HIGH TIMES

Foto© by Cyrill Matter

Ein sanfter Schlag ins Gesicht

THE HIGH TIMES kommen aus der wilden Punk-Szene von Zürich, wo Anfang der Achtziger Barrikaden brannten, Molotowcocktails flogen und Bands wie TNT, NASAL BOYS oder MOTHER’S RUIN den Ton angaben. Nach vierzig Jahren geht es ein bisschen ruhiger zu, aber es gibt immer noch Bands wie ÜBERYOU oder SNITCH, die die Szene am Leben erhalten. Mit THE HIGH TIMES ist jetzt ein hochmelodischer Ableger mit toller Frauenstimme aufgetaucht, der im Frühjahr sein Debütalbum „Heat“ beim Bremer Label Gunner Records veröffentlicht. Wie die Idee für die neue Band entstanden ist, verraten uns Gitarrist Marc Hottinger und Sängerin Dominique Magnusson.

In eurem Info steht, THE HIGH TIMES sind die charmante kleine Schwester eines wütenden älteren Bruders. Wie ist das gemeint?

Marc: Das ist eine Anspielung auf unsere andere Band ÜBERYOU, bei der drei Viertel der Band parallel spielen. ÜBERYOU ist der große Bruder mit Kippe im Mund, der gerne mal Radau macht. Mein Ziel war es immer, von diesem Geschrei auch mal wegzukommen. Deshalb haben wir mit Domi die nette kleine Schwester ins Boot geholt. Um das Prollige für einen kleinen Moment hinter uns zu lassen.

THE HIGH TIMES sind ja kein Nebenprojekt, sondern eine weitere vollwertige Band. Mit ÜBERYOU habt ihr doch bestimmt genug zu tun, oder?
Domi: Eigentlich war die neue Band gar nicht geplant. Irgendwann sind wir betrunken im Übungskeller gelandet und da hat sich das rasend schnell entwickelt. Ich bin eigentlich Grafikerin, habe für ÜBERYOU schon einige Sachen gestaltet und überhaupt keine Banderfahrung. Weil jedoch schon viel an Kontakten, Erfahrung und Infrastruktur vorhanden war, ging es eben so reibungslos. THE HIGH TIMES sind aber eigentlich aus einer spontanen Idee entstanden.

Wie war es für dich, ohne Erfahrung in eine Band einzusteigen, die schon sehr eingespielt ist?
Domi: Das war vor allem am Anfang eine sehr spannende Zeit. Aber es sind natürlich auch meine besten Freunde, die mich besser kennen als jeder andere. Es konnte also nicht peinlich werden, ich musste niemandem etwas beweisen.
Marc: Vor drei Jahren sind wir alle zusammen nach Japan gereist. Das war eine sehr intensive Zeit. Wir haben morgens um zwei Karaoke gesungen und sind sturzbetrunken Skateboard gefahren. Obwohl wir beides nicht wirklich können. Da haben wir schon gemerkt, dass Domi gut singen kann. Dann haben wir im Suff beschlossen: Kommt, wir gründen eine Band. Am nächsten Morgen haben wir nochmals bekräftigt, dass das ernst gemeint war, und jetzt sind wir da.

Gab es eine Vision für den Sound von THE HIGH TIMES? Eine Band, die ihr alle toll findet, auf die ihr euch einigen könnt?
Marc: Da gibt es einige. Die Wichtigsten sind wahrscheinlich die REPLACEMENTS aus Minneapolis, eine meiner Lieblingsbands. Dann gibt es noch die relativ neue Band SHEER MAG aus Philadelphia, die ich einfach liebe. Die habe ich mal als Vorband in Schaffhausen gesehen und war sofort begeistert. Außerdem höre ich seit einiger Zeit sehr gerne PRESS CLUB aus Australien, die gibt es auch noch nicht so lange.
Domi: Und BLONDIE darf man natürlich nicht vergessen.

Ihr selbst beschreibt euren Sound als „sanften Schlag ins Gesicht“. Wie meint ihr das? Lieb gemeinte Brutalität?
Marc: Das soll diese Mischung aus energischem Punk und dieser Engelsstimme ausdrücken. Dieses Streben nach ABBA und gleichzeitig der rohe Entstehungsprozess im DIY-Spirit. Wir haben alles selbst mit Hilfe des Bassisten von ÜBERYOU aufgenommen. Mehr Eigenbau geht eigentlich gar nicht. Deshalb klingen die Aufnahmen ziemlich rough, aber mit Domis Stimme und den poppigen Melodien ist es eben ein sanfter Schlag ins Gesicht.

Ihr habt euer Album im Studio Milano mit Butch Vico aufgenommen. Was und wo und wer ist das?
Marc: Unser Proberaum befindet sich im Keller der italienischen Pizzeria Milano in Zürich und da hat sich Andi „Vico“ Torresani sein Studio eingerichtet. Er ist nicht nur Bassist von ÜBERYOU, sondern auch Tontechniker und hat schon einige andere Bands abgemischt. Zum Beispiel die brasilianische Band BETTER LEAVE TOWN oder eine Punkband aus Myanmar. Jeden Franken, den er übrig hat, investiert er in dieses Studio und kauft wieder irgendeinen Kompressor. Er betreibt das jetzt schon seit zehn Jahren und die Ergebnisse sind wirklich gut, weil er ein super Gehör hat. Wir nennen diesen Raum liebevoll Studio Milano. Und Butch Vico bezieht sich auf den bekannten Produzenten Butch Vig, der unter anderem „Nevermind“ von NIRVANA oder „Dirty“ von SONIC YOUTH produziert hat.

Seht ihr euch in der Tradition der Zürcher Anarcho- und Punk-Szene, dem so genannten Swiss Punk, der Ende der Siebziger bis Anfang der Achtziger sehr aktiv war?
Marc: Ich habe mal auf die Bahn gewartet und da hat mich einer angesprochen und gemeint: Hey, du siehst aus wie ein Gitarrist. Dann wollte er mir seine alte Fender-Gitarre andrehen. Es stellte sich heraus, dass es Dani Graessle, der Gitarrist von TNT, war. Ich konnte sie aber leider nicht kaufen, weil ich nicht das nötige Kleingeld hatte. Klar hat uns die Punk-Szene von damals beeinflusst. Einige von diesen Leuten waren auch schon bei Konzerten von meinen alten Bands. Wir würden natürlich gerne in deren Fußstapfen treten, aber die sind einfach riesig. Deshalb haben wir unheimliche Lust, unsere Songs endlich auch live zu präsentieren. Wegen der Corona-Pandemie konnten wir bisher leider nur ein einziges Konzert spielen, in der Cocktailbar Kir Royal in Zürich. Und die Energie der Züri-Punks von damals ist natürlich Inspiration für uns. Mit dieser ganzen Wut im Bauch gegen die Repressionen der Regierung.

Wie alt wart ihr damals, als es 1980 zu den so genannten Opernhauskrawallen zwischen Punks und Polizei gekommen ist?
Domi: Ich war damals minus acht, haha.
Marc: Unser Schlagzeuger Luki ist der Einzige, der damals schon auf der Welt war. Aktiv mitbekommen haben wir die Krawalle natürlich nicht. Ich habe nur miterlebt, wie Zürich noch die Drogenhauptstadt Europas war. Der berüchtigte Platzspitz, an dem sich die offene Drogenszene getroffen hat. Wie da überall Nadeln herumlagen und Leute auf der Straße gestorben sind.

Im Oktober 2020 lief in der ARD ein „Tatort“ aus Zürich mit dem Titel „Züri brännt“, eben mit dem Titelsong von TNT. Wie wurde das in der lokalen Punk-Szene aufgenommen?
Marc: Das war ja der erste Fall des neuen Schweizer Ermittlerinnenteams, soweit ich weiß. Ich habe ihn jedoch nicht gesehen. Ich fand es aber gut, dass sie den berühmten Song von TNT verwendet haben.
Domi: Ich will ihn auf jeden Fall noch anschauen. Hier gibt es ja Kneipen, die sehr beliebt sind, weil sich da alle treffen, um gemeinsam den „Tatort“ anzuschauen. Diese Bewegung ist schon krass.

Wie groß ist die aktuelle Punk-Szene in Zürich?
Marc: Die Szene ist sehr klein geworden. Die Jüngeren hören statt Punk lieber Trap. Bei manchen Konzerten wie zum Beispiel von BABOON SHOW tauchen dann aber wieder die ganzen alten Punks auf. Das ist total unberechenbar und verteilt sich auch ziemlich. In jeder Stadt gibt es zwei oder drei Clubs, in denen was läuft, wie der Schwarze Engel in St. Gallen oder das Hirscheneck in Basel. Es gibt also überall noch Leute, die was auf die Beine stellen, aber die Szene ist schon kleiner geworden. In Zürich ist das Dynamo einer der Orte, an dem wirklich noch viele Konzerte stattfinden. Dann gibt es eine Bar namens Hafenkneipe, da laufen auch einmal in der Woche Konzerte. Sonst gibt es hier nicht viel.

Wofür steht euer Bandname THE HIGH TIMES? Habt ihr euch nach der berühmten US-Kifferzeitschrift aus den Siebzigern benannt? Oder nach der Biografie von 68er-Model Uschi Obermaier?
Marc: Keines von beiden, haha. Es war auch nicht das Album von MC5 aus dem Jahr 1971, das „High Time“ heißt. Wir haben zusammen immer so geile Sachen erlebt, das waren einfach für uns alles Höhepunkte. Die besten Zeiten eben. Domi zum Beispiel wandert unheimlich gern und sie hat uns im letzten Sommer in die Schweizer Alpen mitgeschleppt. Wir sind dann als blutige Anfänger bei Sonnenschein losgelaufen und irgendwann kamen uns auf 3.000 Metern Höhe Skifahrer entgegen. Gestartet sind wir an der Griesalp, bis nach Adelboden im Berner Oberland. Wir haben in einem Zelt an einem wunderschönen See übernachtet. Das war einfach super. Die ganze Bandhistory ist eigentlich geprägt von solchen Geschichten.
Domi: Bei dieser Wanderung lag so viel Schnee. Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Vico zum Beispiel kam in Turnschuhen an. Aber im Nachhinein war es ein großartiger Trip mit ganz viel Schnaps. Ein unvergessliches Erlebnis. Ich plane schon den nächsten Bandausflug.

Lasst uns doch mal über eure Songs reden. Um welche Themen geht es in euren Texten, zum Beispiel in meinem Favoriten „Lose control“?
Domi: In den Songs geht es vor allem um Dinge, die wir selbst erleben. Das klingt vielleicht jetzt langweilig, aber es ist einfach so. Das sind alles Dinge aus den letzten zehn Jahren. Wir verarbeiten alle Höhen und Tiefen auf eine spaßige und unverkrampfte Art. „Lose control“ mag ich auch sehr. Der drückt aus, wie wichtig es ist, sich die Zeit zu nehmen, um mit seinen Freunden Spaß zu haben, und nicht immer nur im Akkord zu arbeiten. Den ganzen Stress für ein paar Stunden zu vergessen und komplett loszulassen.

Wie schwer ist es, als Punkband in Zürich zu überleben? Es gilt ja aktuell als teuerste Stadt der Welt.
Marc: Wir sind alle berufstätig, sonst könnten wir uns das nicht leisten. Es ist verdammt teuer, in Zürich zu leben. Ich zum Beispiel arbeite als Rechtsanwalt in einer kleinen Musik- und Designrecht-Kanzlei, in der ich mich um die Rechte von Künstlern kümmere. Domi ist Grafikerin und gestaltet Plattencover, Tourplakate oder Shirt-Designs für Bands, aber auch Werbung für andere Produkte. Unser Bassist arbeitet in einer Booking Agentur in Zürich und hat aktuell Corona-bedingt nicht viel zu tun. Bis vor zwei Jahren war er für das Dynamo tätig. Unser Drummer Luki arbeitet als Entwicklungshelfer bei einer NGO. Der hat lange in Asien gelebt und sogar bei einer Punkband in Myanmar gespielt.

Was ist für dieses Jahr geplant? Habt ihr besondere Ideen für den Release-Termin?
Domi: Wir wissen es noch nicht genau. Keiner von uns hat noch große Lust auf diese ganzen Online-Geschichten. Davon gab und gibt es schon so viele. Deshalb müssen wir jetzt eine andere Idee entwickeln, die allen Spaß macht. Sobald es geht, soll es natürlich eine feuchtfröhliche Party geben, aber da kann man momentan nichts planen. Das ist alles abhängig davon, was mit dem Corona-Virus passiert.