAMNED, meine absoluten Lieblingsbands aus der Phase Ende der Siebziger. Wir haben uns dann irgendwann Karneval als Punks verkleidet und fanden die erzeugte Reaktion so cool, dass die Verkleidung von nun an unser Straßenlook war. Der Weg zur Freiburger Punk-Szene war dann nicht mehr weit.
Angela: In meiner Schulklasse waren nur langweilige brave Leute, bis die ersten zwei Mädels plötzlich auf Punk machten. Das fand ich spannend und da habe ich mich dann angeschlossen. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war, als ich mir im Punkladen eine Tigerhose gekauft, die Haare toupiert und eingesprayt habe. Der erste Schock der Eltern und der Lehrer. Das musste man dann durchfighten. Es war hart, aber hat mich sozusagen stark gemacht und für das weitere Leben gewappnet. Forever Punk – so sehe ich mich heute noch.

Was bedeutete Punk damals für dich – und wie ist das heute?
Holger: Natürlich war es zunächst vor allem die Lust an der Auflehnung. Punk gab uns den Schlüssel und das Selbstbewusstsein, uns zum Beispiel in der Schule querzustellen, zumal der dortige Rektor mit seinen Anordnungen wirklich par excellence wie ein Nazi auf uns wirkte. Punksein war für uns aber recht schnell auch weit mehr als einfach nur die „No authority“-Attitüde. Da waren wir viel zu schnell zu politisiert durch die Demos und Aktivitäten, die damals in Freiburg allgegenwärtig waren. Das reine Anarchotum war uns damals schon irgendwie suspekt, es konnte ja auch einfach bedeuten, sich um nichts und niemanden als sich selbst zu scheren. Heute sehen wir ja sehr deutlich, dass der idealtypische neoliberale Selbstoptimierer im Punk gewissermaßen ein Role Model vorgefunden und auch okkupiert hat. So gesehen würde ich schon proklamieren, dass Punk eben auch die Verweigerung der im Kapitalismus gängigen Subjektform beinhaltet beziehungsweise beinhalten sollte. Und Punk war das ja eigentlich auch immer, wenn wir an die Verweigerung von Arbeitskarrieren et cetera denken.
Tom: Für mich war das von Anfang an eine Lebensphilosophie: Nicht fremdbestimmt zu sein, selbst sein Leben in die Hand zu nehmen und aktiv zu werden. Wir hatten das große Glück, in Kirchzarten, zwölf Kilometer weg von Freiburg, ein Autonomes Jugendzentrum zu haben, in dem die unterschiedlichen Spielarten der Kultur gelebt wurden: Musik, Theater, Vorträge, Lesungen, Kino und große, große Partys. Wir hatten kaum finanzielle Unterstützung durch die Gemeinde und mussten uns folglich selbst finanzieren. Deshalb haben wir ein facettenreiches Programm auf die Beine gestellt – mit Zugpferden, die die Kohle für die Nischenprogrammangebote reingeholt haben. Punk war somit, Eigeninitiative zu zeigen, in den Widerstand zu gehen und den zum Teil rauhen Wind auszuhalten, der uns entgegenwehte.
Angela: Genau. Den rauhen Wind hast du sofort gespürt und den musstest du aushalten. Ich war am Anfang weder politisch noch hatte ich sonst viel Ahnung, außer dass mir die meisten Schüler und Schülerinnen eben zu langweilig waren und die gar nix draufhatten: Beten, Faltenröckchen tragen und Howard Carpendale hören. Aber durch die Punk-Bewegung bin ich voll auf den Geschmack gekommen. Ich höre bis heute immer noch gerne – auch – Punkmusik. Und ich vermisse Konzerte, auf denen Pogo getanzt wird. Links politisiert habe ich mich dann erst später, außer vielleicht das Thema Nicht-Fleischessen – ich höre gerade eine Platte von CONFLICT. Glücklicherweise habe ich dann Leute wie Holger und Corinna kennen gelernt, und da war dann für mich der Anfang des politischen Punkseins geschaffen.

Wann und warum habt ihr EUTHANASIE gegründet?
Tom: Die Idee, eine eigene Band zu gründen, war von Anfang an da. Jeder spielte damals in einer Band, oder in zwei weiteren noch parallel. Wir waren inspiriert von den Compilations des Crass-Labels „Bullshit Detector I + II“. Und wir dachten, dass wir was zu sagen haben. Wir begannen ohne eigene Instrumente und nutzten die Druckerpresse des Jugendzentrums als Schlagzeug. Wir machten unterschiedliche Jobs, um die Kohle für die Instrumente zu verdienen. Und nach und nach wuchs unser Equipment, eine Gitarre, ein Bass, ein Schlagzeug. Dazu die notwendigen Verstärker und eine kleine Gesangsanlage. Dann bauten wir in einer Ferienaktion unseren eigenen schallisolierten Proberaum. Das war von Anfang an absoluter Pioniergeist und wir haben geackert, bis alles stand, und waren stolz wie Bolle, als alles fertig war und wir es nutzen konnten. Danach kam es zu immer neuen Bandgründungen. Alles schön graswurzelorientiert.

Euer Name EUTHANASIE ist ja selbst für die Frühachtziger-Punk-Phase sehr provokant ...
Tom: Wer genau die Idee zum Namen hatte, kann ich nicht mehr sagen. Aber der Bandname sollte etwas Bedeutungsvolles sein, auch was Provokantes. Schnell hatten wir dann ein eigenes Logo, ein eigenes Banner – alles noch bevor wir zum ersten Mal aufgetreten sind.
Holger: Wie viele andere Punkbands waren wir damals im Glauben, mit Anleihen an die NS-Terminologie auf die Kontinuität des Faschismus in der BRD hinweisen zu können. Als Provokation, um anzuklagen, seht her: Heute wird wie damals „unwertes Leben“ vernichtet. Heute würde ich das natürlich als Verharmlosung des Faschismus sehen. Ab einem bestimmten Punkt – vor allem mit dem Aufkommen rechter Punk- oder Oi!-Bands – hat diese Provokation sowieso nicht mehr funktioniert.
Angela: Ich kam erst Jahre später zur Band. Ich fand den Namen ehrlich gesagt nicht so toll und es gab auch Überlegungen, den Namen zu ändern. Aber niemand hatte eine zündende Idee und wir dachten, die Leute kennen uns eben nun unter dem Namen, also was soll’s ...

Ihr habt nicht klassischen Deutschpunk gespielt. Welche Einflüsse hattet ihr?
Tom: Wie anfangs erwähnt, hatte ich meinen ersten Kontakt zur Punk-Szene über die ganzen alten Punkbands wie STRANGLERS, CLASH, DAMNED. Aber von Anfang an interessierte mich auch die Post-Punk/New-Wave-Musik von Bands wie JOY DIVISION, THE CURE, KILLING JOKE und THE SOUND. Frühzeitig gefielen mir auch die Synthie-Sachen von OMD, VISAGE, HUMAN LEAGUE und YAZOO. Dann kam natürlich Hardcore – hier insbesondere DISCHARGE, CONFLICT, MDC und viel, viel Italo-Hardcore.
Holger: Später – auch mit neuen Leuten in der Band – kam dann auch der Progrock ins Spiel. Dominick und Hansi waren richtige KING CRIMSON-Freaks und das färbte schon ab, wie auf der LP zu hören ist.

Wie sah die Punk-Szene in Freiburg aus?
Holger: Wie gesagt gab es eine recht große Szene in Freiburg und Umgebung. Es gab wirklich beeindruckende Bands wie die erwähnten SOLDIERS OF FORTUNE, auch einige No-Wave-mäßige Bands wie LI LA LU CA. Aber es gab auch viele Bands, die wir zu unpolitisch oder derb fanden. Irgendwie haben wir uns dann immer mehr der Polit- und Alternativszene zugewandt und unser Punk-Ding eher mit Kontakten außerhalb Freiburgs durchgezogen. Wir haben ja im AJ Kirchzarten sehr viele Konzerte organisiert, auch mit großen Bands wie den INSTIGATORS oder NEGAZIONE.

Ihr habt auch eine Tour mit SUBHUMANS organisiert.
Holger: Ich war großer SUBHUMANS-Fan und traf sie 1985 in England auf einem Politfestival nahe einer Cruise Missile Army Station und sprach sie einfach an. Die hatten großen Bock drauf und ein paar Wochen später stand die Tour mit knapp zehn Gigs in Deutschland und den Niederlanden. Wir sind leider nicht mitgefahren, weil wir nach dem Auftakt in Freiburg im wahrsten Sinne des Wortes die Scherben aufräumen mussten. Wir hatten den Gig, übrigens noch mit den tollen TIN CAN ARMY aus Göttingen, dazu benutzt, um im Schutz von 500 Punks ein Fabrikareal zu besetzen, als Ersatz für das in jenem Jahr aus mysteriösen Gründen abgebrannte AZ. Das Ganze allerdings, ohne die SUBHUMANS eingeweiht zu haben Wir hatten das Konzert offiziell in dem zufällig benachbarten Kulturzentrum ganz legal eingemietet. Die Idee war, dass die Cops nicht noch während der Nacht räumen würden und die Hausbesetzerszene dann die Zeit zur weiteren Mobilisierung und zur Verhandlung mit der Stadt bekommen würde. Allein das SEK, das ja in diesem Sommer omnipräsent war, hat mit äußerster Brutalität und CS-Gas die Besetzung zunichte gemacht. Es gab sehr viele Verletzte, aber auch einen Riot, wo ich mich noch gut daran erinnere, wie die SUBHUMANS, die ja eigentlich eher pazifistisch drauf waren, aus sicherer Entfernung mit dem Bier in der Hand sagten: „What a fucking riot!“

Wie konntet ihr eure Konzerte und auch die Tour in einer Zeit ohne Internet organisieren?
Tom: Wir hatten viele weitreichende Kontakte, in der Anfangszeit viel mit der Homburger Szene rund um Moses und die Band JOLLY ROGER. Die waren bei uns zu Besuch, wir bei denen. Der eine kannte den anderen und nach den ersten Artikeln in den Fanzines kamen natürlich die Konzertanfragen – meist für freie Übernachtung und einen Kasten Bier. Ab einer gewissen Zeit waren wir fast jedes Wochenende unterwegs, um Konzerte zu spielen.
Holger: Es ging damals natürlich viel per Brief und Telefon oder einfach auf Konzerten. Wir sind ja selbst als Fans viel rumgereist, auch in der Schweiz. In Deutschland haben wir recht viel auf politischen Festen wie im Häusnerviertel in Bochum, Weißhaustraße in Köln und in den üblichen Juzis gespielt. Ein Highlight war dann natürlich die kleine Skandinavientour, die ANGOR WAT, eine befreundete Band aus Trondheim, für uns organisiert hat.

Welche Aktionen oder Konzerte sind euch noch in besonderer Erinnerung geblieben?
Tom: Es gibt viele tolle Erinnerungen, da es im wahrsten Sinne des Wortes eine bewegende Zeit war. Wir waren oft mit meinem Ford Fiesta, den ich mir als Zivildienstleistender gekauft hatte, irgendwo am Wochenende in Deutschland unterwegs. An einem Wochenende spielten wir freitags in Leutkirch im Allgäu und am nächsten Abend in Köln. Beeindruckend war unser Gig mit NORMAHL in Konstanz, wo uns deren Fans Würstchen entgegenhielten, weil sie dachten, dass sie uns Veggie-Hippie-Anarcho-Punx so ärgern könnten. Super Aktion. Oder ein Konzert im Bochumer Häusnerviertel, wo wir erst um drei Uhr auftreten durften, nach einer Reise durch die ganze Republik natürlich stinkemüde und mit dementsprechend wenig Elan.
Holger: An das Paderborner Konzert im KuKoZ erinnere ich mich nur, weil wir damals die „Angst“-LP von den NEUROTIC ARSEHOLES richtig klasse fanden und uns sehr auf deren Auftritt freuten. Es war dann auch geil. Ansonsten war natürlich das Open-Air-Konzert am Woodrock 1987 auch deshalb ein Highlight, weil die Behörden unter Berufung auf den Staatsschutz allen Ernstes das Festival verbieten wollten, auch wegen uns. Damals wurden ja gerade die §129a-Gesetze verschärft und sogar Songtexte in den Kontext „Werbung für eine terroristische Vereinigung“ gestellt. In diesem Klima absurder Hetze konnte man schnell der Täuschung unterliegen, irgendwie gefährlich für den Staat zu sein.
Tom: Eine Sache ist auf jeden Fall noch ausführlicher zu erwähnen: unsere Skandinavientour im Jahr 1985. Wir hatten dort mehrere Gigs in Dänemark und Norwegen. Dafür hatten wir extra einen Bandbus gekauft. Das war ein richtig geiler alter VW-Bus – noch mit einer geteilten Frontscheibe und einer Erhöhung des hinteren Bereichs, damit man dort mit mehreren Personen schlafen konnte. An dieser Erhöhung war ein großes Peace-Zeichen aufgemalt – also so ein richtig schönes Hippiegefährt. Dieser Bus fuhr maximal 90 km/h und auf den Anstiegen in den Kassler Bergen meist zwischen 40 und 50 km/h. Damit haben wir uns dann über 2.000 Kilometer nach Norden bewegt und sind ununterbrochen gefahren – mit regelmäßigem Fahrerwechsel. Warum „Fahrer“ ohne Sternchen?! Fragt Angela, haha. Das schönste Konzert auf der Tour war zusammen mit POISON GIRLS und CRIST im Osloer Café Blitz vor einem extrem großen Publikum. Das Café war vorher länger geschlossen gewesen und wir stießen auf ein konzerthungriges Publikum. Vom ersten Ton an wurden wir gefeiert, das hat extrem Spaß gemacht. CRIST waren auch super und die POISON GIRLS einfach genial. Vi Subversa hatte eine enorme Bühnenpräsenz. Witzigerweise habe ich das Konzertplakat letztens auf der Facebook-Seite von Crass Records veröffentlicht und prompt kamen tolle Feedbacks. Unter anderem von Pete Fender, der der Sohn von Vi ist, und auch bei POISON GIRLS, OMEGA TRIBE und RUBELLA BALLET gespielt hat. Seither sind wir in Kontakt.

Habt ihr das Gefühl, dass eure Texte immer noch aktuell sind wie zum Beispiel „Against the white man’s world“ oder „Die Spielarten des Systems“?
Holger: Prinzipiell finden wir die Texte nach wie vor treffend, auch wenn wir vieles heute anders formulieren würden. Aber wenn ich heute sage, die Texte waren manchmal etwas zu platt, die Wirklichkeit ist doch viel komplexer, dann meine ich damit nicht, dass der Kapitalismus und die gesellschaftlichen Verhältnisse es weniger verdient hätten, gedisst zu werden. Im Gegenteil, viel deutlicher als damals meine ich heute erkennen zu können, wie verdammt vielschichtig die kapitalistische Herrschaft doch ist. Im gewissen Sinne empfinde ich sie als totalitärer als damals. Zwänge und Unterdrückung sind teilweise subtiler geworden, dafür mitnichten weniger wirksam.

Was war der Anlass für den Song „Raus aus der Sackgasse“?
Tom: Alkohol- und Drogenkonsum in exzessiver Form gab es bei uns nicht – wir wollten bei den Konzerten auch noch die richtigen Töne treffen können. In der Freiburger Szene gab es das schon eher – und der eine oder andere Weggenosse hat die Jahre nicht überlebt.

Ihr hattet sowohl deutsche als auch englische Texte. Was waren die Gründe, in beiden Sprachen zu singen?
Angela: Ich fand es theoretisch viel besser, auf Deutsch zu singen, damit klar rüberkommt, was wir sagen wollen. Aber es war echt viel schwieriger, als auf Englisch zu singen.

In „Isolation“ singt ihr von Revolution und in dem Song „Distanzwichserei“ heißt es „Tanz mit mir den Tanz der Militanz“. Wie war das gemeint?
Holger: Na, wie schon erwähnt waren wir schon ziemlich im Sog der autonomen Lebenskultur, wobei im Nachhinein betrachtet davon auch ein starker sozialer Druck ausging, auch innerhalb der Band, wo Zweifel an der ganzen Militanz teilweise eher verdrängt wurden. Im Nachhinein betrachtet war dies sicher auch mit ein Grund dafür, dass wir uns nach dem Ausstieg von Dominick, dem letzten Drummer, nicht mehr zusammengerafft hatten.

EUTHANASIE werden als Anarchopunk-Band bezeichnet. Ist das ein Label, mit dem ihr einverstanden seid beziehungsweise wart? Wie habt ihr die autonom-anarchistische Punk-Szene erlebt? Wie seht ihr das heute?
Holger: Ja, damals haben wir uns so gesehen. Heute, wie gesagt, bin ich skeptisch mit all den Erscheinungen von „libertären“ Marktideologien, Ich-AG-Menschenbildern, dem Zwang zur Selbstoptimierung und „Einzigartigkeit“.
Tom: Ich kann dem nur zustimmen. Es gab damals schon eine gewisse Separierung, wenn man nicht nur „No future“ sagen wollte. Wir standen für „Anarchie und Frieden“, für Menschen- und Tierrechte, waren politisch und wurden passenderweise gerne gebucht, wenn es um politische Anliegen ging. Zur heutigen Szene habe ich kaum mehr Bezug.

Die Chaostage in Hannover waren für viele ein Erlebnis. Wart ihr selbst da und wie sind eure Erinnerungen?
Tom: Ich war 1983 da, weil ich unbedingt DAILY TERROR live sehen wollte. Das ging dann noch, dann gab es brennende Barrikaden, ein auseinandergeknüppeltes Konzert und die Flucht irgendwo hin. Die Nacht habe ich mit meinem Kumpel irgendwo auf dem jüdischen Friedhof verbracht, ohne eine Sekunde Schlaf, weil permanent Cops oder Naziskins unterwegs waren. Am nächsten Tag sind wir wieder nach Freiburg gefahren. Tolle Aktion!
Holger: Wie gesagt waren Saufen et cetera nicht unser Ding, wir haben dann Chaos doch eher anders interpretiert.
Angela: Da kann ich mich nur anschließen.

Ihr habt in den Achtzigern nur Tapes veröffentlicht. War das eine bewusste Entscheidung? Gab es damals auch die Idee, mal eine Platte aufzunehmen?
Tom: Wir waren gut in der Fanzine-Szene vernetzt, hatten uns dementsprechend auf Tapes kapriziert, da die einfacher selbst herzustellen und zu vertreiben waren. Auf Platte wollten wir auch was machen, wir hatten schon weitgehende Gespräche mit den Leuten vom A&P-Fanzine aus Wuppertal. Aber dazu kam es letztendlich nicht. Zwei Veröffentlichungen auf Vinyl gab es doch. Das eine war eine deutsche Produktion, der „Kulturschock Attacke Vol. 1“-Sampler von 1986, organisiert von der Band CIRCLE OF SIG-TIU aus Bingen. Die andere Compilation wurde von der englischen Anarchopunk-Band DIRUPTERS organisiert, als Benefiz zugunsten der Norwicher Fuchsjagdsaboteure.

2010 erschien auf Loony Tunes eine LP-Compilation von euch mit Demo- und Live Tracks. Wie ist diese zustande gekommen?
Holger: Das Label beziehungsweise der Sänger der ACTIVE MINDS hat Tom angeschrieben. Irgendwie hatte er ein Tape von uns gehört und fand es geil. Wir hatten ja früher ein Fanzine namens „Aufruhr“ und Kontakte nach UK. Als ACTIVE MINDS dann zufällig hier in Freiburg in der KTS spielten, verabredeten wir uns persönlich und machten alles klar.

Seid ihr heute noch musikalisch aktiv?
Holger: Angela legt regelmäßig bei Partys und Festen auf, alles Mögliche auch HipHop und so. Andi spielt noch bei GETTO FATALE, unserer damaligen Schwesterband aus Kirchzarten, und Tom hat als DJ To Mask einiges Elektronisches solo aufgenommen und macht ab und zu auch mal den DJ.

Wie männlich/machistisch oder emanzipatorisch habt ihr die damalige Szene wahrgenommen?
Holger: Die Situation war diesbezüglich schon sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite war die Beschäftigung und Kritik von patriarchalen Strukturen in der Gesellschaft und damit auch der Punk-Szene sehr ausgeprägt. Insbesondere die ganzen UK-Anarcho-Bands wie FLUX OF PINK INDIANS, DIRT, CRASS oder POISON GIRLS haben das ja ganz zentral aufgegriffen. Auch viele unserer Songs, die zumeist Corinna und später dann auch Angela sangen, drehten sich um die Zusammenhänge von Patriarchat und Kapitalismus. Generell denken wir schon, dass der Verweigerungsethos des Punk eigentlich viele Spielräume eröffnete, aus einengenden Geschlechterrollen auszubrechen. Als Jungs haben wir das auch als etwas Befreiendes erlebt, dem typischen Bild vom harten Macker nicht entsprechen zu müssen. Andererseits tauchte natürlich im Punk von Anbeginn an auch ein aggressives „toxisches“ Männlichkeitsbild auf, denken wir nur an die ganzen Bands wie GBH oder EXPLOITED mit ihrem Auftreten und ihren Texten. Im Nachhinein betrachtet kann man vielleicht sagen: Punk ermöglichte hier einiges, vielleicht mehr als andere Jugendbewegungen. Es gab viele junge Frauen, die sich Punk aneigneten, aber dann doch sehr oft an den auch dort herrschenden männlichen Machtstrukturen verzweifeln mussten.
Angela: Anfänglich ist mir das in der Punk-Szene gar nicht so bewusst aufgefallen. Es war irgendwie normal, dass die Typen auf der Tanzfläche mit Ellenbogen und Springerstiefeln um sich schlagen und treten. Das nervte zwar manchmal, aber war eben so. Da war die Punk-Szene nicht besser oder schlechter als der Rest der Gesellschaft. Aber ich fing eben auch erst später an, mir über dieses Thema Gedanken zu machen. Auf jeden Fall hatte ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass ich als Frau weniger ernst genommen werde. Wir könnten uns allerdings schon fragen, warum es so viel weniger Frauen und Frauen-Bands in der Punk-Szene gab oder gibt ...