Frank Turner

Wechselseitige Wertschätzung

Im Sommer 2020 erschien auf Fat Wreck die Split-LP „West Coast Vs. Wessex“ – auf der Turner-Seite coverte dieser mit Band NOFX-Songs aus den Neunzigern. Seine Wahl fiel auf „Scavenger type“, „Bob“, „Eat the meek“, „Perfect government“ und „Falling in love“, und Fat Mike und NOFX auf der Flipside machten sich über „Substitute“, „Worse things happen at sea“, „Thatcher fucked the kids“ „Ballad of me and my friends“ und „Glory Hallelujah“ her. Ich befragte Frank zu seinem Verhältnis zu NOFX.

Frank, diese Split-Platte ist in gewisser Weise auch ein Produkt des Lockdowns.

Ja, die Aufnahmen entstanden im Januar und Februar 2020 kurz vor dem Lockdown, und normalerweise wäre die Platte sicher nicht schon im Sommer erschienen, aber im Frühjahr war genug Zeit für den Mix und so ging alles schneller als gedacht. Die Leute im Studio hatten plötzlich eine Menge Zeit ... Und ich bin echt stolz auf diesen Release.

Vor ein paar Jahren warst du noch eher ein Underground-Phänomen, so wie Fat Mike und NOFX auch. Heute bist du ein weltbekannter Singer/Songwriter, du kannst ganze Stadien füllen, da ist so eine Split-Platte mit einer Punkband für viele deiner neueren Fans doch fast schon eine seltsame Sache, oder?
Klar, aber in erster Linie ist Mike ein phänomenaler Musiker und einer der besten Songwriter, den ich kenne. Und so denke ich schon, seit ich ein Teenager war. Damit sind wir auch schon bei der Wahrnehmung dieses Split-Albums: Das wirkt wie auf Augenhöhe und ich bin Mike dankbar, dass er das so darstellt. Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied: Ich bin mit NOFX aufgewachsen, aber Mike nicht mit meiner Musik. In erster Linie bin ich ein Fan seiner Musik, die der Soundtrack meines Lebens ist. Ich bin mit Punkrock aufgewachsen, Punkrock hat mich geformt und mein Denken über die Welt geprägt und auch wie ich Musik mache. Was nicht bedeutet, dass all die Musik, die ich veröffentlicht habe, Punk ist. Diese Platte ist für mich so eine Art Vergewisserung, dass Punk mein Background, mein „Hinterland“ ist, meine Kultur. NOFX sind meiner Meinung nach eine der wichtigsten Punkbands aller Zeiten. Die letzte Split-Platte von NOFX war die mit RANCID, eine der anderen wichtigen Punkbands. Und jetzt haben die eine mit mir gemacht und das gibt mir ein gutes Gefühl.

Wie siehst du Fat Mike?
He’s the punkest motherfucker I ever met. Viele Leute behaupten, es sei ihnen egal, was andere über sie denken, und bei 99% von denen entspricht das nicht der Wahrheit. Und das ist nicht schlimm, denn es kann ja auch positiv sein, dass es dich kümmert, was andere von dir denken. Ich bin da nicht anders, in mancher Hinsicht ist mir das nicht egal. Mike hingegen ist es vollkommen scheißegal, was irgendwer über ihn denkt. In gewisser Weise ist das schon fast gefährlich. Aber es ist sehr punk und ich weiß das zu schätzen. Dass ihn das nicht kümmert, verleiht ihm viel Stärke, persönlich wie musikalisch. Ich blicke auf zu ihm, weil er ein so guter Songwriter ist, und das nicht nur in den Grenzen von Punk, sondern generell. Er ist sehr einfallsreich. Er ist sehr ehrlich, sehr echt. Und man kann mit ihm kaum streiten. Ich meine, der steht seit 1983 im Punkrock bildlich gesprochen an vorderster Front. Damals war ich ein Jahr alt. Mag sein, dass irgendwer ein Problem mit ihm hat und ihm irgendwas ankreidet, aber da hat er auch immer das Argument zur Hand, dass er schon auf Tour war, als der oder die andere noch nicht mal geboren war. So fuck off! Das ist sehr cool, finde ich. Der hat mir gegenüber mindestens 15 Jahre Vorsprung. Aber auch jenseits von all dem ist er einfach ein netter Kerl.

Wann hast du ihn erstmals persönlich getroffen?
Das war 2011 beim Reading Festival. Die haben da „The decline“ gespielt und haben da so ein Spiel, wo El Hefe am Schluss Trompete spielt und jemand anders Gitarre. Mike war da schon von der Bühne verschwunden. Mike hatte zu dem Zeitpunkt noch nie was von mir gehört, kannte mich nicht, aber ein gemeinsamer Freund hatte denen gesagt, die sollten mich da Gitarre spielen lassen. Mike fragte vorher, ob ich den Gitarrenpart am Schluss denn kenne, ich bejahte das und musste mir auf die Zunge beißen, um nicht zu sagen, dass ich den ganzen Song auswendig spielen kann. Danach hat sich Mike dann auch mal meine Platten angehört. Als ich in L.A. war, verbrachten wir Zeit zusammen, und wenn man mal sein Freund geworden ist, ist er ein unglaublicher ehrlicher, netter, liebenswürdiger Kerl.

Was macht Mikes Songwriting so besonders? Kannst du das mal fachkundig erläutern? Mir gefällt ein Song oder eben nicht, ich kann das nicht weiter analysieren.
Nun, deine Reaktion ist letztlich das einzige Kriterium, das zählt. Leute wie ich, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen, können stundenlang darüber reden oder auch gleich ein Buch darüber schreiben, wie ich es getan habe.

Du meinst „Try This at Home: Adventures in Songwriting“ von 2019.
Genau. Aber im Grunde kommt es nur darauf an, was für Gefühle ein Song bei dir auslöst. Wenn man nun ins Detail geht, so stellt man fest, dass er ein sehr gutes Melodiegefühl hat, dass seine Songs sehr strukturiert sind. Und er ist kreativ und einfallsreich. Keine andere Punkband wäre in der Lage gewesen „The decline“ zu schreiben. Das ist ein einzigartiges Stück. In seiner Musik ist auch viel Verspieltheit, und er fordert sich immer wieder selbst heraus. Oder nimm „Home Street Home“, niemand anderes in der Punk-Szene hat jemals so was gemacht. Mike hat seine eigene musikalische Stimme, seine eigene Tonalität. Du kannst bei jedem seiner Songs sagen, dass der von ihm ist. Und auf der ganz persönlichen Ebene verleihen mir viele seiner Songs Kraft, und das sollten Lieder in der Lage sein zu tun. Wir haben „Eat the meek“ als einen unserer Coversongs ausgesucht und das ist ein unglaublich brillantes Stück, es ist subtil und kraftvoll zugleich, und auch wütend und doch lustig. Seine Lieder sprechen mich einfach an.

Was bei dir freilich nie passieren würde, ist eine Situation wie die Show vor ein paar Jahren in Wiesbaden, die mit ordentlich Verspätung begann mit einem besoffen auf die Bühne torkelnden Fat Mike, dessen Band sich fragend anschaut, was das jetzt wieder soll. Ihr habt da in mancher Hinsicht wohl eine andere Arbeitsauffassung.
Ja und nein. Ich habe Mike auch schon total besoffen auf der Bühne erlebt, und ich war auch schon vor Shows bei ihm backstage und dachte mir, dass er definitiv zu besoffen ist zum Spielen. Aber dann geht der auf die Bühne und es ist tatsächlich richtig gut. Also musikalisch. Klar, der redet dann zwischen den Songs eine Menge Bullshit. Und es ist ihm in einem Ausmaß egal, was er da sagt, wie es mir niemals egal sein könnte. Ich hätte gar nicht den Mut dazu. Und ja, um auf deine Frage einzugehen: Ich habe einen anderen Ansatz. Ich sehe mich in Sachen Showmanship eher in der Tradition von Bruce Springsteen, und das ist ein großer Unterschied zu NOFX. Aber das ist cool.

Wie kam es eigentlich zur Idee mit der Split-Platte?
Wir haben 2019 beide auf einem Festival in Italien gespielt. Wir spielten, dann SICK OF IT ALL und dann NOFX, das war sehr cool. Mike schaute sich unser Set an und kam danach auf mich zu und meinte, wir müssten eine Split-Platte machen. Ihm hatte unsere Show gefallen, und ich glaube, es war auch das erste Mal, dass er uns als Band live gesehen hat. Es hat ihm wohl gefallen. Und da war klar, dass unser Verhältnis auf einer wechselseitigen Wertschätzung beruht.