FACE TO FACE

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Wie der Vater, so der Sohn

Seit ich 1994 im Kölner Underground FACE TO FACE als Vorgruppe von LAGWAGON gesehen habe, begleiten mich die Kalifornier. Zwar mit unterschiedlicher Intensität, denn nicht alle Alben erzeugen bei mir die gleiche Euphorie, aber beständig. Die letzten beiden Veröffentlichungen in Form eines Akustik-Albums mit alten Songs und eines Live-Albums ließen eher darauf schließen, dass das Kapitel FACE TO FACE langsam dem kreativen Ende entgegen geht. Umso größer war meine Freude, dass mit „No Way Out But Through“ jetzt doch ein sehr solides neues Album erschien, das wieder eher nach den späten Neunziger Jahren klingt als nach 2021. Sänger und Gitarrist Trever Keith erklärt uns, welche Veränderungen die Entstehung des Albums begleitet haben und warum Punkrock die Konstante in diesen Veränderungen ist.

Trever, wie hast du den Corona-Lockdown erlebt? Hast du neue Seiten an dir kennen gelernt?

Tatsächlich haben sich ein paar interessante Veränderungen ergeben. Ich habe mit Meditation angefangen. Damit fühle ich mich besser, bekomme den Kopf frei und denke klarer. Sie ist ein fester Bestandteil meines Alltags geworden. Außerdem bin ich mit 52 Jahren Veganer geworden, und das, ohne vorher überhaupt vegetarisch gelebt zu haben. Besser spät als nie. Zwei ziemlich einschneidende Ereignisse also.

Im letzten Jahr hast du deine kompletten Songtexte von 1990 bis 2020 als Buch veröffentlicht. Fans können die Texte in den Booklets nachlesen, online sind sie auch verfügbar. Warum war dir das dennoch wichtig?
Ich bin großer Fan von Büchern, genauso wie von Vinyl, also Dingen, die ich anfassen kann. Bücher sind vollständige Sammelwerke, alles ist komprimiert an einem Platz. Ich will nicht ständig alles am Bildschirm anschauen müssen. Die ausverkaufte Auflage war auch sehr limitiert, ein Sammlerobjekt für Leute, die meine Wertschätzung für Bücher teilen. Die Frage nach der Notwendigkeit solcher Veröffentlichungen kann man sich natürlich heutzutage immer stellen, da alles ständig verfügbar ist. Die Buchform ermöglicht es aber, alle meine Texte chronologisch lesen zu können. Meine Entwicklung als Texter wird dadurch nachvollziehbarer, meine Fortschritte sichtbarer – die Rückschritte natürlich auch, haha. Letztendlich habe ich einfach den Wunsch, meine Ideen physisch festzuhalten, etwas zu schaffen. Auch wenn es – wie in diesem Fall – eine Zweitverwertung von schon veröffentlichtem Material ist. Zudem waren die Texte des neuen Albums von 2021 auch schon mit drin, was vor einem Jahr das Buch noch reizvoller gemacht hat.

„The Complete Lyrics“ hast du über dein Label Antagonist veröffentlicht. Nebenbei betreibst du noch Lady Luck Records und Folsom Prison Records. Warum drei Labels?
Streng genommen ist es nur ein Label. Lady Luck war nur sehr kurzlebig, eigentlich nur ein Logo auf einer Veröffentlichung, mehr habe ich dann nicht gemacht. Folsom wollte ich mit unserem Manager betreiben. Dann kamen ihm aber so viele andere Dinge dazwischen, dass auch dieses Vorhaben versandete. Antagonist gehört komplett mir und daher liegt mein Fokus darauf. Ich mache kleine Auflagen von Wiederveröffentlichungen [neben Punkrock auch HipHop, unter anderem von Tupac Shakur, Anm. Red.] oder mein Buch. Alles, was ich dazu brauche, ist ein Lagerraum in einer Seitenstraße. Es steht kein Vertrieb dahinter, das mache ich alles selbst, direkt vom Lager zum Kunden. Ein richtiges, kleines Independent-Ding.

Auf Antagonist hast du zusammen mit deinem Sohn Charlie das IKARUS/DAEDALUS-Album mit dem Titel „Invisus“ rausgebracht. Überraschenderweise reine Ambient-Musik. Wann hast du deine Vorliebe für elektronische Klänge entdeckt?
Früh! FACE TO FACE haben 1991 angefangen. Als Jugendlicher habe ich viel Metal gehört, IRON MAIDEN und so etwas. Mit Anfang zwanzig dominierte dann bei mir der Punkrock. Aber daneben habe ich auch immer schon elektronische Musik gehört. Ich mag Synthesizer und habe immer schon hier und da ein wenig herumexperimentiert, ohne das allerdings kommerziell zu vermarkten. Als FACE TO FACE pausierten, habe ich mit meinem Kumpel Chad, auch ein ehemaliger Produzent von FACE TO FACE, ein Elektronik-Projekt namens LEGION OF DOOM betrieben. Als FACE TO FACE wieder zusammenkamen, hatte handgemachte Musik bei mir wieder Priorität. Vor einiger Zeit meinte mein Sohn dann, wir sollten mal etwas zusammen auf die Beine stellen. Ich fand die Idee gut, wollte aber etwas grundsätzlich anderes als FACE TO FACE machen. Daher kam die Idee auf, die Synthesizer wieder auszupacken. Etwas, das komplett für sich alleine stehen kann, ohne vor dem Hintergrund von FACE TO FACE bewertet zu werden. Deshalb wollte ich auch auf keinen Fall singen. Das ist bei Ambient auch nicht notwendig. Wir probierten einfach ohne zeitlichen Druck ein bisschen herum, insgesamt knapp zwei Jahre haben wir uns Zeit genommen. Dann kam der Lockdown und die Gelegenheit, sich auf die Fertigstellung und die Veröffentlichung der Platte zu konzentrieren. Wir haben Gefallen daran gefunden und wollen die Sache noch ein bisschen weiter betreiben. Nicht mit einem neuen Album, eher in Form von regelmäßigen Singles. Neue Songs dafür haben wir schon geschrieben. Eine tolle Art, wie Vater und Sohn Zeit zusammen verbringen können. Andere basteln Schiffe in Flaschen oder so ein Zeug. Mein Sohn und ich machen Musik zusammen, das ist großartig.

Und was verbirgt sich hinter Antagonist Film Works? Welche Art von Filmen machst du? Wie bist du dazu gekommen?
Das ist auch eine kleine Sache, die ich ein bisschen nebenher betreibe, aber wirklich eher auf einem Amateurlevel. Das sind kleinere Sachen fürs Fernsehen [wie der Song „Half asleep“ für die TV-Serie „The Vampire Diaries“, Anm. Red.] oder Social Media. Ich habe mich da autodidaktisch herangewagt, jedoch ist der Output sehr überschaubar und nichts, womit ich groß angeben könnte. Dennis, der Gitarrist von FACE TO FACE, betreibt das beruflich, er ist richtiger Produzent. Auf Tour haben wir uns viel darüber unterhalten und ein paar kleine Konzepte geschrieben für Trailer und so etwas in der Art. Er ist also wirklich im Business, ich blinzele nur von der Seite ein bisschen herein. Wenn ich mal einen Fuß in die Tür bekommen sollte, würde mich das freuen. Bislang ist es nur eine Art Hobby.

Dann zurück zu deinem Hauptjob. Das neue Album von FACE TO FACE ist eines eurer rauhesten und schnellsten geworden und klingt für mich wieder mehr nach dem Sound der Neunziger. War das ein bewusster Schritt zurück zu euren Anfängen oder ist das einfach so passiert?
Ehrlich gesagt haben wir nicht das Geringste im Vorfeld geplant. Unser Bassist Scott und ich hatten den Kopf völlig frei, als wir mit dem Schreiben begannen. Einfach Ideen einfangen und festhalten. Das Ergebnis war bunt. Einige harte Uptempo-Nummern, andere eher zögerliche, melancholische Sachen. Hardcore, Pop-Punk und, wie ich finde, auch ein bisschen Emo. Diese Spannbreite haben wir meiner Meinung nach ganz gut ausbalanciert: Wut, Angst, Trauer, Aggression. Zusammen verleiht das dem Album als Ganzes Gewicht.

Ein Freund beschrieb euer Album so: Als ob man zeitgleich auf dem Kopfhörer links THE SMITH und rechts STIFF LITTLE FINGERS hören würde. Was sagst du zu diesem Vergleich?
Hervorragend, ich liebe ihn! THE SMITH sind seit der Highschool eine meiner Lieblingsbands. Und ich glaube, dass dieser melancholische Sound hier und da auch in FACE TO FACE-Songs zu finden ist. STIFF LITTLE FINGERS mag ich auch sehr. Ich fasse diesen Vergleich also als maximales Lob auf.

Das Cover des Albums zeigt eine Art Vintage-Fotografen. Eine Kamera, die auf mich gerichtet ist, erzeugt bei mir immer zwei Gefühle: Ein angenehmes, weil man im Mittelpunkt steht, und ein unangenehmes, weil man beobachtet wird.
Genau! Die Geschichte dahinter ist folgende: Uns kam der Albumtitel in den Sinn, als alle Songs komplett aufgenommen und gemischt waren. „No Way Out But Through“ schien uns nicht nur ein Kommentar zur aktuellen Situation der Welt zu sein, sondern auch eine Beschreibung des Ist-Zustands unserer Band. Wir hören einfach nicht auf, zu touren und Platten zu machen. Rastlosigkeit ist ein guter Schutz vor Stillstand. Die größte Herausforderung im Leben eines Künstlers ist das Weitermachen. Dann entdeckte ich das Bild mit dem Fotografen mit der auf den Betrachter gerichteten Kamera, eine Arbeit unseres Pressefotografen. Und das passte perfekt zum Titel des Albums. Wir werden schließlich ständig angesehen, beobachtet und bewertet, und das ist uns auch bewusst. Und dieses latent unangenehme Gefühl beim Betrachten des Covers soll uns genau daran erinnern. Wir müssen lernen, mit dieser ständigen Bewertung von außen umzugehen, lernen berechtigte Kritik von irrelevantem Geschwätz zu trennen.

Der gleichnamige Song „No way out but through“ passt gut zur Pandemie.
Stimmt, aber der Titel beziehungsweise der gleichnamige Song hatte keinen direkten Bezug zur Lockdown-Situation, ich hatte ihn schon vor der Pandemie geschrieben. Ich hatte also keine Ahnung, was da kommen würde. Meine Songs handeln oft von Eigenbeobachtungen und Möglichkeiten, aus Fehlern zu lernen und sein Handeln für sich und andere erträglicher zu machen. „No way out but through“ ist dafür ein klassisches Beispiel. Keine Ausreden, keine Schlupflöcher suchen – Augen zu und durch!

Dieser Spagat zwischen Selbstzweifeln und Selbstbehauptung zieht sich durch viele deiner Texte.
Songtexte sind nichts anderes als hörbar gemachte Gefühle. Ich schreibe generell nicht über konkrete Ereignisse in meinem Leben. Es geht nur um innere Momentaufnahmen. Das mag abstrakter sein, aber ich denke mal, dass mich als Mensch die gleichen Dinge berühren, verunsichern oder aufbauen wie andere Menschen auch. Und das macht die Texte dann wiederum zugänglich. Ich bin jetzt 52 Jahre alt und komme täglich in Situationen, in denen ich meine Selbstzweifel spüre. Ich nehme sie wahr, akzeptiere sie und versuche nicht, in ihnen zu verharren. Ansonsten kann ich nicht produktiv sein, das führt zu nichts.

In „Farewell song“ singst du „I’m out of clever lines / I guess this is goodbye?“ Ist das ein kleiner Hinweis darauf, dass dieses Album das letzte sein wird?
Nein, das ist kein versteckter Hinweis. Die Band existiert seit über dreißig Jahren. Früher konnten wir nur über Fanzines oder auf der Bühne mit anderen kommunizieren. Alles lief so langsam ab. Das Leben ist heute so viel schneller, Veränderungen passieren kurzfristiger, das Planen wird schwieriger. Es geht in dem Song nur darum, dass Beziehungen zwischen Menschen an einen Punkt kommen, wo sich etwas verändern muss oder die Beziehung beendet wird.

In deinen Texten nutzt du häufig als Stilmittel eine Art gescheiterten Dialog. Du sprichst, stößt aber auf Schweigen. Hast du beim Schreiben bestimmte Personen vor Augen oder sind das generalisierte oder fiktive Personen?
Ist das ein Stilmittel? Jetzt bin ich ein bisschen peinlich berührt, weil ich das nicht wusste. Ich hätte es nicht so benennen können. Das Schreiben passiert einfach, es fühlt sich so richtig an. Oft habe ich auch kein Gegenüber im Sinn, sondern spreche quasi mit mir selber beziehungsweise mit einer Seite von mir, die ich nicht ertragen kann. Der Streit mit dem eigenen Inneren. Nicht im Sinne von Schizophrenie, sondern der Dualität des Menschen. Der Mensch, der wir sind, gegen den Menschen, der wir eigentlich sein wollen.

Warum ist Punkrock auch mit 52 Lebensjahren und nach drei Jahrzehnten Bandgeschichte noch eine Konstante in deinem Leben?
Egal, ob man Musik macht oder ein Fanzine betreibt – diese Dinge haben für uns und andere Gewicht und sind es wert, dass man sich ein Leben lang mit ihnen beschäftigt. Bei euch wird es doch ähnlich gewesen sein, als ihr mit dem Fanzine angefangen habt. Viele Leute fragen dich, wo das alles hinführen soll, dass es nicht funktioniert, dass man einen Plan B braucht, dass man nicht rumträumen soll. Wenn ich etwas liebe, halte ich es auch am Leben. Natürlich muss ich auch andere Jobs machen, aber auch Dinge, die einen erfüllen, brauchen Raum. Solange die Leidenschaft und die gesundheitlichen Voraussetzungen da sind, sollte man weitermachen. Ich bin der lebende Beweis dafür, haha.