HILDEGARD VON BINGE DRINKING

Foto© by Marc Krause

Vier Tasten für ein Halleluja

Sie verkleiden sich als Nonnen und machen Musik wie von einem anderen Stern. Der eine spielt Schlagzeug, der andere bedient den Computer. Daniel Gehret und Matthias Labus kommen eigentlich aus der Punk-Szene und haben sich mit ihrem Duo HILDEGARD VON BINGE DRINKING dem Elektro verschrieben, als es mit ihrer letzten Band SHOKEI nicht mehr weiterging. Mit „Echo der Delfine“ veröffentlichen die beiden Würzburger ihr drittes Album über das Bremer Punk-Label Sabotage Records. Das klingt mehr nach KRAFTWERK, Krautrock und Hamburger Schule als je zuvor. Im Interview erzählen die beiden Freizeit-Nonnen, wie es zu ihrem musikalischen Stilwechsel, zu ihren Kostümen und zu ihren geheimnisvollen Plattencovern gekommen ist.

Vor neun Jahren habt ihr euer erstes Konzert im Würzburger Plattenladen H2O gespielt. Wie seid ihr damals auf die Idee mit den Nonnenkostümen und der elektronischen Musik gekommen?

Labse: Leider ging es damals aus gesundheitlichen Gründen mit SHOKEI nicht weiter. Dann stand natürlich die Frage im Raum, ob es was Neues geben wird. Irgendwann hat Danny gesagt, er würde gerne eine Band starten, die HILDEGARD VON BINGE DRINKING heißt. Weil wir beide keine regulären Tagesjobs haben und zusammenwohnen, hat sich herausgestellt, dass es zu zweit am besten funktioniert. Die Kostüme lagen durch den Namen natürlich auf der Hand.

Habt ihr einen Bezug zur berühmten Nonne aus dem Mittelalter, die vor allem durch Pflanzenheilkunde bekannt wurde?
Labse: Natürlich kennen wir ihr medizinisches Wirken, es gibt ja überall diese Hildegard-Läden. Über diese so genannte Alternativmedizin und diese ganzen Spinnereien haben wir uns schon immer lustig gemacht. Mondwasser und solche Sachen. Es hat in unseren Augen eine tragische Komik, dass Leute auf solche Ideen kommen, um gesund zu bleiben. Gleichzeitig sind die Verbindungen zu rechter Esoterik und faschistischem Denken noch nie so deutlich geworden wie in der Corona-Pandemie. Aber eigentlich war unser Bandname nur ein schönes Wortspiel.

Gab es schon Reaktionen von der Kirche? Oder Begegnungen mit echten Nonnen?
Dany: Von der Kirche als Institution nicht. Wir hatten aber eine Auseinandersetzung mit einem Menschen, der sich für besonders gläubig hält. Der hat unter einem Foto von uns auf Facebook ein Riesenfass aufgemacht. Dass wir christliche Symbole entweihen würden und so weiter. Der hat sich total in diese Geschichte hineingesteigert und uns sogar mit Gewalt gedroht. Die Lage hat sich dann aber irgendwann wieder beruhigt.
Labse: Es geht uns nicht darum, religiöse Gefühle zu verletzen. Manchen Leute reicht es aber schon, wenn wir als Frauen verkleidet auf der Bühne stehen oder Strumpfhosen tragen. Ich finde es aber auch ganz gut, dass man uns nicht so richtig einordnen kann. Diese Uniform ist auf jeden Fall sehr auffällig, und das kommt bei den meisten Besuchern auch sehr gut an. Damit wollen wir uns natürlich auch optisch vom Look einer klassischen Rockband abgrenzen und nicht das machen, was alle machen.

Mit SHOKEI wart ihr ja im klassischen DIY-Punk- und Hardcore-Kontext unterwegs. Wie seid ihr auf Elektro gekommen? Wart ihr gelangweilt von Gitarren?
Dany: Damals hatte ich davon überhaupt keine Ahnung. Ich habe angefangen, mit einem Nintendo DS herumzuprobieren. So richtig mit einem Stift auf dem Display. Da gibt es ein Programm namens Korg M01. Das erschien mir die beste Möglichkeit, als Einzelperson möglichst viel Klang zu erzeugen. Inzwischen habe ich auch den Sprung in die Gegenwart geschafft und arbeite mit einem Mac Mini von Apple. Der ist so groß wie eineinhalb Taschenrechner und so dick wie ein Buch. Das ist gleichzeitig auch mein Homestudio, womit ich musikalische Ideen entwickle.
Labse: Ich finde elektronische Musik auch spannend, weil es was völlig anderes ist als dieses virtuose Muckertum. Man braucht eigentlich keinen Proberaum und es ist viel demokratischer als Rockmusik. Das kann potenziell jeder machen, der sich ein bisschen damit beschäftigt. Wenn man weiß, wie die ganzen Programme funktionieren, kommt es nur auf gute Ideen an. Und ich mache dazu das, was ich schon immer mache, nämlich Schlagzeug spielen.

Wie hat das SHOKEI-Publikum auf euer neues Konzept reagiert?
Labse: Wir haben immer noch das gleiche Netzwerk von Veranstaltern und befreundeten Bands. Manche hatten anfangs ein Problem mit uns, weil sie keine Gitarre auf der Bühne gesehen haben. Das fanden die seltsam. Genauso wie unsere durch Vocoder verzerrten Vocals. Die haben sich natürlich die Frage gestellt, ob das noch Punk ist. Aber die meisten fanden es gleich auf Anhieb gut. So nach und nach ist neues Publikum aus der elektronischen Ecke dazugekommen. Wir spielen inzwischen natürlich auch in anderen Locations wie Kunsthochschulen oder als Aftershow-Act beim Christopher Street Day. Wir sind jetzt auf jeden Fall vielfältiger einsetzbar. Ehrlich gesagt waren wir selbst überrascht, dass es so gut funktioniert mit dem sperrigen Namen und der ungewöhnlichen Musik. Aber unser Motto war schon immer: Warum nicht?

Der rote Faden bei eurem Artwork ist, dass ihr bekannte Cover „hildegardisiert“. Da finden sich Hinweise auf KRAFTWERK, Jean-Michel Jarre oder ASH RA TEMPEL. Ist das ein Spiel?
Dany: Es macht einfach Spaß, in unserem Artwork immer wieder Zitate zu verstecken, obwohl sich die weder in den Texten noch in der Musik wiederfinden. Das lockt die Leute auf eine falsche Fährte. Aber diese Hinweise im Artwork spiegeln auch unseren musikalischen Background wider und verweisen auf Bands, die wir mögen. Wir wollen nicht in eine Schublade gesteckt werden, nur wenn man unsere Platte angeschaut hat. Das fände ich sehr langweilig. Viele Ideen entstehen aber auch spontan als interner Gag und bekommen dann im Nachhinein erst eine neue Bedeutung.

Hat sich euer Sound mit dem neuen Album „Echo der Delfine“ verändert?
Dany: Wir haben diesmal mit einigen Gaststimmen gearbeitet, das hat sich einfach so ergeben. Uns ging es auch darum, in der großen Corona-Einsamkeit mit anderen Menschen Kontakt zu haben. Die Songs sind gemeinsam mit der letzten EP „Sprechfunk mit Toten“ entstanden. Da singen und sprechen zum Beispiel Charlotte Helene Simon und Toben Piel von LES TRUCS. Außerdem haben wir Felix Floss als Saxophonisten neu eingebaut. Auf „Echo der Delfine“ ist Felix in Dreiviertel der Songs zu hören. Wir hatten durch die Pandemie viel mehr Zeit für die Platte und die EP, und konnten viel ausprobieren, was wir noch nie gemacht haben. Irgendwie ist es auch ein Grundprinzip von uns, mit Erwartungen zu brechen.
Labse: Außerdem waren wir diesmal nicht in einem Studio, sondern haben uns ein Homestudio in unserem Proberaum eingerichtet, den wir uns mit der Krautrock-Band ZEMENT teilen. Das ist ein ehemaliger Tresor in der Würzburger Posthalle. Geübt wird hinter einer massiven, eineinhalb Tonnen schweren Stahltür mit einigen Schlössern. Dort wurden früher Postsendungen gelagert, die ein bisschen wertvoller waren als die üblichen Briefe und Päckchen. Gemischt hat die Songs dann Lorenz Blümler in den IronBar Studios in Darmstadt.

Veröffentlicht habt ihr „Echo der Delfine“ und „Sprechfunk mit Toten“ bei Sabotage Records. Wie kam das?
Labse: Das war totaler Zufall. Franz von Sabotage Records hat sich bei uns gemeldet und gefragt, ob wir mit ihm eine Platte machen wollen. Und wir haben ihm gesagt: Wir sind gerade dabei eine aufzunehmen. Letztendlich hat er dann Album und EP veröffentlicht. Franz oder „Adler“, wie wir ihn nennen, ist ein bayerisches Punk-Urgestein, das schon seit einigen Jahren in Bremen lebt und dort sein Label betreibt. Er hat außerdem als Schlagzeuger in unzähligen Bands gespielt, deswegen haben wir ihn immer wieder getroffen. Dann hat er sich eben spontan gemeldet und wir sind uns sofort einig gewesen. Für uns ist es immer besser, wenn wir mit Leuten zusammenarbeiten, denen es nicht vorrangig ums Geld geht, sondern die auch für die DIY-Idee brennen.

Mit eurer ehemaligen Band SHOKEI hattet ihr ja schon einen festen Studiotermin bei Steve Albini in Chicago, kurz vorher habt ihr euch aber aufgelöst. Ist der Split eigentlich endgültig oder geht da noch was?
Dany: Das war damals einfach höhere Gewalt. Wir haben die Band dann noch mit unserem 200. Konzert begraben und das war’s. Es war eine sehr schöne Zeit, aber manchmal sind Sachen einfach vorbei. Zeig mir mal eine andere Band, die 200 Shows gespielt und kein einziges Album aufgenommen hat. Wir treffen uns noch regelmäßig und wir mögen uns immer noch, aber die Band gibt’s nicht mehr. Punkt. Irgendwann ist die Haltbarkeit von jedem Joghurt abgelaufen.